Erinnerung an eine schreckliche Zeit in Niedergailbach und drumherum Und dann fielen die Phosphorbomben

Niedergailbach · Die Zerstörung von Niedergailbach vor 75 Jahren: Heimathistoriker Otmar Gros hat diese Zeit eingehend beleuchtet.

 Unser Bild zeigt das zerstörte Kirchenschiff der Pfarrkirche St. Hubertus in Niedergailbach.

Unser Bild zeigt das zerstörte Kirchenschiff der Pfarrkirche St. Hubertus in Niedergailbach.

Foto: Otmar Gros

„Erinnerungen an die Zerstörung Niedergailbachs vor 75 Jahren – im März 1945.“ Mit diesen Worten hat der Heimathistoriker Otmar Gros seine Recherchen überschrieben und unserer Zeitung zugesandt. Nachfolgend all das, was er herausgefunden hat:

Vor 75 Jahren endete mit der Kapitulation am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg. Niedergailbach und seine Bevölkerung wurden, wie die gesamte Grenzregion, durch das Kriegsgeschehen arg gebeutelt. So mussten die Dorfbewohner zweimal – ohne Hab und Gut - ihre Heimat verlassen. Nachdem am 1. September 1939 im Rahmen einer gut organisierten Zwangsevakuierung die Niedergailbacher in die Fremde mussten und ab Sommer 1940 wieder zurückkehren konnten, verließen die meisten Dorfbewohner im Spätherbst 1944 wegen der nahenden Front mehr oder weniger freiwillig und „auf eigene Faust“ erneut die Region. Einige Dorfbewohner weigerten sich, ein zweites Mal ihre Heimat zu verlassen. So erinnert sich der damals elfjährige Edwin Anna, dass seine Familie erst einen Tag vor Heiligabend 1944 die Flucht ins Allgäu aufnahm.

Mit der Invasion in der Normandie ab 6. Juni 1944 durch die Westalliierten wurde nämlich im Westen Europas eine zweite Kriegsfront gegen das Deutsche Reich errichtet. Nach der Befreiung von Paris am 25. August 1944 ging der Vormarsch der Alliierten weiter, bis schließlich die US-amerikanischen Streitkräfte am 22. November 1944 Metz und Straßburg erreicht hatten. In den folgenden Tagen rückte die Front immer näher Richtung Blies. Der Bliesgau wurde dann über Wochen zur Hauptkampflinie.

Nach den Berichten von Zeitzeugen kamen die ersten amerikanischen Soldaten Mitte Dezember 1944 nach Niedergailbach. In der Tagesmeldung eines deutschen Regimentsführers vom 17. Dezember 1944 ist folgendes festgehalten: Am gestrigen Tage gegen 13 Uhr griff der Gegner (US-Armee) aus einem Waldstück südöstlich von Niedergailbach mit zwei Bataillonen an und erreichte Niedergailbach. Durch Artilleriebeschuss wurde die Pfarrkirche St. Hubertus am 18. Dezember 1944 leicht beschädigt. Wie Zeitzeugen berichteten, feierte deshalb Pfarrer Nikolaus Schreieck für die „Daheimgebliebenen“ den Weihnachtsgottesdienst 1944 in der Kapelle am Friedhof. Um die Weihnachtstage 1944 zogen sich die Amerikaner wieder aus dem Ort und der näheren Umgebung zurück.

Mit dem „Unternehmen Nordwind“ unternahmen die deutschen Streitkräfte ab der Jahreswende 1944/45 eine letzte Offensive an der Westfront. Über Wochen lieferten sich die Verbände der 17. SS Panzer-Grenadier-Division „Götz von Berlichingen“ und die US-Armee erbitterte Kämpfe. Niedergailbach und die benachbarten Grenzorte erlebten in diesen Tagen den schlimmsten Einschnitt ihrer neueren Geschichte. Für Niedergailbach waren die Tage Mitte März 1945 ein tiefgreifendes Ereignis, das viel Leid und Not über den Ort gebracht hat. Bei den Gefechten gegen die amerikanischen Streitkräfte fanden zahlreiche Soldaten auf beiden Seiten einen sinnlosen Tod, es gab auch Verletzte und Tote unter den „Daheimgebliebenen“.

Vor 75 Jahren – vom 11. bis 15. März 1945 – wurde Niedergailbach arg unter Beschuss genommen. Dabei gingen immer wieder Trommelfeuer der Artillerie mit Spreng- und Splittergranaten auf den Ort nieder.

Niedergailbach musste in dieser Zeit auch die schwersten Bombenangriffe – auch Phosphorbomben - über sich ergehen lassen. Die Daheimgebliebenen verbrachten diese Tage in ihren Kellern und Unterständen. 80 Prozent der Bausubstanz war danach beschädigt beziehungsweise ganz zerstört. Ende März 1945 war der Krieg in Niedergailbach und den angrenzenden Bliesgau-Dörfern quasi zu Ende, so das vorläufige Fazit von Otmar Gros.

Bei ihrer Rückkehr aus der Fremde waren viele Familien obdachlos. Die Situation der Dorfbevölkerung am Ende des Krieges hat aber auch gezeigt, dass Not zusammenschweißt und die Menschen enger verbindet. Da ein Großteil der Niedergailbacher – nach ihrer Evakuierungszeit – kein Zuhause mehr hatten, wurden die Obdachlosen von Nachbarn oder Freunden in deren teilweise auch beschädigten Häusern aufgenommen. So wohnten manchmal drei bis vier Familien unter einem Dach zusammen und das nicht nur für vier, fünf Wochen, sondern für teilweise vier bis fünf Jahre. Der Schulunterricht fand bis zum Jahr 1950 in der ehemaligen Gastwirtschaft Franz Rauch statt. Die Wirtschaftsräume der Zollsiedlung dienten bis 1954 als sogenannte Notkirche.

„Die Zeitzeugen, die die schrecklichen Ereignisse erlebt haben, werden immer weniger und damit auch die Zahl jener, die an das grauenhafte Geschehen erinnern können“, so Otmar Gros. Mit einer kleinen Bilderreihe, die er zusammengestellt hat, will er an das ganze Leid, die Zerstörung des Dorfes vor 75 Jahren aber auch an die 40 gefallenen und vermissten Soldaten und an die Toten und Verletzten aus der Zivilbevölkerung erinnern. Ein Foto haben wir hier abgedruckt. Seine Dokumente wollen aber auch Mahnung und Verpflichtung sein, sich dafür einzusetzen, dass so etwas nicht mehr geschieht. So zitiert er abschließend den schon verstorbenen Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der zu dem, was damals geschah, die wohl goldrichtigen Worte fand: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, der ist blind für die Gegenwart“.

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