Heimatgeschichte im Saarpfalz-Kreis Ein Ortsname, der Ratlosigkeit hinterlässt
Wie der heutige Homburger Stadtteil Lappentascherhof zu seinem Namen kam. Die Namensgebung reicht bereits 200 Jahre zurück.
Der Ortsname klingt gar sonderbar und hinterlässt bei so manchem unkundigen Zeitgenossen erst recht Ratlosigkeit, wenn er in der lokalen Mundart ausgesprochen wird – wer hätte denn für „Lappetäsch“ auch wirklich eine schlüssige Erklärung parat? Dass damit der auf Hochdeutsch Lappentascherhof bezeichnete Stadtteil im Nordwesten von Homburg gemeint ist, braucht hierzulande für Insider freilich keine Erklärung.
Erfunden wurde dieser Name von bayerischen Beamten, die vor bald 200 Jahren damit befasst waren, die Pfalz, seit 1816 zum Königreich Bayern gehörig, katastermäßig zu vermessen. Sie verstanden vieles, was im hiesigen Dialekt gesprochen wurde, falsch oder auch gleich gar nicht, und kreierten aus dem, was sie aufschnappten, vermeintlich hochdeutsche Begriffe. Dass „Lappentasch“ aber auch gar nichts mit Taschen aus Lappen zu tun hat, erklärt sich aus der Geschichte des Weilers, die mit der Herrschaft „La Bretesche“ in Frankreich zusammenhängt. Das gleichnamige Schloss in der Bretagne, mit dessen Bau im 14. Jahrhundert begonnen wurde, befindet sich – vielleicht ein Treppenwitz der Geschichte – ganz in der Nähe der Homburger Partnerstadt La Baule. Ob die historische Beziehung Pate bei dieser Jumelage (Städtepartnerschaft) gestanden hat, sei dahingestellt. Esprit Jousseaume de la Bretesche, seines Zeichens Marquis („Markgraf“) des kleinen Territoriums im Südosten der Bretagne, war für die Homburger Stadtgeschichte jedenfalls in anderer Hinsicht von besonderer Bedeutung: La Bretesche war namensgebend für den „Lappetäsch“.
Es begann alles damit, dass Frankreich in den Herrschaftszeiten von Ludwig XIV. alles daran setzte, vermeintlich rechtmäßig zum Staat gehörende Städte und Regionen zu erobern. In dieser sogenannten „Reunionszeit“ im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts wurde auch Homburg dem Reich des Sonnenkönigs einverleibt. Als militärstrategisch wichtiger „Schlüssel zum Westrich“ wurden Burg und Stadt zur massiven Festung „Homburg la Forteresse“ ausgebaut, der auf Festungen spezialisierte Baumeister Sebastian le Prestre de Vauban (1633-1707) zeichnete verantwortlich dafür. Von 1679 an hatte Homburg nun Rang und Funktion der Hauptstadt der französischen Saarprovinz. Diese umfasste im Süden sämtliche deutschsprachigen Teile des Herzogtums Lothringen, reichte im Westen bis an die Prims, im Norden über den Hunsrück bis an die Mosel und im Osten bis an die Haardt.
Auch wenn diese Zentralfunktion bald an Saarlouis abzutreten war, wurden der Auf- und Ausbau der Stadt mit Vehemenz vorangetrieben. Die Zuwanderung war zahlreich, vor allem aus französischsprachigen Gebieten. Auch die Militärpräsenz, die Bauarbeiten sowie der Verwaltungsausbau hatten zur Folge, dass sich viele Untertanen des Sonnenkönigs ansiedelten. Bestes Beispiel dafür ist Esprit Jousseaume Marquis de la Bretesche, der ab 1680 als Kommandant der Festung fungierte. Und er ließ für sich in Sichtweite davon ein Gehöft errichten – den „La-Bretesche-Hof“ eben. Das Anwesen entstand auf einer „Bodenschwelle“, einer leichten Anhöhe am Rand des damals noch existierenden, ausgedehnten „Vierherrenwaldes“.
Der Marquis, 1638 geboren, war bereits mit knapp 19 Jahren in den königlichen Musketierdienst eingetreten. Er sollte sich im Militärdienst Meriten erwerben, und insbesondere 1674 bei der Belagerung von Maastricht im Süden Hollands machte er von sich reden. Vier Jahre später sah er sich allerdings in der Stadt eingeschlossen, eine Kanonenkugel zerschmetterte beim Versuch, auszubrechen, eines seiner Beine. Die Amputation war nicht zu vermeiden. Das hinderte La Bretesche aber nicht daran, weiterhin Kriegsdienst zu tun. So eroberten von ihm befehligte Einheiten am 4. Mai 1678 die heute belgische Stadt Loos. Am 23. November 1680 wurde er zum Gouverneur von Homburg, zum Kommandanten der Truppen in der gesamten Saarprovinz und in den angrenzenden Gebieten ernannt.
