Knifflige Fragen an den Oberbürgermeister

Homburg · Am Saarpfalz-Gymnasium befassen sich in diesen Tagen viele Klassen mit dem Unrechtsstaat des Dritten Reichs. Sie erlangen nicht nur Faktenwissen über die menschenverachtenden Lebensbedingungen in einer Diktatur, sondern lernen zugleich die Vorzüge einer Demokratie schätzen und diskutieren darüber. Derzeit läuft im Flur der Schule noch die Ausstellung „Die Wannsee-Konferenz. Der Völkermord an den europäischen Juden 1933-1945“, die von Oberbürgermeister Rüdiger Schneidewind eröffnet wurde. Anschließend stellte sich der OB den Fragen von Oberstufenschülern, die am Projekt „Zeitung macht Schule“ teilnehmen. Henrik Albrecht aus dem E-Kurs-Deutsch 11 stellte dem Stadtoberhaupt einige Fragen.

 Oberbürgermeister Rüdiger Schneidewind, der ursprünglich Lehrer werden wollte, beantwortet im Kursraum der Projektgruppe Deutsch E-Kurs 11 von Eberhard Jung Fragen des Schülers Henrik Albrecht (rechts). Links am Pult: Verena Paul von der Stiftung Demokratie Saarland. Foto: SZ/Jung

Oberbürgermeister Rüdiger Schneidewind, der ursprünglich Lehrer werden wollte, beantwortet im Kursraum der Projektgruppe Deutsch E-Kurs 11 von Eberhard Jung Fragen des Schülers Henrik Albrecht (rechts). Links am Pult: Verena Paul von der Stiftung Demokratie Saarland. Foto: SZ/Jung

Foto: SZ/Jung

Wie erklären Sie sich, warum so viele Deutsche angeben, zu Zeiten Hitlers nichts von der Judenvernichtung mitbekommen zu haben?

Schneidewind: Ich habe mich sehr viel mit dieser Frage beschäftigt. Wenn man sich mit Zeitzeugen unterhält, bekommt man unterschiedliche Aussagen. Die einen sagen, sie hätten gar nichts mitbekommen, die anderen meinen im Nachhinein: Wenn man Augen und Ohren offengehalten hätte, hätte man von diesen Verbrechen durchaus erfahren. Ich glaube, wenn die Menschen zugeben würden, dass sie etwas vom Völkermord wussten, dann hätten sie sich auch schuldig gefühlt. Deswegen haben sie alles verdrängt oder heruntergespielt.

Ansonsten wäre die nächste Frage gestellt worden: Warum habt ihr nichts dagegen getan? Ich glaube nicht, dass die breite Masse der Bevölkerung die tatsächlichen Ausmaße der Verbrechen erkannt hat. Die einfachen Leute in den Dörfern und Städten haben den Wahnsinn in Auschwitz sicher nicht geahnt. Dass Juden verschwunden sind, ließ sich aber nicht verheimlichen. Aber man wusste meist nicht, wo sie hingebracht wurden. Man hat zwar was von Arbeitslagern gehört, aber die riesige Dimension der Massenvernichtung war der Bevölkerung so nicht bewusst.

Wie beurteilen Sie die Ereignisse in Homburg während der Reichspogromnacht?

Schneidewind: Die war leider genauso schlimm wie im Rest des Deutschen Reiches. Auch hier gab es Angriffe auf die Synagoge, auf jüdische Geschäfte, jüdische Familien und ihre Häuser. Das gehört zu den dunkelsten Kapiteln der Stadt Homburg.

Wie hätten Sie sich während der Reichspogromnacht verhalten?

Schneidewind: Die Frage kann man heute noch in jeder Diktatur stellen: Wäre man fähig und in der Lage gewesen, Widerstand zu leisten vor dem Hintergrund, dass man Angst hat, sein eigenes Leben und das seiner Familie zu gefährden?

Ich möchte heute nicht behaupten, dass ich in der Lage wäre, in einer Diktatur einfach in den Widerstand zu gehen. Das lässt sich immer dann leicht sagen, wenn - wie wir jetzt - in einem Rechtsstaat, in einer Demokratie , leben, wo wir alles sagen dürfen. Aber wenn eine Aussage Repressalien mit sich bringt bis hin zum Tod, ist es natürlich sehr viel schwieriger. Deswegen gilt meine Bewunderung all denen, die sowohl damals als auch heute Diktaturen Widerstand leisten. Das ist wirklich ein Schritt, der nicht einfach ist.

Welche Erinnerungen an Homburger Juden gehen Ihnen besonders nahe?

Schneidewind: Als Familienvater berührt es mich sehr, wenn ich Berichte lese, wie Väter miterlebten, dass ihre eigenen Kinder oder ihre eigene Frau erst gedemütigt und dann verschleppt wurden.

Warum gibt es nach Ihrer Einschätzung heute noch rechtsradikale Menschen?

Schneidewind: Rechtsradikalität hat etwas damit zu tun, dass es Menschen gibt, die Angst vor Veränderung und Angst vor Fremden haben. Ich möchte die Rechtsradikalen einteilen in zwei Gruppen: Zum einen gibt es diejenigen, die die Führerschaft im negativen Sinn im System der Rechtsradikalen übernehmen, die wohl auch ein bisschen mehr Bildung haben und diese dazu nutzen, ihre Machtstrukturen aufzubauen. Zum anderen gibt es ihre Gefolgsleute, denen oft sowohl die Bildung als auch persönliche Erfolge fehlen. Aus ihrer Unzufriedenheit und den Zukunftsängsten erwachsen oft Aggressionen.

Häufig sind es auch Menschen, gerade Jugendliche, die mit sich selbst Probleme haben, die sich ausgeschlossen fühlen und dann in dieser Gruppe der Rechtsradikalen scheinbare Stärken finden. Würden diese Jugendlichen auf andere, vernünftige Gruppen treffen, die ihnen echten Halt bieten, würden sie erst gar nicht in diese rechtsradikale Ecke abdriften.

Was kann die Politik tun, um den Rechtsextremismus einzudämmen?

Schneidewind: Wir bieten zunächst einmal Bildung, Bildung, Bildung. Je mehr Informationen die Menschen haben und je gebildeter sie sind, desto weniger laufen sie Rattenfängern hinterher. Wir haben ja aktuell die Diskussion über religiösen Extremismus. Ein anderer wichtiger Faktor ist, dass wir versuchen, den Jugendlichen neben Schule und Bildung auch Chancen zu eröffnen, von der Freizeitgestaltung bis hin zur Integration in unsere Gesellschaft, nicht nur bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Sie können zum Beispiel teilhaben am Vereinsleben, dem Sport und allem, was das gesellschaftliche Leben bietet.

Wie gehen Sie mit Neonazis um, wenn sie sich vor Ihnen outen?

Schneidewind: Das kommt drauf an. Wenn der Neonazi ein gewisses Alter hat, wie ich etwa, dann drehe ich mich ab und beschäftige mich nicht besonders mit ihm, da ich weiß, dass ein vernünftiges Gespräch zu nichts führt. Ich biete ihm höchstens noch Paroli, wenn andere umher stehen, weil ich Angst habe, dass diese auf seine Aussagen hereinfallen. Aber im Zwiegespräch wende ich mich ab und gehe.

Bei Jugendlichen sehe ich das anders: Ihnen sollte man die Chance bieten, aus ihrer geistigen Verirrung herauszukommen, und ihnen andere Wege aufzeigen.

Was unternimmt die Stadt Homburg gegen die Rechtsradikalen?

Schneidewind: Wir sind im Rahmen unseres j.o.s.h-Programms permanent unterwegs. Wir bieten außerdem jährlich die Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht, hatten vor Jahren auch die Anne-Frank-Ausstellung, die wir wieder nach Homburg holen sollten, damit Jugendliche erkennen, wie elend das Leben in einer Diktatur ist. Auch wollen wir sie mit unseren Jugendräumen davon überzeugen, dass wir gemeinsam ohne Hass besser leben.

Wird es in Homburg eine Fortsetzung des Edith-Aron-Preises geben?

Schneidewind: Ja, es ist schon beschlossen, dass dieser Preis vom Saarpfalz-Kreis und von der Stadt Homburg fortgesetzt wird. Er wird nach dem Lebensmotto des Auschwitz-Überlebenden Alex Deutsch benannt: "Lernt miteinander zu leben, nicht gegeneinander!"

Würden Sie sich kurz vorstellen?

Link: Ich stamme aus Hagen/Westfalen, wohne seit 1993 in Zweibrücken, bin gelernte Bankkauffrau, hatte Schauspielunterricht und war einige Jahre im Staatstheater Saarbrücken tätig. Seit ein paar Jahren verkörpere ich bei Stadtführungen in der Region regelmäßig Regina Wirth, die Frau des Widerständlers Johann Georg August Wirth, sowie in Zweibrücken und Blieskastel die Kammerzofe Henrietta auf den Spuren von Mördern und Betrügern vergangener Zeiten. Meine Figuren sind bis ins Kleinste durchdacht und die Kostüme selbst maßgeschneidert. Freude macht mir die eigene Ausarbeitung der Führungen, d.h. ausgiebige Suche in Archiven und Bibliotheken , um Ereignisse und Gegebenheiten zu finden, die nicht in jedem Geschichtsbuch stehen.

Was hat Sie inspiriert, in die Rolle der Regina Wirth zu schlüpfen?

Link: Regina Wirth ist eine mutige und tapfere Frau, die als Vorbild dient. Sie lebte mit drei Kindern in einer Zeit voller Widrigkeiten und meisterte alles ohne großen Schutz. Ihr Mann saß oft im Gefängnis ein. Ihr Leben war nicht einfach. Für die Ideale ihres Mannes hat sie alles verloren, doch niemals den Mut. Ihre Kinder haben alle eine gute Schulbildung genossen.

Was war das Lustigste und Auffallendste, das Ihnen während Ihrer Stadtführungen passiert ist?

Link: Das Auffallendste ist, wenn ich auch privat als Frau Wirth angesprochen werde. Das Lustigste ist: Es hat mal jemand scherzhaft zu mir gesagt: "Oh Frau Wirth, sind Sie heute ja als Frau Link verkleidet."

Wie haben Sie sich auf Ihre Rolle als Regina Wirth vorbereitet?

Link: Grundlage ist ein umfassendes Bücherstudium sowie eine ausgiebige Suche in Archiven und Bibliotheken . Aus den Lebenserinnerungen von Wirths Sohn Max konnte ich sehr viele familiäre Interna entnehmen, damit die Darstellung authentisch und lebendig wirkt. Unerlässlich ist auch eine umfassende Kostümrecherche. Mantel und Kleid sind selbst geschneidert nach Bildern aus der Biedermeierzeit. Außerdem suchte ich nach einer Biedermeierschute (Hut) und fand eine Nachbildung eines Rohlings aus der Zeit von 1830, die ich dann selbst dekorieren musste.

Wie beurteilen Sie das Leben von Regina und Johann Georg August Wirth?

Link: Sehr mutig und bewundernswert. Sie haben sich für demokratische Ziele eingesetzt und dabei mit großem Risiko eigene Beschwerlichkeiten auf sich genommen.

Gibt es Parallelen zwischen Ihrem Leben und dem von Regina Wirth?

Link: Insofern, dass ich gerne Zeitung lese, um umfassend informiert zu sein. Im Austausch mit der Nachbarschaft stehen mir am Tag zwei verschiedene Tageszeitungen zur Verfügung, die ich intensiv lese.

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