Videodreh auf dem Schlossberg Geschichten, die das Klavier erzählt

Homburg · Der Homburger Musiker Erlo Wagner nahm ein Musikvideo auf dem Schlossberg in Homburg auf. Wir sprachen mit ihm über seine Leidenschaft.

 Der leidenschaftliche Hobbymusiker und Erbacher Erlo Wagner hat ein Musikvideo auf dem Homburger Schlossberg gedreht.

Der leidenschaftliche Hobbymusiker und Erbacher Erlo Wagner hat ein Musikvideo auf dem Homburger Schlossberg gedreht.

Foto: Sebastian Dingler

Wer sich mit Erlo Wagner über dessen Lebensweg unterhält, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Denn so ungewöhnlich wie sein Vorname sind auch die Wendungen, die der 41-Jährige in seinem Berufsleben vollzogen hat. Kürzlich machte der Prokurist einer Werbeagentur und leidenschaftliche Hobbymusiker mit einem Musikvideo auf sich aufmerksam, das er auf dem Homburger Schlossberg gedreht hat. Doch dazu später.

Wagner wird 1979 in Kusel geboren. Der Vater ist evangelischer Pfarrer und zieht mit der Familie kreuz und quer durch die Pfalz. Als Erlo zehn Jahre alt ist, kommt er ins Saarland, nach Jägersburg. Schon vorher wird er in die Musikschule zum Keyboard-Unterricht gesteckt. „Wenn ich mal keine Lust hatte zum Üben, hat meine Mutter andere Register gezogen: Da hat sie gesagt, sie kauft mir die Lego-Ritterburg nur, wenn ich ab sofort zweimal in der Woche übe.“ Wichtig ist Wagner im Nachhinein der Unterricht bei Harald Frego in Schönenberg-Kübelberg. Das kommt so: „Ich war begeistert von ‚I’d Do Anything for Love‘ von Meat Loaf. Ich hab dann mit meinen 14 Jahren versucht, das auf dem Keyboard nachzuspielen. Eines Tages kommt Frego und packt die Noten von dem Song aus – da war er natürlich mein Held.“ Ab da muss der junge Musiker nicht mehr mit Lego motiviert werden. Auch tritt er in die Schulband des Mannlich-Gymnasiums ein.

Als er den Homburger Kantor Stefan Ulrich die bekannte Toccata von Léon Boëllmann spielen hört („ein Kraft-Stück“), beschließt Wagner: „Das will ich auch können.“ Er nimmt Orgelunterricht bei Ulrich und legt 1997 die C-Prüfung als Organist ab. In diesem Jahr beginnt der junge Musiker auch mit dem Komponieren: Für ein kleines Ensemble schreibt er eine Fuge, die in Oberbexbach aufgeführt wird. Er experimentiert außerdem mit den Synthieklängen seines Kurzweil-Keyboards.

Nach dem Bundeswehrdienst weiß Wagner nicht so recht, was er lernen soll. Ein klassisches Klavierstudium kommt nicht in Frage („da bin ich nicht zu Hause“), Jazz interessiert ihn auch eher am Rande.

Auf dem Arbeitsamt empfiehlt man ihm, eine Ausbildung als Toningenieur und Komponist zu machen. Acht Tage geht er in Frankfurt zu einem privaten Institut, dann schmeißt er hin. „Ich war im Saarland frisch verliebt und habe keine Wohnung in Frankfurt gefunden. Ich dachte mir: Was passiert mit meiner Beziehung, wenn ich da weitermache?“ Im Dezember 2001 heiratet Wagner seine Frau Marion, mit der er heute zwei Kinder hat und in Erbach wohnt. Er beginnt eine Lehre als Veranstaltungstechniker und stößt bald wieder auf ein ähnliches Problem: „Ich mochte den Job. Aber ich dachte mir, wenn ich hauptsächlich abends und am Wochenende unterwegs bin, dann habe ich in zwei Jahren entweder noch den Job oder meine Frau.“