In Homburg, das unter La Bretesches Regie das noch heute erkennbare Gepräge erhielt, ist auch das Franziskanerkloster am nordwestlichen Schlossberghang eng mit seinen Homburger Jahren verbunden. Auf seine Initiative hin siedelten sich Ordensgeistliche aus der Kölner Kirchenprovinz an, die nicht nur seelsorgerisch tätig waren. Sie versahen auch Dienst im Militärhospital, aus dem später das Waisenhaus und danach die Hohenburgschule erwuchs. Auch wurde zu dieser Zeit, am 8. April 1697 genau, der Grundstein für die Klosterkirche (der späteren Synagoge) gelegt – La Bretesche galt als großer Feind der Hugenotten und sah seine Aufgabe auch darin, sich dem Protestantismus entgegenzustemmen. Als 1685 Hugenotten auf ihrer Flucht aus Metz in die Nähe von Homburg kamen, ließ er Männer, Frauen und Kinder in den Kerker werfen und zwang sie, ihrer Religion abzuschwören. La Bretesches ansehnliche Spende für den Bau der „Kreuzkapelle“ auf dem Blieskasteler Han ist ebenfalls vor dem Hintergrund zu sehen, dass er der katholischen Kirche zu mehr Macht und Einfluss verhelfen wollte.
La Bretesche verließ Homburg 1697, nach dem Frieden von Rijswijk, mit dem der „Pfälzische Erbfolgekrieg“ beendet und in dem die Zerstörung der Homburger Festung vereinbart wurde. Er wurde nun Gouverneur von Mainz, Generalleutnant der königlichen Armeen und schließlich Kommandant im Poitou und Aunis an der französischen Atlantikküste. La Bretesche starb am 27. Juli 1706 in der französischen Küstenstadt Les Sables d’Olonne und fand dort auch sein Grab. Sein Name blieb, zunächst noch unverballhornt, an dem von ihm begründeten Gehöft hängen. Auf der berühmten Naudin-Karte aus dem Jahr 1705, die sich in Metz befindet, ist noch von „La Breteche“ nahe „Hombourg“ die Rede. Das Anwesen bekam danach immer wieder neue Besitzer. So sind 1719 die ebenfalls aus Frankreich stammenden Familien Lejeune und Munier belegt; sie waren zuvor in Kirrberg ansässig. Im Jahr darauf wird Jean Munier als „herrschaftlicher Kohlenbrenner“ erwähnt – ein Hinweis darauf, dass der La-Bretesche-Hof in den Besitz des Herzogtums Pfalz-Zweibrücken übergegangen war.
1779, also ein Jahrhundert nach der Erbauung, kam die herzogliche Oberhofmeisterin Caroline von Esebeck, ihres Zeichens auch einflussreiche Mätresse des Landesherrn Karl II. August, ins Spiel: Sie tauschte ihr Gut in Kleinottweiler gegen den Lappentascherhof ein. Ihr war daran gelegen, den alten Namen auszuradieren bzw. vergessen zu machen, und benannte die Neuerwerbung nach ihrem zweiten Vornamen in „Augustenbergerhof“ um. Diese Namensänderung setzte sich allerdings nicht durch. Aber Caroline Auguste von Esebeck gelang es, den Hof von allen Steuern und sonstigen Lasten befreien zu lassen, auch weitere besondere Privilegien rang sie ihrem auf Schloss Karlsberg residierenden Gönner und Liebhaber ab.
Die Französische Revolution machte den Lappentascherhof zum Staatsgut, die dazugehörigen Ländereien – Äcker und Wiesen – wurden an örtliche Bauern versteigert. Die Hofanlage selbst war zu Beginn der bayerischen Zeit zunächst noch im Esebeckschen Besitz – Maximilian Karl Freiherr von Esebeck starb daselbst 1831. Der Neffe der herzoglichen Gespielin hatte zuvor zunächst das Amt des Oberbürgermeisters, dann des Bürgermeisters der Stadt Zweibrücken bekleidet. Der nachfolgende Besitzer veräußerte nun auch die baulichen Anlagen an die in Altstadt beheimateten Familien Schwitzgebel und Baus, die fortan für die Expansion des „Lappetäschs“ (oder auch „Lappetasch“) zu einem durch Landwirtschaft geprägten Weiler mit stetig steigenden Bewohnerzahlen sorgten; aktuell zählt der Ort rund 200 Bewohner. Über lange Jahre hinweg war das Sportfest des TuS Lappentascherhof zu Pfingsten überregional legendär – montags fand das Endspiel „um die Wutz“ statt, was scharenweise Besucher anlockte. Es gab Gasthäuser auf dem Lappentascherhof, eine eigene Kerb wurde und wird nach wie vor Ende August/Anfang September gefeiert. Heute prägt eine fortschreitende Nutzung durch Industrien und Gewerbe das Areal des Lappentascherhofes, Ackerland, Wald und Wiesen werden zusehends überbaut. Vom einstigen Hofgut des Marquis de la Bretesche hat sich sichtbar nicht mehr erhalten – unterirdisch gibt es freilich noch Gewölbekeller, die aus der Erbauungszeit vor 350 Jahren stammen.