Anna Wimschneiders drei Leben

Homburg · Direkt, eindrucksvoll und schnell: In einer nur einstündigen Inszenierung der Württembergischen Landesbühne Esslingen kam im Saalbau der Stoff „Herbstmilch“ zur Aufführung. Die Vorlage liegt im 1985 veröffentlichten autobiografischen Roman Anna Wimschneiders.

 Barbara Stoll (links) und Katja Uffelmann gaben dem autobiografischen Roman „Herbstmilch“ von Anna Wimschneider Stimme und Gesicht – in einer ungewöhnlichen Inszenierung der Württembergischen Landesbühne Esslingen. Foto: Thorsten Wolf

Barbara Stoll (links) und Katja Uffelmann gaben dem autobiografischen Roman „Herbstmilch“ von Anna Wimschneider Stimme und Gesicht – in einer ungewöhnlichen Inszenierung der Württembergischen Landesbühne Esslingen. Foto: Thorsten Wolf

Foto: Thorsten Wolf

Als 1985 der autobiografische Roman "Herbstmilch" der Bäuerin Anna Wimschneider erschien, war das Buch ein echter Überraschungserfolg. Die in einfache Worte gekleidete Lebensgeschichte der 1919 geborenen Wimschneider berührte die Menschen, im Jahr 1988 formte der Regisseur Joseph Vilsmaier aus der Lebensgeschichte einen nicht minder beachteten Film. Zum Auftakt der Theatersaison in der vergangenen Woche gastierte nun die Württembergische Landesbühne Esslingen mit einer ungewöhnlichen Theater-Adaption von "Herbstmilch" im Homburger Kulturzentrum Saalbau. In einem Zwei-Personen Stück wurde die Geschichte Wimschneiders zu einem szenischen Dialog, der auf visuell schlichte, aber auch deswegen sehr eindringliche Art die Biografie mit all ihren Facetten vermittelte.

Die nicht übliche Inszenierung tat sich in ihrer Direktheit nicht schwer damit, die ungewöhnliche Lebensgeschichte der Anna Wimschneider zu transportieren. Der Eindringlichkeit kam auch die Kürze des Stücks entgegen, in gerade mal 60 Minuten erzählten die Schauspielerinnen Katja Uffelmann und Barbara Stoll all das, was die "drei Leben" von Anna Wimschneider so erzählenswert machen: Mit dem Tod der Mutter endet 1927 schlagartig die Kindheit der achtjährigen Anna. Fortan muss sie den Haushalt übernehmen und versorgt nicht nur ihren Vater, sondern auch ihre sieben Geschwister. Sie kocht, putzt, flickt und kümmert sich um das Vieh. Die Schule kommt dabei oft zu kurz. Auf einem Fest lernt Anna den sympathischen Jungbauern Albert Wimschneider kennen. Die beiden erzählen einander ihr bisheriges Leben, kommen sich in diesen Gesprächen immer näher.

Obwohl Alberts Mutter gegen die Verbindung ist, heiraten die beiden. Nur elf Tage später, am 1. September 1939, bricht der Zweite Weltkrieg aus. Albert wird eingezogen und Anna ist erneut auf sich allein gestellt, bewirtschaftet den Wimschneiderschen Hof und pflegt die kranken Verwandten ihres Mannes. Vor allem ihre Schwiegermutter macht ihr das Leben schwer. Doch Anna, die schon früh erwachsen werden musste, lässt sich nicht unterkriegen - und bringt all ihre Erinnerungen an ihr oft von Entbehrungen geprägtes Leben Mitte der 1980er Jahre als Buch heraus. Damit beginnt dann das dritte Leben von Anna Wimschneider, das einer Autorin.

Das Faszinierende an der "Herbstmilch"-Inszenierung der Württembergischen Landesbühne Esslingen: Mit ihren teils stakkatoartigen Dialogen, dem Wechsel von Erklärendem und Darstellerischem gelang es Uffelmann und Stoll unter der Regie von Sabine Bräuning, Bilder im Kopf der Zuschauer zu erzeugen - Bilder, die weit über die schlichte Kulisse der Inszenierung hinausgingen. Mit dieser Art der Adaption würdigte die Landesbühne auch die einfache und klare Sprache, mit der Wimschneider selbst in ihrem Roman "Herbstmilch" Einblicke in ihr Leben und ihre Lebensumstände gab.

Zum Thema:

Hintergrund Der Titel von Anna Wimschneiders autobiografischem Roman greift konkret die Lebensumstände der ärmeren Landbevölkerung zu ihrer Zeit auf: Als Herbstmilch bezeichnete man damals saure Magermilch, die nicht mehr verkauft werden konnte, die aber gleichzeitig ein wichtiges Nahrungsmittel für die Menschen war. thw

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort