Filmemacherin aus WörschweilerDenunziert, verhaftet und ermordet

Wörschweiler. Alles begann an einem Abend in Homburg, genauer im Stadtteil Wörschweiler. "Der Winter 2003 war eiskalt. Seit zehn Jahren arbeitete ich nur noch journalistisch. Für Radio und Fernsehen. Die Konzerte mit jiddischen und deutschen Liedern hatte ich aufgegeben", sagt Gabi Hellen Bollinger im Gespräch mit der Saarbrücker Zeitung

 Filmkünstlerin der Gegenwart: Gabi Heleen Bollinger aus Wörschweiler, die während des Max-Ophüls-Festivals ihr aktuelles Werk in Koproduktion mit Stefan Urlaß zeigt. Foto: Maurer/SZ

Filmkünstlerin der Gegenwart: Gabi Heleen Bollinger aus Wörschweiler, die während des Max-Ophüls-Festivals ihr aktuelles Werk in Koproduktion mit Stefan Urlaß zeigt. Foto: Maurer/SZ

Wörschweiler. Alles begann an einem Abend in Homburg, genauer im Stadtteil Wörschweiler. "Der Winter 2003 war eiskalt. Seit zehn Jahren arbeitete ich nur noch journalistisch. Für Radio und Fernsehen. Die Konzerte mit jiddischen und deutschen Liedern hatte ich aufgegeben", sagt Gabi Hellen Bollinger im Gespräch mit der Saarbrücker Zeitung. "Wir schürten das Feuer, tranken Wein, der Bildhauer Leo Kornbrust war zu Besuch", sinniert die Künstlerin. Er habe geredet von der Idee, seine Straße mit lauter Skulpturen in der saarländischen Landschaft mit Kollegen weiter über die Grenzen zu tragen. Der 1929 geborene saarländische Künstler Leo Kornbrust (Foto: Hiegel/SZ) verehrte seit seinem Studium in München seinen Kollegen Otto Freundlich. "Sofort hatte ich verstanden und beschloss, die Bildhauer mit der Kamera zu begleiten. Ich wusste, mit diesem Film wird ein neues Lied entstehen. Ich werde suchen, finden und singen. Vielleicht, wenn es glückt, werde ich es auch mit den Zuschauern zusammen singen", sagt sie mit einem Blick ins Zurück. - Die Idee zum Film "das geht nur langsam" war geboren, die Spurensuche konnte beginnen.Otto Freundlich konnte seine Vision nicht verwirklichen. 1937 benutzen die Nationalsozialisten eine seiner frühen Kopfskulpturen für das Titelblatt des Katalogs zur Propagandaausstellung "entartete Kunst". Im Alter von 65 wird Freundlich deportiert. Der Zug fuhr nach Polen in das Vernichtungslager Majdanek.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Freundlich in Deutschland vergessen. Doch dann entdeckte Kornbrust das Vermächtnis des ermordeten Kollegen: Zwei Skulpturenstraßen wollte Freundlich quer durch Europa bauen. Seine konkrete Utopie einer Welt-Gemeinschaft. Freundlich nannte sie "Straße der Brüderlichkeit" und "Straße der Solidarität". Kornbrust hat das Vermächtnis angenommen und baut mit Kollegen seit vierzig Jahren eine "Straße des Friedens". Eine Hommage an Otto Freundlich.

Gabi Heleen Bollinger erzählt weiter: "Im Film sind wir mit Leo Kornbrust unterwegs. Zu Fuß, mit dem Flugzeug, mit dem Auto. Wir folgen Otto Freundlichs Spur. Von Nord nach Süd, den französischen Pyrenäen bis nach Pontoise bei Paris, von West nach Ost, über Slupsk nach Majdanek in Polen bis nach Moskau". Eine Spurensuche nach Antworten auf Fragen, wie: Lebt heute noch jemand, der Freundlich kennt? Wo war sein letztes Atelier in Paris? Wer hat ihn verraten? "Parallel zur Spurensuche, erleben wir im Film wie die Bildhauer an der Straße des Friedens arbeiten.

Skulpturen schaffen, sie versetzen. Alles wird organisiert und zusammengehalten von Leo Kornbrust", erklärt die Filmemacherin, die auch Mutter zweier erwachsener Söhne ist. "Wir können so einen fast vergessenen Künstler wieder entdecken. Nicht vor dem Hintergrund der Kunstgeschichte, sondern als einen Menschen, der den zerstörerischen Kräften mit seinem Schaffen eine Alternative aufzeigen will."

