Klassische Musik Vom Frühbarock zum Klangexperiment

Homburg · Kammermusiktage in Homburg mit zwei Konzertabenden, die unterschiedlicher nicht sein können.

 Sakiko Idei, Maria Kulowska und Armin Neises (von links) boten als Japode-Trio am Montagabend in der Aula der Musikschule im Stadtteil Erbach ein außergewöhnliches Konzert im Rahmen der Kammermusiktage.

Sakiko Idei, Maria Kulowska und Armin Neises (von links) boten als Japode-Trio am Montagabend in der Aula der Musikschule im Stadtteil Erbach ein außergewöhnliches Konzert im Rahmen der Kammermusiktage.

Foto: Thorsten Wolf

Zum zweiten Mal bot die schmucke Jugendstilkirche des Uniklinikums mit ihrer feinen Akustik das Ambiente für musterhafte Aufführungen alter Musik. Vor zwei Wochen verblüfften die acht Sängerinnen und Sänger des Vokalensembles Contrapunkt mit A-Cappella-Kunst vorklassischer Vokalpolyphonie aus Dresden und Leipzig. Vergangenen Sonntag entführten oder besser verführten Nadja Zwiener auf der Barockvioline und der sizilianische Virtuose Daniele Caminiti auf seiner Bass-Laute oder Theorbe ein großes, begeistertes Publikum der Internationalen Kammermusiktage Homburg zu einer spannenden Klangreise durch das italienische Frühbarock im 17. Jahrhundert.

Mancher Konzertbesucher mag nur eine vage Vorstellungen vom Bau und der Spielwiese einer Barockgeige oder einer Theorbe gehabt haben. Sicher hat man sich im üppig ausgestatteten Programmheft erst informiert, wer sich hinter Komponistennamen wie Cima, Marini, Uccelini, Piccinini, Bertali, Castello oder Mealli versteckte, oder was man damals unter einer Sonata, Ciaccona oder Toccata verstand. Doch das alles wurde belanglos, als Nadja Zwiener in der Sonata I per Canto e Basso von Giovanni Paolo Cima (ca. 1570-ca. 1622) erstmals ihren nach oben gewölbten Bogen auf ihre historischen Darmsaiten setzte und über den ganz subtil ausgeführten Bässen und Grundharmonien ihres Duopartners alte Musik zum Sprechen brachte. Die Klangrede teilte sich in ihren kraftvollen Bogenstrichen ebenso mit wie im feinen Klanggespinst ihrer hohen Flageolett-Töne. Meisterhaft beherrschte sie mit behutsam eingesetztem Vibrato die gesanglichen Passagen, aber auch die Gesangsmanieren, die flirrenden Läufe und Barockverzierungen im „Stilo antico“ und im „Stilo moderno“.

Als Nadja Zwiener und Daniele Caminiti mit der Sonate F-Dur von Heinrich Ignaz Franz Biber (1644-1704) all diese vorklassischen Hexereien italienischer Geigenvirtuosen ein letztes Mal aufgipfelten, entlud sich die Begeisterung zu Recht in einem langen, stehenden Applaus. Die Künstler bedankten sich mit einer mitreißenden Variante der Ciaccona C-Dur von Antonio Bertali (1605-1669).

Spielten Zwiener und Caminiti aus alten Archiv-Noten, so kam die freie und spontane Improvisationskunst des Japode-Trios einen Tag später in der Homburger Musikschule ganz ohne Notation aus. Der erste, fünfzigminütige Klangraum begann mit einem tiefen Orgelpunkt und tonlosen Blasgeräuschen auf dem Digeridoo von Armin Neises. Die japanische Perkussionistin Sakiko Idei streute kristallene Glockentöne darüber und kontrastierte mit tiefen Tom-Schlägen. Zuletzt wanderte der Orgelpunkt in das E-Cello der polnischen Cellistin Maria Kulowska, wo er elektronisch gespeichert und zum Hintergrund einer Zwiesprache zwischen ihrem Akustik-Cello und dem Flügelhorn von Armin Neises wurde.

Wie mit dem Soundtrack spannender Filme entstanden in der Fantasie der Zuhörenden bewegte Bilder, die zwischen naturhafter Wildnis mit all ihren geheimnisvollen Geräuschen und nächtlichen Straßenschluchten großer Städte wechselten, in denen die elegischen Melodien des Flügelhorns oder der gestopften Trompete zu hören waren, auch das Weinen von Kindern, die aus ihren Träumen aufschreckten. Denn das ostinate Anfangsmotiv aus dem bekannten Präludium cis-Moll von Rachmaninow wirkte auf dem E-Cello bedrohlich und Angst einflößend.

Hier, nach fünfzig Minuten bildhafter Fantasien, hätte der Abend sicher mit einem rauschenden Applaus des Publikums geendet. Ein zweiter und ein dritter Improvisationsdurchgang führten zwar pflichtschuldigst zu abendlicher Länge, brachten aber im Instrumentarium und an zündenden Impulsen wesentlich nichts Neues wie vielleicht den Einbezug externer Klangquellen aus dem Angebot der Kammermusiktage oder die freie wie metrisch gebundene Sprache. So aber klang der Beifall der Konzertgäste am Ende etwas müde. Eigentlich schade!

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