Reihe „Vips lesen vor“ „Harter Stoff“ bei der Lesezeit

Homburg · Professor Wolfgang Reith, Ärztlicher Direktor des Uniklinikums, las in der Reihe „Vips lesen vor“ der Homburger Lesezeit aus „Die Welle“.

 Mit dem Roman „Die Welle“ hatte sich Professor Wolfgang Reith für seine Lesung im Bistro 1680 nicht gerade leichte Kost ausgewählt.

Mit dem Roman „Die Welle“ hatte sich Professor Wolfgang Reith für seine Lesung im Bistro 1680 nicht gerade leichte Kost ausgewählt.

Foto: Sebastian Dingler

Die Fragen, wie es zur Herrschaft des Nationalsozialismus’ kommen konnte oder ob jeder immer gleich versteht, dass er gerade dabei ist an einem neuen totalitären System mitzuwirken, sind Themen des 1981 erschienenen Romans „Die Welle“ von Morton Rhue.

Dieser beschreibt das Experiment eines Lehrers, das im Jahr 1967 in den USA stattgefunden hat: Damals veranstaltete ein Geschichtslehrer einen sozialpsychologischen Versuch mit seinen 15-jährigen Schülern, um diesen ihre eigene Manipulierbarkeit vor Augen zu führen.

„Die Welle“ ist eines der Lieblingsbücher von Klinikdirektor Professor Wolfgang Reith, der es jetzt in der Reihe Vips lesen vor (VLV) im Bistro 1680 vortrug.

Ursprünglich hatte er vor, bei der Lesung auch aus dem Roman „Timbuktu“ von Paul Auster zu lesen, weil er Auster früher „verschlungen“ habe. Dann wurde ihm jedoch klar, dass beide Bücher wohl zu viel Raum für eine Lesung eingenommen hätten. Das war wahrscheinlich auch die beste Lösung. Denn „Die Welle“ in einer halben Stunde abzuhandeln, wäre ein schwieriges Unterfangen gewesen, zumal Reith komplett auf Zusammenfassungen der Handlung verzichtete. Er ließ aus Zeitgründen nur einige Passagen weg.

So erfuhren die etwa 50 Zuhörer, wie die Schüler einer Highschool auf einen Film über die Gräueltaten der Nazis betroffen reagieren und anschließend Fragen stellen, die der Lehrer Ben Ross nur für ihn selbst unbefriedigend beantworten kann. Wie konnten Leute damals so grausam sein? Wie konnten sie einfach blind die Befehle befolgen?

Ross entschließt sich daraufhin, ein sozialpsychologisches Experiment durchzuführen. Er führt drei Wahlsprüche ein, „Macht durch Disziplin“, „Macht durch Gemeinschaft“ und „Macht durch Handeln“, entwirft ein Zeichen, verteilt gelbe Mitgliedskärtchen und gibt der neuen Organisation einen Namen: „Die Welle“.

Zunächst entstehen dadurch eine Art Teamgeist und mehr Disziplin bei den Hausaufgaben, durchaus positive Effekte. Auch der unbeliebteste Schüler blüht plötzlich auf, sind doch alle Mitglieder der Welle gleichberechtigt. Doch dann verselbständigt sich das Ganze: Nicht-Mitglieder werden gemobbt, verfolgt und geschlagen. Freundschaften zwischen Welle-Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern zerbrechen. Eine Weile sieht Ross dieser Entwicklung noch zu, dann wird ihm klar, dass er sie stoppen muss. Er beruft eine Versammlung ein und verspricht den Mitgliedern, dass aus der Welle nun eine nationale Jugendbewegung geworden ist, deren Führer im Fernsehen zu den Schülern sprechen werde. Das ist natürlich erfunden: Tatsächlich zeigt der Lehrer ein Bild von Adolf Hitler auf einer Leinwand und erzählt ihnen, dass sie alle gute Nazis geworden wären. Die Lektion kommt am Ende an, nur einer schluchzt in der Ecke: Robert, der zuvor unbeliebteste Schüler der Klasse.

„Harter Stoff“, sagte VLV-Mitorganisatorin Jutta Bohn am Ende der Lesung und Reith pflichtete ihr bei. Es sei notwendig, dass das Buch an Schulen durchgenommen werde, der Stoff sei an Aktualität nicht zu überbieten, meinte der Professor. Sehr zu empfehlen sei auch die deutsche Verfilmung mit Jürgen Vogel in der Hauptrolle. „Ich fand das sehr interessant, es war meine erste Lesung. Die Abschnitte des Romans sind sehr gut und nahtlos ineinander übergegangen. Ich kannte sowohl Buch als auch den Film. Das war eine schöne Gelegenheit, das noch mal vorgetragen zu bekommen“, sagte Clemens Meier.

Anni Schindler fand die Lesung sehr spannend und vor allem gut, dass das Thema noch mal aufgegriffen wurde. „Ich habe ja damals auch vieles erlebt“, meinte sie, die als Kind noch das Hitler-Deutschland kennenlernte. „Es ist aber alles von mir weggehalten worden. Mein Vater war kein Nazi und auch nicht im Krieg, weil er in der Waffenproduktion gebraucht wurde. Er war aber auch nie zuhause, wenn er gebraucht wurde. Hoffentlich kommt so was nicht mehr.“

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