Er entscheidet sich für die Liebe und beginnt in einem Kosmetikgroßhandel zu arbeiten. Dort stellt er sein Talent für Marketing fest, nur: Ausbildung in diesem Bereich besitzt er keine. Wieder folgt eine schier unglaubliche Geschichte: Wagner bringt den Direktor einer Saarbrücker Berufsschule dazu, dass er sich ein paar Monate in die letzte Schulbank setzen darf, um anschließend zur Prüfung anzutreten. Die besteht er mit Bravour, es folgen Jahre der Beteiligung an einer Firma in Luxemburg, bis er die Festanstellung in einer Werbeagentur in Saarwellingen bevorzugt. In all dieser Zeit kommt er selten zur Musik. Wenn, dann zeichnet er kleine Skizzen von musikalischen Ideen auf. Er stellt fest, dass es nicht schlecht klingt, wenn er der Inspiration freien Lauf lässt, die Finger ohne nachzudenken über die Tastatur bewegt.

Bisweilen tritt Wagner als Pianist bei Candle-Light-Dinners oder Hochzeiten oder anderen Festivitäten auf. Die Coronakrise bewegt aber etwas in ihm. „Am 1. oder 2. April war das, da habe ich nachts wenig geschlafen. Ich dachte, die Welt geht den Bach runter.“ Als Reaktion darauf eröffnet der Musiker einen Youtube-Kanal und lädt Videos von ihm am Piano hoch. Schnell bekommt er Reaktionen, die ihn erkennen lassen, dass er manche Menschen mit seinen Stücken berührt. Dann, nach drei Monaten, schreibt ihn eine alte Schulkameradin an und teilt mit, dass Wagners Piano-Videos sie sehr berühren, ob es nicht eine CD davon gebe. Später stellt sich heraus: Die Schulkameradin arbeitet auf der Intensivstation mit beatmeten Patienten. „Immer wenn es ganz schlimm war, höre ich deine Musik“, schreibt sie an Wagner, was diesen zu Tränen rührt. Also setzt er sich mit seiner Familie hin und hört all die Fragmente durch, die sich in den letzten Jahren gesammelt hatten. Den Stücken werden dabei auch Namen verpasst.

Zwölf davon werden neu eingespielt für die CD. Zu einer solchen gehört natürlich auch ein Musikvideo. Die US-amerikanische Gruppe The Piano Guys, die ihre Videos oft in atemberaubender Natur drehen, inspiriert Wagner dazu, sein Keyboard auf den Schlossberg hochzuschleppen. Dort dreht er mit Hilfe einer Drohne und zwei befreundeten Videofilmern das Video zur Piano-Ballade „Wenn Liebe anfängt“

Während eines Sonnenuntergangs im November geschieht das – „das war witzig und kalt!“ Darauf angesprochen, dass sich seine Finger auf dem Video nicht immer synchron zur Musik bewegen, zeigt er aufs Fenster seines Studios: Dort hängt ein großer Zettel mit der Botschaft: „Heute erschaffen wir Exzellenz, nicht Perfektion.“ Er sei im Gegenteil stolz darauf, wie viele Passagen des Videos unter den gegebenen Umständen mit der Musik synchron verlaufen. „Derjenige, der Perfektion erwartet, wird bei mir nicht glücklich“, meint er. Ein besonders romantischer Song der CD enthält auch Orchesterklänge. Auf „Heimweh“ erklingen Streicher und Holzbläser. Letztere, das gibt Wagner zu, stammen von vorgefertigten Samples.

Aber bei den Streichern hat er wieder eine „verrückte“ Idee: Er fragt einen befreundeten Tontechniker, ob er sich Mikrofone ausleihen kann und nimmt im eigenen Wohnzimmer, vorher schon mit Decken abgedämpft, 40 Spuren von Streichinstrumenten auf. Pamela Buell spielt binnen acht Stunden neben ihrem Hauptinstrument Bratsche auch Geige und Kontrabass ein – das Ergebnis lässt Erlo Wagner professionell abmischen und ist am Ende „super happy“ damit. Tatsächlich klingt die Aufnahme wirklich, als habe der Pianist zusammen mit einem Orchester aufgenommen – ein bisschen Perfektion hat er also doch zu bieten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort