Hörbuch-Kritik Unsere Heimat auf dem Weg zum Höllenplaneten

Homburg · In „Die unbewohnbare Erde – Leben nach der Erderwärmung“ zeigt David Wallace-Wells, was uns in Folge der Klimaerwärmung in wenigen Jahrzehnten blühen dürfte: Krankheiten, Feuer, Stürme und und und. Aufrüttelnd, deprimierend, aber auch auffordernd, es soweit nicht kommen zu lassen.

 Die unbewohnbare Erde. Foto: Rubikon Audioverlag

Die unbewohnbare Erde. Foto: Rubikon Audioverlag

Foto: Rubikon Audioverlag

Ein Januar mit 15 Grad bei uns, während in Australien bei Höllenfeuern Milliarden Tiere sterben. Zustände, die man im Hinterkopf noch als ungewöhnliche Ausnahme wahrnimmt. Doch an die wir uns gewöhnen müssen. Nur dass sie noch öfter vorkommen und drastischer ausfallen. Und das ist nur der Anfang, erklärt der Journalist David Wallace-Wells in seiner Abhandlung über den Klimawandel in seinem „Die unbewohnbare Erde – Leben nach der Erderwärmung“. Um es vorwegzunehmen: Dieses, vom Rubikon-Audioverlag sehr gut umgesetzte, Sachbuch hat das Zeug, auch größten Klimawandel-Skeptikern schlaflose Nächte zu bereiten.

Und dabei gelingt es Wallace-Wells noch nicht mal durchgängig, ohne den erhobenen Zeigefinger zu argumentieren. Und er wiederholt sich mit der Zeit auch immer wieder. Und doch ist diese spekulative Vorschau durchdringend, zeigt sie doch basierend auf intensiver Literaturrecherchen und zahlreichen Interviews mit Wissenschaftlern, wie sich die Menschheit binnen weniger Jahrzehnte seit der Industrialisierung an den Rand des Abgrundes manövriert hat. Wallace-Wells schildert dazu recht sachlich, was mit der Erde voraussichtlich infolge der Klimaerwärmung passiert: beispielsweise mehr Kohlendioxid in der Luft, steigende Temperaturen, sich erhitzende Meere, immer mehr immer stärkere Wetterphänomene.

Wallace-Wells betrachtet in zwölf Kapiteln sich anbahnende Folgen: die zunehmende Zahl von Riesenbränden, immer mehr Hitzewellen, steigende Meeresspiegel samt versinkender Städte, was wiederum zu Fluchtbewegungen führt und die Versorgungssituation und Armut verstärkt. Süßwasser wird Mangelware, Krankheitserreger breiten sich aus, es fehlt an Nahrungsmitteln, Kriege um Ressourcen entbrennen, ein Wirtschaftskollaps droht und dann verstärken die Effekte sich gegenseitig. So könnte ein Auftauen des Permafrostbodens auf der Nordhalbkugel alleine so viel klimaschädliches Methan freisetzen, dass sich das aktuelle CO2 in der Luft daneben wie ein Witz anfühlt.

Dass etwas im Gange ist, spüren wir heute in Ansätzen am eigenen Leib. Sicher scheint: Heutige Teenager und Kinder erleben noch, wie sich die Bedingungen für die Menschheit auf der Erde dramatisch verschlechtern, sie erleben, wie sie in Teilen unbewohnbar wird. Doch schreitet der Klimawandel dann doch zu langsam voran, um uns von heute auf morgen zu drastischen Gegenschritten zu bewegen. Umgekehrt, so Wallace-Wells: Was verändert wurde, lässt sich nicht mehr auf Knopfdruck sofort umkehren. Selbst wenn unmittelbar alle Staaten der Welt höchste Klimaziele umsetzten, sei es schon zu spät und eine gewisse Erderwärmung komme mit Verzögerung – und verändere den Planeten nachhaltig.

All das was der Autor ausmalt, fußt auf Hochrechnungen, Vermutungen, ist Spekulation. Denn um wieviel sich die Temperatur erhöht, wie stark der CO2-Gehalt zunimmt, das hängt von zu vielen Faktoren ab, um es auch nur im Ansatz wirklich vorhersehen zu können. Ebenso, welche Klimaveränderungen sich genau und wie stark einstellen. Ein Umstand, den der Autor mehrfach betont. Kernaussage: Ein „weiter so“ ist unmöglich.

Was Kritikern im Buch zu kurz kommen mag: Wie konkret wir unser Verhalten ändern und wie wir die bestehenden Schädigungen im Einzelnen zu reparieren versuchen könnten. Etwa die theoretische Möglichkeit, CO2 aus der Luft zu saugen, wird aufgezeigt, aber schnell als unpraktikabel verworfen. Ebenso die Möglichkeit, die Erde künstlich zu verdunkeln, damit mehr Staub in der Atmosphäre wie ein Schild wirkt und Hitze ablenkt. Darauf, dass die Erde sich in manchen Punkten regeneriert oder es den Menschen auch gelingen könnte, sich anzupassen (durch schwimmende Städte vielleicht) wird zu wenig eingegangen. So bleibt auch ein Eindruck von Schwarzmalerei. Die allerdings angesichts der uns täglich erreichenden Nachrichten und politischen (Nicht)-Entscheidungen angebracht ist.

Mark Bremer liest das Sachbuch ohne Theatralik, doch im richtigen Tempo, um über das Gesagte grübeln zu können. Ein Drama in schillernden Farben gezeichnet – würde es frei erfunden auf einem anderen Planeten spielen, könnte man sich wenigstens danach wieder beruhigt zurücklehnen.

David Wallace-Wells: Die unbewohnbare Erde – Leben nach der Erderwärmung, Rubikon-Audioverlag, 618 Minuten, ungekürzt, ISBN 978-3-948343-03-3

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