Interview mit Gersheims Bürgermeister „Grenzschließungen sind ein ganz harter Schritt“

Gersheim · Der Bürgermeister von Gersheim, seit Januar erst im Amt, äußert sich zur Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf die Menschen in der Gemeinde.

 Bürgermeister Michael Clivot (links) im Austausch mit seinen Mitarbeitern des Bürgeramtes im Rathaus (von links): Thomas Lieber, Christiane Plitt-Jann und Susanne Wack.

Bürgermeister Michael Clivot (links) im Austausch mit seinen Mitarbeitern des Bürgeramtes im Rathaus (von links): Thomas Lieber, Christiane Plitt-Jann und Susanne Wack.

Foto: Wolfgang Degott

Seit Jahresbeginn führt der Walsheimer Michael Clivot die Verwaltung als Bürgermeister. Zuerst schleichend, dann aber mit voller Härte traf ihn die Corona-Krise, die ihn gemeinsam mit seinen Bediensteten im Rathaus zum Handeln aufforderte.

Wie begann die Arbeit, was wurde zuerst in Angriff genommen, um sich mit der Problematik auseinander zu setzen?

Michael Clivot: Schon vor den ersten landesweiten Regelungen haben wir einen Arbeitsstab gegründet, der einen Pandemie-Plan für das Rathaus entwickelte. Darin sind auch Schutzmaßnahmen für die Mitarbeiter, wie beispielsweise Plexiglas-Trennwände im Bürgeramt und am Empfang enthalten. Der nächste große Schritt war die Schließung des Rathauses, da der Publikumsverkehr zu groß blieb.

Mittlerweile wurde durch die Landesregierung eine Allgemeinverfügung erlassen. Welche konkreten Auswirkungen hat sie innerhalb der Gemeinde Gersheim?

Clivot: Viele unserer schon getroffenen Regelungen wurden durch sie bestätigt. Dazu zählt, dass alle Einrichtungen geschlossen, dass alle Versammlungen verboten sind. Auch dürfen Spielplätze und Sportstätten nicht mehr benutzt werden. Dies hat aber zur Folge, dass das Vereinsleben fast komplett zum Erliegen gekommen und das Freizeitangebot stark eingeschränkt ist.

Am Dienstag fand im Kulturhaus eine Gemeinderatssitzung statt, bei der auch Punkte auf der Tagesordnung standen, die sich konkret auf die Conorakrise bezogen haben.

Clivot: Mit einem verkleinerten aber beschlussfähigen Gemeinderat wurde in der Sitzung die Arbeit der nächsten Wochen organisiert. So wurde beschlossen sowohl dem Hauptausschuss die Aufgaben aller anderen Gemeinderats-Ausschüsse zu übertragen, als auch dem Bürgermeister Entscheidungen insbesondere innerhalb des Katastrophenschutzes zur Gefahrenabwehr zu treffen. Diese Ermächtigung wurde aber nur unter der Bedingung erteilt, dass der Rat anschließend unverzüglich davon unterrichtet wird. Zwar hat der Bürgermeister aufgrund des Paragrafen 61 des Kommunalselbstverwaltungsgesetzes (KSVG) ein gesetzlich verbrieftes Anordnungsrecht, doch war es mir wichtig, den Gemeinderat zu informieren und mit in die Entscheidung einzubinden.

In Gersheim existieren viele kleine Betriebe und Einzelunternehmen, die durch die jetzt eingetretenen Beschränkungen in finanzielle Schieflage geraten werden. Was kann die Gemeinde tun, und was erwarten sie von der „großen“ Politik?

Clivot: Wir versuchen, unseren kleinen Betrieben, aber auch anderen soweit als möglich zu helfen und stellen für sie ein Informationspaket zusammen. Darin enthalten sind die Bundes- und Landeshilfen, Möglichkeiten im Arbeitsrecht, im Kurzarbeitergeld, die Möglichkeiten der KfW-Kreditgewährung. Als Gemeinde werden wir Stundungsanträge für Steuern und Abgaben schnellstmöglich bearbeiten, damit die Unternehmen die Krise möglichst schadensarm überstehen und danach weiter bestehen bleiben. Auch werde ich persönlich Anfragen von Gewerbetreibenden beantworten.

Darüber hinaus existiert im Rathaus für alle Hilfesuchenden eine zentrale Anlaufstelle, welche?

Clivot: Ja, unsere Hotline (06843) 801-801. Mitarbeiter beantworten telefonisch alle Fragen, außer medizinische. Auch soll sie die zentrale Stelle für Nachbarschaftshilfe sein, wo sich sowohl Menschen melden können, die Hilfe suchen, als auch diejenigen, die unterstützen wollen. Hier soll die Notversorgung konzentriert und koordiniert organisiert werden.

Neben den Hilfen für Dritte hat die Gemeinde mit dem Ökologischen Schullandheim „Spohns Haus“ selbst ein großes Sorgenkind. Wie ist hier die Situation?

Clivot: Diese Einrichtung ist besonders betroffen. Mittlerweile hat eine große Stornierungswelle eingesetzt. Insbesondere durch die nicht mehr stattfindenden Klassenfahrten der Schulen erwarte ich bis Ende Juni einen Einnahmeausfall von 80000 Euro. Damit droht die Insolvenz.

Um die Zahlungsfähigkeit zu erhalten, hoffe ich auf die Flexibilität der Behörden. Insbesondere müsste erreicht werden, dass Kurzarbeitergeld bewilligt werden kann. Da Spohns Haus von einem Trägerverein geführt wird, ist das nach den derzeitigen Vorschriften nicht möglich. Dankbar sind wir deshalb über die Unterstützung des Umweltministeriums, die uns hilft zu überleben und keine Kündigungen aussprechen zu müssen.

Gersheim ist direkter Nachbar zu Frankreich, mit dem es durch eine 17 Kilometer lange Grenze verbunden ist. Wie reagieren Sie auf die Schließung?

Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass die Grenze zwischen unseren Ländern einmal geschlossen wird. Es ist ein Alptraum zumal ich 1992 dabei war, als am Grenzübergang in Reinheim ein Schlagbaum durchsägt wurde. Grenzschließungen sind ein ganz harter Schritt und ich hoffe, dass die Grenze nicht komplett gesperrt wird. Das wäre ein Rückschritt für Europa.

Gibt es für Sie nach einigen Tagen dieser seit dem Zweiten Weltkrieg größten deutschen Krise schon erste Lehren daraus?

Clivot: Wir müssen schlicht und ergreifend feststellen, dass sowohl die Firmen, die Behörden und Kommunalverwaltungen darauf nicht vorbereitet waren. Wir müssen sie ernst nehmen und entsprechende Vorkehrungen treffen, damit sie sich nicht wiederholt.

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