Hörbuch-Kritik Wenn die Nazis damals schon Internet gehabt hätten. . .

Homburg · Andreas Eschbach verlegt in seinem „NSA“ die digitale Revolution in die Zeit der Weimarer Republik. Das NS-Regime erhält so ungeahnte Möglichkeiten.

 NSA von Andreas Eschbach

NSA von Andreas Eschbach

Foto: Lübbe Audio

Was wäre gewesen, wenn schon die Nazis dieses oder jenes gehabt hätten? Andreas Eschbach versucht sich in seinem jüngsten Werk „NSA“ an einer Antwort. Er verlegt die digitale Revolution einfach 70 Jahre vor in die Weimarer Republik. Das Nazi-Reich verfügt also über ort- und abhörbare Handys, das Weltnetz, ein Quasi-Internet, und hat das Bargeld durch Geldkarten ersetzt. Und natürlich gibt’s ausspähfähige Diskussionsforen á la Facebook, die die Nazis kontrollieren. Die totale Überwachung in Perfektion.

Wie sich diese ganzen Datenschutzbrandherde auswirken, über die wir heutzutage oft mahnend nachdenken, thematisiert Eschbach im Brennglas der Nazi-Herrschaft. Da werden zu Beginn von der titelgebenden Behörde NSA in Weimar, dem Nationalen Sicherheits-Amt (nur zufällig die gleiche Abkürzung wie die amerikanische National Security Agency?), Bürger ausfindig gemacht, die Juden Unterschlupf gewähren. Und dies anhand der Lebensmittel, die sie gekauft haben, respektive eines Kalorienüberschusses. So wird auch Anne Frank mitsamt ihres Tagebuchs in Amsterdam aufgespürt.

Nach diesem intensiven Auftakt nimmt Eschbach erstmal den Schwung raus und rollt auf, wie es die schüchterne, Graue-Maus-Programmiererin Helene Bodenkamp zur NSA verschlagen hat. Und wie sie anschließend der NSA hilft, Fabriken in den USA zu sabotieren und via File-Transfer von einem dortigen Rechner Pläne für eine Atombombe zu klauen. Auch hat sie mit Entwicklungen zu tun, bei denen via Hirntransplantat das Wesen und die Einstellungen der Menschen zu Nazi-Gunsten manipuliert werden. Nebenbei organsiert sie für den jungen Kriegsdeserteur Arthur einen Unterschlupf auf dem Bauernhof ihrer besten Freundin – und verliebt sich in den jungen Mann. Was auch dahingehend ein Problem ist, weil ihre Familie sie solo wähnt und ständig mit Nazi-Größen verkuppeln will. So auch mit dem Quasi-Quasimodo Ludolf von Argensleben, der nicht mehr locker lässt.

Treffend kreiert Eschbach Begriffe, wie sie damals hätten sein können – etwa Programmstrickerinnen für Programmiererinnen (denn Männer können das nicht), Elektrobriefe für E-Mails, Volkstelephon für Handy, Parole für Passwort. Das gibt der Nazi-Modernität einen altbackenen Anstrich. Doch trotz einiger herausragender Ideen hat man immer das Gefühl, dass Eschbach das Potential des Settings nicht ausschöpft. Nicht nur die zahlreichen Logikmängel – Computer auf Dampfantrieb-Niveau, die aber letztlich über technischen Möglichkeiten von heute samt Datenspeichern verfügen – zwingen bisweilen zum großzügigen Darüber-Hinwegsehen. Über lange Strecken der bisweilen zähen Handlung wirkt es auch, als beschreibe er das Jetzt mit Facebook, Handys, Datenschutzproblemen, Handyortung, Gesichtserkennung. Wie es sich im NS-Regime auswirkt, wird eher beiläufig thematisiert.

Lange wirkt es auch so, als würden sich die technischen Möglichkeiten kaum auf den Kriegsverlauf auswirken. Diese Kurve bekommt Eschbach erst sehr spät. Dazu gerät die titelgebende Behörde NSA nach etwa zwei Dritteln des Buches aus dem Blickfeld und spielt kaum mehr eine Rolle. Immerhin: Die Gefahren neuer Medien und unseres Umgangs mit Daten werden vor Augen geführt.

Laura Maire macht ihre Sache als Vorleserin derweil überaus gut: Vor allem als Stimme der Helen Bodenkamp gibt sie dieser Figur Kontur. Aber auch als arrogant-wahnsinniger Nazi oder schräger Ludolf überzeugt sie.

Andreas Eschbach: NSA, Lübbe Audio, 689 Minuten, gekürzte Lesung, ISBN: 978-3-7857-5763-5.

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