Lesung mit Professor Graf Schwere Kost bei der Lesezeit

Homburg · Professor Norbert Graf las im Rahmen der Homburger Lesezeit aus „Der Junge im gestreiften Pyjama“.

 Eine Lesung, die Emotionen weckte: Professor Norbert Graf las am Dienstagabend aus dem Roman „Der Junge im gestreiften Pyjama“, der aus kindlicher Perspektive den Holocaust beschreibt.

Eine Lesung, die Emotionen weckte: Professor Norbert Graf las am Dienstagabend aus dem Roman „Der Junge im gestreiften Pyjama“, der aus kindlicher Perspektive den Holocaust beschreibt.

Foto: Foto: Sebastian Dingler

Schwere Kost leicht verpackt, so konnte man den Abend mit Norbert Graf, Chef der Kinderonkologie, charakterisieren, der am Dienstagabend im „Bistro 1680“ am Homburger Marktplatz stattfand. Graf las im Rahmen der „Homburger Lesezeit“ im alten Rathaus. Schwere Kost, weil das von dem Professor ausgesuchte Buch das Thema Holocaust behandelt. Leicht, weil es das Gräuel aus der Perspektive eines Neunjährigen erzählt, dessen Vater der Lagerkommandant ist. „Der Junge im gestreiften Pyjama“ von John Boyne heißt der 2006 erschienene Roman, der die fiktive Freundschaft eines deutschen Jungen mit einem auf den Tag gleich alten jüdischen Kind erzählt.

Der kleine Bruno muss mit seinen Eltern von Berlin nach Auschwitz ziehen, das auch er als eine Art Gefängnis empfindet, weil er sich sehr nach Abwechslung und anderen Kindern sehnt. Das Geschehen im Lager betrachtet er über den Stacheldrahtzaun hinweg. Eines Tages kommt er in Kontakt mit Schmuel, mit dem er sich durch den Zaun hindurch unterhält und der tatsächlich am selben Tag Geburtstag wie Bruno hat. Die Dialoge der beiden Jungen nahmen den Großteil der Passagen ein, die Graf vortrug. Stellen, wie jene, als die beiden sich darüber streiten, ob Waggons von Zügen Türen besitzen oder nicht, ließen das Blut vieler der etwa 90 Zuhörer gefrieren, wurde so doch die grausige Realität des jüdischen Jungen deutlich, der eben nie eine Fluchtmöglichkeit besaß.

Aus der Sicht eines Kinderarztes habe ihn fasziniert, meinte Graf, wie der Autor aus kindlicher Perspektive Dinge darstelle, die man sonst nicht ausdrücken könne. „Sind wir auch Juden?“, fragt Bruno etwa seine ältere Schwester Gretel, die darauf schockiert reagiert. „Aber wenn wir keine Juden sind, was sind wir dann?“, bohrt der Junge weiter. Der schon Nazi-indoktrinierten Gretel fällt nichts Besseres darauf ein als „das Gegenteil von Juden“.

„Da hält man fast die Luft an“, sagte hinterher eine Zuhörerin zu dieser Stelle. Den schrecklichen Schluss des Romans ließ Graf absichtlich weg. „Das Ende sollte man selbst lesen“, meinte der Norbert Graf anfangs.

Nach der Lesung präzisierte er, man solle dabei am besten allein sein – wahrscheinlich wegen der Emotionen, die einen dabei überkommen könnten. „Es gibt mittlerweile auch wieder Stimmen, die den Holocaust verharmlosen. Und es gibt wieder mehr Fremdenfeindlichkeit, deswegen ist das Buch aktueller denn je“, gab Graf noch zu bedenken.

„Erschütternd“ und „bedrückend“ lauteten nach der Lesung einige Kommentare. Niemand aber fand es schlimm, dass Graf ja eigentlich vorgehabt hatte, ein ganz anderes Buch vorzustellen, nämlich „Die Tyrannei des Schmetterlings“ von Frank Schätzing.

Zu dem Zeitpunkt, als Professor Graf angefragt wurde, sei dieses Buch gerade herausgekommen. Da er Frank Schätzing bislang sehr gerne gelesen habe und ihn das Thema des Romans, künstliche Intelligenz, interessiert habe, sei Graf fest davon ausgegangen, dass er daraus lesen würde. Dann aber habe er feststellen müssen, dass ihm der neue Schätzing gar nicht so zusagte. Der Roman enthalte laut Graf episch lange Beschreibungen von Landschaften und eine Handlung, die man auch auf die Hälfte hätte herunterbrechen können. „Der Junge im gestreiften Pyjama“ dagegen, dieses Buch habe er an einem Nachmittag verschlungen – für die Lesezeit war das jedenfalls mehr als nur eine zweite Wahl.

Der Abend mit Professor Graf fand in der Reihe „Bekannte Persönlichkeiten lesen aus ihren Lieblingsbüchern“ statt, die von Jutta Bohn und Patricia Hans organisiert wird. Als nächstes liest am Dienstag, 11. Dezember, der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Ulrich Mielke, aus dem Werk „Große Liebe“ von Navid Kermani. Treffpunkt ist wieder das „Bistro 1680“ im alten Rathaus auf dem historischen Marktplatz.

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