Homburger Covid-19-Spezialist im SZ-Interview „Möchte dem Virus aus dem Weg gehen“

Homburg · Covid-Experte des Uniklinikums spricht über den Verlauf der Krankheit, Schutzausrüstung und Unterstützung für Bedienstete.

 Professor Philipp Lepper ist in der Homburger Universitätslungenklinik ganz vorne dabei im Kampf gegen die Corona-Pandemie.

Professor Philipp Lepper ist in der Homburger Universitätslungenklinik ganz vorne dabei im Kampf gegen die Corona-Pandemie.

Foto: Philipp Lepper/UKS

Im Uniklinikum, einem von drei saarländischen Corona-Zentren, werden seit Wochen schwerste Fälle von Covid-Erkrankungen behandelt. Besonders involviert ist die Klinik für Innere Medizin V– Pneumologie, Allergologie, Beatmungs- und Umweltmedizin um ihren Leitenden Oberarzt Professor Philipp Lepper. Er hält im Interview das Saarland zwar für gut gerüstet und rechnet nicht mit einer Überlastung der Kliniken, auch bei einem möglichen Anstieg der Fallzahlen. Doch der Krankheitsverlauf an sich sei kaum vorhersehbar.

Herr Professor Lepper, wie ist die Stimmungslage gerade bei Ihnen? Fühlt es sich an wie die Ruhe vor dem Sturm?

 Solche Beatmungsgeräte auf den Intensivstationen von Kliniken sind bei der Corona-Pandemie besonders wichtig.

Solche Beatmungsgeräte auf den Intensivstationen von Kliniken sind bei der Corona-Pandemie besonders wichtig.

Foto: dpa/Uwe Anspach

PHILIPP LEPPER Insgesamt ist die Stimmung gut. Wir merken natürlich eine andere Belastung und ein anderes Arbeiten. Das Gefühl der Ruhe vor dem Sturm verfliegt vielleicht langsam ein klein wenig. Klar sehen wir die Modellierungen des Infektionsverlaufs und die Vorhersagen über eine Zunahme der Erkrankungsfälle. Doch wir haben das Gefühl, dass es sich aktuell auf einem gewissen Niveau hält, mit dem wir gut umgehen können.

Wie haben Sie Ihre Intensivmedizin umgebaut und diensttechnisch umstrukturiert?

LEPPER Die Intensivmedizin am UKS ist ja sehr groß und auf verschiedene Abteilungen verteilt, Covid-19 stellt uns vor gewisse Herausforderungen. Wir haben Kapazitäten sukzessive ausgebaut und Bereiche für Covid-positive und Covid-negative Patienten geschaffen. Im Moment haben wir in der akuten Situation 24 Covid-Betten auf der Lungen-Intensivstation, die direkt betrieben werden können. Unser Konzept sieht aber vor, dass wir immer weitere Bereiche öffnen können. Dementsprechend können wir das auch diensttechnisch immer an den gesteigerten Bedarf anpassen. Dienstpläne erstellen wir aktuell für zehn Tage, um flexibel zu bleiben. Im Moment sind alleine auf der Lungen-Intensivstation elf Ärzte und rund 50 Pflegekräfte im Einsatz.

Wie wirkt sich diese Vorbereitung auf Corona-Patienten auf den übrigen Betrieb der Intensivstation aus?

LEPPER Bei uns auf der Lungen-Intensivstation kümmern wir uns um die Covid-positiven Patienten. Links und rechts von uns haben wir eine starke Intensivmedizin, die zurzeit die Patienten mitversorgen, um die wir uns normalerweise kümmern. Diese Intensivstationen sind teilweise entlastet dadurch, dass das OP-Programm heruntergefahren ist. Kollegen der anästhesiologischen Intensivstation versorgen ebenfalls Patienten mit schwerem Lungenversagen, die nicht am neuartigen Coronavirus erkrankt sind. Alle Patienten werden weiterhin versorgt, wenn es sich um dringliche Eingriffe oder Notfälle handelt.

