Tierisch menschlich

Homburg · Anatomisch korrekt sind Peter Spiegels Tierbilder nicht – das ist auch gar nicht gewollt. Wer genau hinschaut, der sieht viel Menschliches im „Bestiarium“. Inspiriert wurde der Wolfersheimer Künstler von Malereien in Steinzeithöhlen. Die Ausstellung wird am heutigen Montagabend in der Homburger Saalbau-Galerie eröffnet.

 Peter Spiegel steht vor „seinen“ Tierbildern: Narbengesicht und Opfer (verdeckt) – zu sehen in der Ausstellung im Homburger Saalbau ab 1. Juni. Fotos: Ulrike Stumm/SZ-Redaktion

Peter Spiegel steht vor „seinen“ Tierbildern: Narbengesicht und Opfer (verdeckt) – zu sehen in der Ausstellung im Homburger Saalbau ab 1. Juni. Fotos: Ulrike Stumm/SZ-Redaktion

Vor goldenem Hintergrund schnauben Stiere, einem anderen Stier scheinen unter einer Last die Beine nachzugeben, weiter hinten schauen, ja geifern intensiv drei Hunde vor gelbgrüner Farbe und an einer Wand reiht sich, so wie Porträts adeliger Vorfahren in alten Schlössern, Tier neben Tier: Lämmer, Schafe, Ziegen, Hunde - manchmal ist das so klar nicht zu erkennen. Doch mindestens der Blick der Tiere lässt einen nicht mehr los: Mal ist er intensiv, mal zornig, mal traurig, stolz, träumerisch, mal leidend und oft irgendwie menschlich. "Bestiarium" heißt die Ausstellung, die ab 1. Juni im Homburger Saalbau zu sehen ist. Die Arbeiten von Peter Spiegel sind viel mehr als einfach Tierbilder. Es geht um das Verhältnis vom Menschen zum Tier im weitesten Sinn. Es sei, sagt Spiegel, ein Zyklus, der sich über drei Jahre hingezogen habe, konzipiert für diese Ausstellung und thematisch geplant. "Spiegel sei immer wieder für eine Überraschung gut", fügt Kuratorin Françoise Mathis-Sandmaier hinzu. Denn wer bislang Spiegel schaute, der sah zum Beispiel Landschaften, auch anderes, aber nichts was Ähnlichkeit hat mit dem, was nun als Gouachen, Ölbilder und Skizzen in der Saalbau-Galerie hängt.

Angefangen hat alles viel früher, vor mehreren Millionen Jahren. Für Steinzeithöhlen hatte er sich schon als Jugendlicher interessiert, sagt Spiegel. Er sei damals zu den berühmten Höhlen von Lascaux gefahren, die aber geschlossen waren. Viele Jahre später sei er abermals allein ins Périgord gereist. Das habe er sich gegönnt, mittlerweile in Pension, sei er einfach so mit Zelt, Wanderstock und Skizzenbuch unterwegs gewesen, berichtet der ehemalige Lehrer am Johanneum. Vor Ort konnte er dann in der Nähe der Lascaux-Höhlen im Département Dordogne andere Höhlen besuchen, durfte mit einer kleinen Gruppe hinein.

Ein Glücksfall: Mit eingeschalteter Taschenlampe skizzierte er dort immer ganz schnell, bevor sich die Gruppe weiter durch die engen Gänge zwängte, die Bilder, die er an den Wänden sah. Er war fasziniert von den uralten Malereien, von der Souveränität, mit der die Linien gezogen waren, von der schöpferischen Kraft. Die Erfahrungen aus den Höhlen "haben in mir weitergearbeitet". Es bildeten sich bestimmte Bewegungen, und es zeigten sich Gesichter. "Ich habe mir vorgestellt, dass die Tiere etwas Charakteristisches für sich haben." Bei der Arbeit an den Tierporträts schälten sich Individuen heraus, auch er selbst spiegele sich in ihnen wider. Anatomisch sind die Bilder "nicht zu hinterfragen": Nase, Augen, Mimik und Gestik seien sehr menschlich. Leichte Deformationen sind zu erkennen, "alles, was ich mache, dient der Ausdruckssteigerung", betont Spiegel. "Wenn ich den Ausdruck spüre, dann sagt mir das Bild, wo es hinführt". Er habe zum Beispiel nicht geplant, einen Hund mit Orden zu malen, das habe sich im Bild entwickelt. "Ausgezeichnet" steht jetzt als Titel darüber: gewollt vieldeutig interpretierbar, denn "es soll changieren". Ein bestimmter Stil interessiert Spiegel nicht: "Wenn ich ein Thema habe, dann suche ich mir die Ausdrucksweise."

In der großen Skizzenrolle "Bestiarium" ist noch am ehesten der Bezug zur Steinzeithöhle zu entdecken, auch in vielen der Gouachen oder im kraftvoll-großformatigen Bild mit Stieren. Immer weiter verarbeitet zeigen sich dann die Tierporträts mit den intensiven Augen. Er wolle, sagt Spiegel, zum Nachdenken anregen. Der Betrachter soll auch schmunzeln. Satire, Ironie, Selbstironie - das alles stecke in seinem "Bestiarium". Man soll, wünscht er sich, die Schöpfung im Tier achten und dem Schweigen der Tiere zuhören. Ab 1. Juni können Besucher dies in der Saalbau-Galerie ausprobieren.

Zu der Ausstellung ist ein Katalog erschienen mit 50 Abbildungen, den es bei der Schau im Saalbau zu kaufen gibt für 19,80 Euro.

Warum der Titel Bestiarium?

Peter Spiegel: Zunächst vom Begriff her, bezieht er sich auf Tierbücher aus dem Mittelalter mit Verweisen auf die Heilslehre oder dem noch früheren "Physiologus" aus Persien mit Erzählungen über Tiere und ihre Umdeutung seltsamer Eigenschaften auf das Christentum.

Was verstehen Sie unter Bestie?

Peter Spiegel: Im Begriff Bestie steckt das wilde, uns umheimliche, zerstörerische Tier, aber eben auch das unbekannte rätselhafte Wesen, mit Leid, Schmerz und Lebenslust - meine Vorstellung.

Und der Bezug zum Menschen?

Peter Spiegel: Der Mensch (homo) ist zwar der Gegensatz zum Tier, aber ich bin der Meinung, dass wir, um das Tier besser zu verstehen oder zu erfassen, unbewusst eigene Verhaltensweisen, ja moralische Anforderungen wie etwa Treue (Hund), Verschlagenheit (Katze), Dummheit (Schaf) und so weiter auf die Tiere projizieren. Darum sage ich im Motto des Katalogs: "Tiere sind auch nur Menschen, Menschen sind auch nur Tiere", wobei allerdings Menschen auch als tierisch in negativer Deutung besetzt sein können.

Also die Achtung vor der Natur?

Peter Spiegel: Die Achtung vor dem Tier als Ganzes gesehen, ist eben auch die Achtung vor der Schöpfung .

So steht beides im Kontrast: Das Tier als Opfer und der Mensch, der sich im Tier wiederzuerkennen glaubt. Grotesken, Närrisches, Ironisches, Satirisches - alles können Sie hier finden. Meine Malerei ist immer ein Herantasten an unbekanntes Terrain.

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