Theaterwoche in Gersheim René Sydow bot unterhaltsam Bedenkenswertes

Gersheim · Eine fulminante Theaterwochen-Premiere legte der Kabarettist René Sydow auf die Bühne des Gersheimer Kulturhauses. Mit seinem dritten Soloprogramm „Die Bürde des weisen Mannes“, das nach rund 200 Vorstellungen seit März 2018 im September abgelöst wird, traf der den Nerv der Zuhörer.

 Der Kabarettist René Sydow bei seinem Auftritt.

Der Kabarettist René Sydow bei seinem Auftritt.

Foto: Wolfgang Degott

Die 120 Minuten bei der 34. Gersheimer Theaterwoche wurden von eloquenter Brillanz erleuchtet. Sydow demonstrierte eine Sprache von wütender Schönheit und bezaubernd poetischen Wendungen. Vor Jahren gewann er den Förderpreis der St. Ingberter Pfanne und gilt als der am lautesten geflüsterte Geheimtipp des politischen Kabaretts. Im Bliestal ging der Träger des Deutschen Kabarettpreises auch intensiv der Frage nach, was zum Menschen macht: Bildung? Wahlrecht? Oder doch nur freies W-Lan? „Sie merken, es könnte ein schwieriger Abend werden“, warnte er einen Zuschauer kurz nach Showbeginn. „Sechs Milliarden Menschen auf der Welt haben einen Internetzugang. Nur viereinhalb Milliarden haben Zugang zu einer Toilette – da fragt man sich, was wichtiger ist. W-Lan oder Stuhlgang?“

Es waren Fragen wie diese, die das Publikum verhalten zum Lachen brachten. Es war keine leichte Kost, die Sydow auf der Bühne präsentierte. Aber es lohnte sich, ihm zuzuhören. Er führte an, dass es nicht sein könne, dass in Deutschland 2,8 Milliarden Euro pro Jahr in die Digitalisierung der Schulen gesteckt werden, aber das Essen in der Schulmensa Tierfutter gleiche. „Technik macht uns weltfremd. Wir bestaunen einen Fortschritt, ohne ihn zu hinterfragen“, machte Sydow deutlich.

Er warnte vor einem digitalen Echoraum für Meinungen und Zielgruppen. Und davor, dass man vergesse, hinaus in die echte, algorithmenfreie Welt zu gehen und nur noch in einem System existiere, anstatt zu leben. Sydow kritisiert zudem die Konsumgesellschaft, in der günstige Preise die Kauflust ankurbeln. „Wir beuten uns selbst aus, im Glauben, uns zu verwirklichen. Wer möchte schon hören, dass 20 Kleider nicht glücklicher machen als zwei?“

In einer Zeit, in der die Jugend ihre Sprache verliere, auf YouTube in Verkaufsvideos „zugelabert“ werde und prominent sein bedeute, Reality-Show-Teilnehmer bei RTL zu sein, wünschte sich Sydow mehr Kunst und Kultur, die die Leute nicht da abhole, wo sie stehen, sondern sie fordere. Auch die Schule sei dahingehend wichtig. Sie dürfe nicht bloße Kompetenzen vermitteln, sondern müsse die Kinder in der Form bilden, dass sie etwas wissen, und nicht nur wissen, wo etwas steht.

Sydow beendet seine Show mit einem „privaten Bildungsauftrag“: „Es gibt in Deutschland Kollegen, die großartiges Kabarett machen, die Sie aber nicht kennen, weil diese nie im Fernsehen oder Radio laufen. Mein Tipp an Sie: Gehen Sie auch mal zu den Leuten, deren Namen Sie noch nicht kennen“, riet Sydow. Der Sinn seines Programms „Die Bürde des weisen Mannes“ lag laut Sydow darin, möglichst vielen die Augen zu öffnen. Genau das tat er auf ganz hervorragende Weise.

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