Wie viele Intensivbetten und insbesondere Beatmungsplätze stehen Ihnen zur Verfügung?

LEPPER Auch die Covid-negativen Patienten müssen richtig versorgt werden. Bei reduziertem OP-Programm haben wir auf dem Campus derzeit etwa 50 Menschen in dieser Gruppe, die intensivmedizinische Betreuung und teilweise Beatmung brauchen. Zudem haben wir tagesaktuell 15 beatmete Patienten mit Covid-19. Wir könnten nochmal etwa 100 Covid-positive Patienten beatmen. Wir können diese 100 Betten bei Bedarf nach und nach öffnen, sie sind immer in Gruppen von acht bis zwölf Betten gruppiert. Wenn wir die nächsten acht bis zwölf Betten nutzen müssen, wird der nächste Intensivbereich personalisiert, sodass wir immer etwa acht Betten Puffer haben. Es ist aber relativ unwahrscheinlich, dass binnen 24 Stunden so viele schwerkranke Patienten zu uns kommen, die intubiert werden müssen. Wir haben zudem eine spezielle Station mit 32 Betten, auf der Patienten liegen, die weniger schwer an Covid-19 erkrankt sind. Wir können Patienten bei Bedarf zwischen den Bereichen verlegen. Bei diesem Konzept können Ärzte und Pflegepersonal festlegen, wann die nächste Stufe zünden muss.

Wie kann man sich den Ablauf vorstellen, wenn ein Corona-Patient bei Ihnen behandelt wird? Kann jeder in das Krankenhaus seiner Wahl gehen, bringen Rettungsdienste die Betroffenen immer ins nächstgelegene Klinikum?

LEPPER Im Saarland funktionieren der Rettungsdienst und das Notarztsystem wie immer. Wichtig für die Bevölkerung ist aber weiterhin, bei Krankheits-Symptomen direkt zu reagieren – unabhängig vom Coronavirus: Wenn es zum Beispiel auf der Brust drückt, man Schmerzen beim Luftholen hat, soll man nicht denken: „Ich gehe besser nicht in die Notaufnahme, ich könnte dort ja Corona bekommen“. Die Notfallversorgung ist an allen saarländischen Krankenhäusern sichergestellt.

Corona-Patienten müssen, wenn der Krankheitsverlauf schlimm ist, beatmet werden. Wie läuft diese Intubation ab? Wie kann man sich das vorstellen, auf was kommt es dann an?

LEPPER Es ist ein Routinevorgang: Der Patient erhält Medikamente, dass er richtig tief schläft, unter Umständen wird auch die Fähigkeit zur Muskelbewegung genommen, der Patient kann dann nicht mehr selbstständig atmen. Dann wird mit Hilfe eines speziellen Gerätes, dem sogenannten Laryngoskop, der Beatmungsschlauch, der Tubus, eingesetzt. Es wird viel diskutiert, dass es beim Corona-Patienten drauf ankommt, dass er niemanden anhustet und Aerosole freiwerden. Aber zum einen sind wir in der Corona-Situation gut geschützt, zum anderen ist es sowieso ein relativ seltener Vorgang, dass eine Intubation vor einem Hustenreiz erfolgt. Der Hustenreiz ist bei Covid-Patienten teils unglaublich intensiv, da muss man sich einfach gut schützen.

Und zwar mit Schutzvisieren?

LEPPER Ja, wir nutzen unter anderem FFP-Masken und Schutzvisiere und ziehen aus Praktikabilitätsgründen in der Regel einen Overall an, den man aber nicht unbedingt bräuchte. Er ist relativ robust und reißfest, man könnte ihn die ganze Schicht tragen, wenn es erforderlich wäre. Dazu noch doppelt Handschuhe. Normalerweise würde man sich nicht so stark schützen. Bei uns im Covid-Bereich haben sich in den vier Wochen, in denen wir Covid-Positive behandeln, weder ein Arzt noch eine Pflegefachkraft am intubierten Patienten angesteckt. Das ist anders als in Italien, wo sich teils jede dritte Pflegefachkraft oder Arzt beim Patientenkontakt infiziert hat. Wir fühlen uns zum jetzigen Zeitpunkt ausreichend geschützt und können derzeit davon ausgehen, dass immer für ausreichend Schutzausrüstung gesorgt ist.

