Porträt von Michael Jelden Der talentierte Tausendsassa aus Homburg

Homburg · Mediziner, Teufelsgeiger, Sprachgenie, Abenteurer: Michael Jelden, Arzt an der Uniklinik des Saarlandes, hat nicht nur das Lernen gelernt.

Michael Jelden ist Arzt an der Uniklinik in Homburg, außerdem virtuoser Violinist, Sprachwissenschaftler und Visionär. Er hat schon viel gesehen von der Welt, fühlt sich im Saarland aber „so wohl wie sonst nirgendwo“.

Michael Jelden ist Arzt an der Uniklinik in Homburg, außerdem virtuoser Violinist, Sprachwissenschaftler und Visionär. Er hat schon viel gesehen von der Welt, fühlt sich im Saarland aber „so wohl wie sonst nirgendwo“.

Foto: Iris Maria Maurer

Man sollte über den 48-jährigen Michael Jelden eigentlich vier Texte schreiben. Der erste würde nachzeichnen, wie ein herausragendes Geigen-Talent um ein Haar im Saarbrücker Studentenviertel hängengeblieben wäre, als Zigeunermusiker. Doch dann machte er doch noch eine klassische Konzertkarriere samt aufsehenerregender musikwissenschaftlicher Entdeckungen. So stieß Jelden etwa auf ein bisher unbekanntes Manuskript von Niccolò Paganini (1782 bis 1840). Zu dieser Story gehört, dass man Jelden selbst wegen seines temperamentvollen Spiels mit dem „Teufelsgeiger“, der Musikgeschichte schrieb, verglich.

Der zweite Jelden-Text wäre dann dem Hochbegabten gewidmet, einem Jungen, der sich sehr früh mit Astrophysik beschäftigte und dann in der Bibliothek seiner Stuttgarter Schule an einem Italienisch-Lehrbuch Feuer fing. Zwischenzeitlich versteht der Grammatik-Begeisterte 30 Sprachen ganz gut, darunter Gälisch und Arabisch, und spricht etwa acht Sprachen fließend. Beruflich führte der Weg des studierten Sprachwissenschaftlers zur automatischen Sprachverarbeitung und Computerlinguistik nach Luxemburg, zur Firma Systran. Ach ja, ein Wörterbuch auf Georgisch hat er auch noch verfasst.

Der dritte Text spielte dann mit Anleihen an Werner Herzogs „Fitzcarraldo“-Film – in dem der Exzentriker Klaus Kinski im Dschungel Perus eine ehrgeizige Opernhaus-Vision verfolgt – im brasilianischen Regenwald, wo Jelden Ende der 90er Jahre als Kulturmanager debütierte und das „Festival de Manaus“ im Teatro Amazonas leitete – ein Idealist, umtost von Korruption.

Im letzten Beitrag schließlich stünde der Mediziner im Zentrum, derzeit Arzt in der Klinik für Allgemeine Chirurgie und Kinderchi­rurgie an der Universitätsklinik in Homburg. Zu berichten wäre über einen Forscher, der sich auf die Spur einer bisher kaum ausgeleuchteten, geheimnisvollen Krankheit gesetzt hat: Fatigue, das sind schwere Erschöpfungszustände, häufig bei Tumorerkrankungen. Dafür gab es den Werner-Zeh-Preis. Jetzt denkt Jelden über die Gründung eines ersten Fatigue-Zentrums nach. Gleichwohl lautet das Haupt-Berufsziel: niedergelassener Allgemeinmediziner in Homburg. Denn einer wie Michael Jelden will nicht nur Herz, Haut oder Auge untersuchen, er will „alles“ machen, man weiß es spätestens nach dem vierten Text.

Wie kommt es zu dieser staunenswerten Begabungsfülle, zu einer Biografie, die das Standard-Lebensmuster des chronologischen Nacheinanders aushebelt? Simpel gesprochen: „Ich würde gerne“ kennt Jelden nicht; „Ich hab’s gemacht“, steht über seinem Leben. Das sagt er selbst. Außerdem zitiert der 48-Jährige gerne Konfuzius-Sinnsprüche oder wandelt sie ab, etwa so: „Das Lernen lernt man durch das Lernen.“

Allerdings hängt Jelden all seine Kenntnisse ungern hoch, erklärt lieber seine Technik, etwa in Sachen Spracherwerb. Mit 100 der wichtigsten Wörter einer Sprache schaffe man rund 50 Prozent fast aller Texte: „Man braucht nur das Wichtigste, der Rest sind Ornamente“. Scheitern kennt er offensichtlich nicht. Deshalb hat er sich vor eineinhalb Jahren auch aufs Pferd gewagt, seiner „Liebsten“ zuliebe, wie er seine zweite Frau grundsätzlich nennt. Sie brachte ein Kind mit in die Ehe, er zwei, ein gemeinsames kam dazu, mit dreien lebt Jelden „so gern wie nirgendwo sonst“ im Saarland, wo er Musikwissenschaft und später Medizin studierte. Der Geigenprofessor Valerij Klimov brachte ihn Anfang der 90er Jahre an die Saarbrücker Musikhochschule. Jelden hatte den Russen auf einem Festival in Kanada kennengelernt. Doch die tiefere Prägung kam durch den strengen Ricardo Odnoposoff, eine Musiker-Legende, der ihm beim Üben das methodische Denken beibrachte. „Er hat mich gelehrt, große Probleme in kleine Teilprobleme zu zerlegen.“ Mit 19 begann für Jelden dann eine „tolle Zeit“. Er erinnert sich, wie er barfuß auf dem St. Johanner Markt Geige spielte. Saarbrücken, das war damals die große Freiheit. Er landete in „Roko‘s Taverne“ im Nauwieser Viertel, fiedelte sich stundenlang glücklich, mit Zigeunermusik, und vergaß alles um sich herum. Bis ihn der Vater zurückbeorderte nach Stuttgart.

Immer noch fühlt sich Jelden im Saarland „wohler als sonst wo auf der Welt“, spricht über seine „Super-Kollegen“ in der Homburger Klinik, von „Gemütsmenschen“ und einer „Einschluss-Gesellschaft“. Doch in einem Punkt steht die Integration nach zehn Jahren noch aus. Obwohl Jelden immer noch, wenn auch selten, auftritt, ist sein Name in der saarländischen Kulturszene nahezu unbekannt. Nach eigenem Bekunden hat er sich nie um Kontakte bemüht. Das mag an seiner Familienorientierung liegen. Die knappe Freizeit verbringt er hauptsächlich mit den Kindern und zwei eigenen Pferden – oder mit Sachbüchern über theoretische Physik, die ihm den „Thrill“ bringen, die Romane vermissen lassen, die ihn mit wiederkehrenden archetypischen Erzählstrukturen unterfordern.

Aus ähnlichen Gründen blieb es auch nicht bei der Geigenvirtuosen-Laufbahn: „Man spielt ein Leben lang immer dasselbe. Aber jede Schönheit nutzt sich ab, wenn man sie zu oft hört oder sieht.“ Das sprachwissenschaftliche Studium absolvierte er zeitgleich zu seiner Musiker- und Festival-Tätigkeit. Warum? „Ich musste den Goldhamster im Kopf im Rad rattern lassen.“ Nein, der Reihe nach geht bei Jelden wohl gar nichts. Von einer Ausnahmebegabung will er nicht sprechen, er nennt sich lediglich „stressresistent“, berichtet, dass er „mühelos“ lerne und über ein gutes Gedächtnis verfüge. War‘s das schon? Kaum. Bei Jelden paart sich, wie seine Konzert­auftritte nahe legen, Strukturiertheit mit Gefühlsintensität und Impulsivität, eine seltene Mischung. Chuzpe gehört wohl auch dazu. Wie sonst käme ein junger, unbeleckter Deutscher darauf, sich einfach mal im „Teatro Amazonas“ als Kulturmanager zu bewerben, formlos. Und dann einfach mal rüber zu fliegen, um festzustellen, dass die dort nicht die von ihm beherrschte Sprache, Spanisch, sprechen, sondern Portugiesisch. Letzteres zog er sich dann in wenigen Tagen rein. Er zitiert einen Sinnspruch: „Alle sagten, das geht nicht. Da kam einer, der wusste das nicht und hat‘s gemacht.“ Freilich endete das Brasilien-Projekt für ihn nach nur zwei Jahren. „Ich habe alles falsch gemacht, ich habe mich nicht bestechen lassen.“

Überhaupt: das Geld. In Jeldens Leben spielt es nach eigener Aussage eine untergeordnete Rolle. Auch ist es nicht so, dass eine Vielfach-Begabung und -Beschäftigung automatisch zu einer Vervielfachung des Einkommens führt. Er lebt in keiner Luxushütte, reist nicht viel, braucht kein dickes Auto, denn „wenn man etwas besitzen will, ist das das Ziel, aber wenn man es hat, entfällt das Ziel. Das Ergebnis ist Leere.“

Jelden hält sich für einen eher idealistisch ausgerichteten Menschen. So denkt er etwa über die Gründung einer Non-Profit-Firma oder Stiftung nach, um Engpässe auf dem Medikamentenmarkt aufzufangen, die entstehen, weil für Pharmaunternehmen die Herstellung bewährter Produkte nicht mehr lukrativ ist. Er weiß, dass diese Idee eher als Vision zu bezeichnen ist, aber einer wie er darf ja wohl mal groß denken. Sehr groß.

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