Auf dem Max-Ophüls-Festival ist der Film "das geht nur langsam" am kommenden Mittwoch, 19. Januar, 17.30 Uhr, Kino 8 1/2, zu sehen.

Karten unter Tel. (06 81) 3 90 88 80 oder E-Mail: kraus@kinoachteinhalb.de. Dauer: 110 Minuten; Buch und Regie: Gabi Heleen Bollinger;

Kamera: Stefan Urlaß, Klaus Hennrich; Schnitt: Stefan Urlaß; Musik: Tzvi Avni.

Homburg. Otto Freundlich (Foto: SZ-Archiv) wurde am 10. Juli 1878 in Stol in Pommern geboren. Er war ein deutscher Maler und Bildhauer, auch Verfasser kunsttheoretisch-philosophischer Schriften, einer der ersten Vertreter der abstrakten Kunst.

Er entschloss sich nach verschiedenen Tätigkeiten, darunter ein Zahnmedizinstudium, Künstler zu werden. Er begann 1902 Kunstgeschichte, Musiktheorie und Philosophie in München und Berlin zu studieren und veröffentlichte erste Aufsätze in Zeitschriften. Während einer Studienreise nach Florenz im Winter 1906/07 erkannte er die Bildhauerei und Malerei als seine stärksten Begabungen und nahm ab 1907 privaten Kunstunterricht in Berlin bei Lothar von Kunowski und Lovis Corinth. 1908 ging er nach Paris und wohnte am Montmartre im Bateau-Lavoir unter einem Dach mit dem damals jungen Pablo Picasso, mit Georges Braque und anderen. Hier fand er zu seinem persönlichen "figural-konstruktivistischen Stil symbolistischer Prägung". 1911 entstanden seine ersten abstrakten Kompositionen. Nach der Revolution 1918 engagierte sich Freundlich als Mitglied in der Novembergruppe. 1919 organisierte er die erste Kölner Dada-Ausstellung zusammen mit Max Ernst und Johannes Theodor Baargeld. 1924 erfolgte der Umzug nach Paris. Ab 1930 war die deutsche Künstlerin Jeanne "Hannah" Kosnick-Kloss seine Lebensgefährtin, zur gleichen Zeit entwickelte er seine Farbfeldmalerei. 1931 trat Freundlich in die neu gegründete Künstlerorganisation "Abstraction-Création" ein. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde er als Jude in Frankreich interniert, jedoch auf Betreiben Picassos zunächst von den Behörden wieder freigelassen. Er floh 1940 in das Pyrenäen-Dorf Saint-Paul-de-Fenouillet, wurde denunziert und am 23. Februar 1943 von den Nazis verhaftet. Freundlich wurde von der deutschen Besatzungsmacht in das KZ Lublin-Majdanek deportiert und dort noch am Tag seiner Ankunft am 9. März 1943 ermordet. jkn

"Ich werde

suchen, finden

und singen."

Gabi Heleen Bollinger,

Filmemacherin

Zur Person

Gabi Heleen Bollinger wurde 1953 in Zweibrücken geboren. 1968 zog sie mit ihren Eltern nach Afrika ins Land Elfenbeinküste. Ab 1973 studierte sie Musikwissenschaft, Germanistik und Erziehungswissenschaften an der Saar-Universität und gab nebenbei Konzerte. Mit drei Musikern gründete sie 1975 die Gruppe Espe. Bis 1993 war sie in Israel und Europa mit jiddischen und deutschen Liedern unterwegs, spielte 19 Platten ein und trat in vielen TV-Sendungen auf. Mitte der 1980er begann sie ihre journalistische Arbeit mit Hörfunksendungen zum jiddischen Lied, zur jiddischen Literatur und Kultur für SWR3 und SR2. Seit 1991 ist sie auch fürs TV tätig. Mit dem Schriftsteller Ludwig Harig schrieb sie 1988 das Hörspiel und die Espe-Revue "Jankele". Ihre Produktionen "Falado - Hein & Oss - Die Volkssänger", 2008, und "Kleines Saarland an der Beaume", 2009, fanden bundesweit große Beachtung. jkn

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