Nochmal zurück zur Intubation. Dabei muss in jedem Fall der Patient noch zustimmen beziehungsweise es muss aus der Patientenverfügung hervorgehen, dass der Schritt gewollt ist?

LEPPER Wenn der Patient sich nicht mitteilen kann oder keine Patientenverfügung vorliegt, behandeln wir ihn schon immer nach dem mutmaßlichen Patientenwillen. Den würde man auch ohne Corona zu eruieren versuchen, wenn er nicht ganz klar ist. Dann würde vielleicht nicht beatmet werden – denn wenn die Maximalversorgung nicht gewünscht ist, müssen wir einen würdevollen Tod ohne Luftnot, Schmerzen, Angst, Kälte, Hitze, Hunger oder Durst also ohne alle Qualen von innen oder außen anstreben. Es ist unsere tägliche Aufgabe, dass das Sterben auch so passieren kann.

Wie können Sie die Angehörigen der Corona-Patienten über deren Zustand informieren? Ein Zutritt ist ja unmöglich…

LEPPER Die Angehörigen können seit jeher zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen. Wir wissen, dass sie gerade bei so langen Erkrankungen Tag und Nacht Sorgen und Ängste haben. Es ist eine schwere Situation für diejenigen, die zu Hause sind. Und wenn sie ihren Angehörigen nicht sehen können, muss man sie ermutigen, dass sie immer anrufen können, auch nachts. Man kann vielleicht nicht immer lange telefonieren, aber oft reicht es schon, wenn man sagen kann: Er oder sie ist stabil.

Wie bereiten Sie sich auf die Situation vor, dass die Patientenzahl so groß wird, dass Sie nicht mehr alle gleichzeitig behandeln können und eine Wahl zwischen Patienten vornehmen müssen?

LEPPER Wir Intensivmediziner machen das ja eigentlich schon immer, das ist ein Teil unserer Arbeit und somit nichts grundlegend Neues. Wir haben beispielsweise am UKS ein Transplantationszentrum. Dort muss bei knappen Ressourcen, also wenigen Organen, die transplantiert werden können, ebenfalls schon immer eine Auswahl getroffen werden. Die Angst der Bevölkerung ist im Wesentlichen, dass man irgendwann sagen müsste, jetzt wird ein Patient ab einem gewissen Alter nicht mehr beatmet. Ich persönlich glaube gegenwärtig nicht, dass wir im Saarland in eine solche Situation bei Covid-19 kommen werden, wie von der Bevölkerung befürchtet – wir sind auf diese Aufgaben gut vorbereitet. Die meisten von uns möchten ohne große Abstriche wieder genesen. Viele Menschen sagen – auch bei anderen Erkrankungen: „Wenn das nicht zu machen ist, dann möchte ich das nicht“. Ein sehr alter Mensch profitiert auch ohne Covid-19 nicht unbedingt davon, dass er vier Wochen intensivmedizinisch behandelt wird.

Welche Erfahrungen haben Sie mit den Corona-Patienten gemacht, die bisher bei Ihnen zur Behandlung waren? Sind es tatsächlich vorwiegend Ältere mit Vorerkrankungen?

LEPPER Bei uns sind es bislang eher Patienten mittleren Alters mit wenigen Vorerkrankungen. Der Altersdurchschnitt hier liegt bei 55 bis 60 Jahren. Es sind Menschen aus dem Berufsleben, die vorher relativ fit gewesen sind. Was den Behandlungsverlauf angeht, so ist Covid-19 eine sehr neue Erkrankung, die ganz anders ist, als andere Lungeninfektionen die wir sonst sehen. Ich denke, es ist eine Erkrankung, die sehr stark auch die Lungengefäße betrifft. Wir sehen Lungen, die recht gut zu beatmen sind, wie sonst bei akutem Lungenversagen nicht. Das Krankheitsbild dauert allerdings sehr lange. Es sind aber bislang zu wenige Fälle, um eine solche Frage fundiert zu beantworten.

Ist es realistisch, dass bei Patienten, gerade Älteren, eine Corona-Infektion komplett ausheilt, ohne Nachwirkungen? Oder ist mit schweren Folgeschäden zu rechnen?

LEPPER Im Moment ist das schwer abzusehen. Nachwirkungen, von denen wir wissen, dass sie gravierend sind, etwa dauerhaft eingeschränkte Lungenfunktion oder dauerhafte Veränderungen in den Lungengefäßen, können wir zum jetzigen Zeitpunkt schlecht abschätzen. Bei sehr hohen Fallzahlen wird es sicher auch Menschen geben, die Folgeschäden davontragen.

Wie stehen Sie vor diesem Hintergrund zu der Idee, dass man sich ansteckt, um es hinter sich zu haben?

LEPPER Diese Frage hatte ich mir zu Anfang auch gestellt. Aber ich habe schwer kranke Patienten bei uns gesehen, die nicht weit weg von meiner Altersgruppe sind, manche sogar jünger. Es ist ein Glücksspiel: Manche sind asymptomatisch Träger und merken von Covid-19 nichts, andere liegen drei Wochen auf der Intensivstation und sind todkrank. Ich persönlich möchte dem Coronavirus aus dem Weg gehen und schütze mich, indem ich mich an die Vorgaben halte und auf Station Schutzausrüstung nutze und die Hygienemaßnahmen einhalte.

Inwiefern steht Ihnen ausreichend Schutzausrüstung zur Verfügung, insbesondere auch Schutzmasken für den Intensivbereich?

LEPPER Ich habe im Moment das Gefühl, dass wir gut ausgestattet sind.

Sie behandeln einige Patienten aus Frankreich. Welche Kapazitäten hätte das UKS, weitere Fälle aus dem Ausland aufzunehmen? Wie, mit wem und unter welchen Gesichtspunkten wird koordiniert, an welcher Stelle solche Patienten im Saarland aufgenommen werden?

LEPPER Wir haben bislang sechs Patienten behandelt, fünf von ihnen sind noch da, eine Patientin konnte wieder zurück nach Frankreich entlassen werden – sie konnte sogar direkt nach Hause. Wie es nach dieser ersten Aktion weitergehen wird, entscheidet der Krisenstab bei uns gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium. Ich halte es für möglich, dass wir weitere Patienten aus Frankreich und Italien aufnehmen. Das ist eine Sache, die man machen sollte, weil man die Möglichkeit dazu hat. Gleichzeitig muss man immer die Balance halten zwischen einem humanitären Einsatz und der Versorgung der eigenen Bevölkerung.

Die erwartete Behandlung vieler Corona-Patienten ist auch psychisch eine schwere Belastung für Ihre Mitarbeiter: Inwiefern gibt es hier seelsorgerische oder psychologische Unterstützung?

LEPPER Auf unserer Intensivstation sind wir schon immer ein gutes Team mit gutem Zusammenhalt über die Berufsgruppen hinweg. Wir haben aber die Möglichkeit, auf Angebote der Klinik für Psychiatrie zurückzugreifen. Es wurde früh darauf hingewiesen, dass in China mehr Fälle von Depressionen und Burn-out gibt, daher wurden bei uns entsprechende Hilfsangebote zur Verfügung gestellt. Auch ohne Covid-19 ist es bei der Intensivmedizin immer auch eine Aufgabe, dass man untereinander aufeinander achtet und entsprechend Vorkehrungen trifft, dass die Menschen im Team an dieser Aufgabe keinen seelischen oder körperlichen Schaden nehmen.

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