Eine Zeit, in der der Tod allgegenwärtig war

Limbach. Maria Klima, geborene Liebhart, Jahrgang 1919, aus der Heimatgemeinde Neppendorf nahe Hermannstadt, kam nach dem Tod ihres ebenfalls verschleppten Mannes 1997 nach Limbach, wo seit 1970 ihre Schwester wohnt.Am 3. Januar 1945 wurde bekannt, dass sich alle Männer und Frauen zwischen 17 und 45 Jahren zu melden hatten. Nach ihrer Verhaftung ging es am 15

Limbach. Maria Klima, geborene Liebhart, Jahrgang 1919, aus der Heimatgemeinde Neppendorf nahe Hermannstadt, kam nach dem Tod ihres ebenfalls verschleppten Mannes 1997 nach Limbach, wo seit 1970 ihre Schwester wohnt.Am 3. Januar 1945 wurde bekannt, dass sich alle Männer und Frauen zwischen 17 und 45 Jahren zu melden hatten. Nach ihrer Verhaftung ging es am 15. mit dem LKW zum Neppendorfer Bahnhof, wo in Waggons verladen wurde. Holzbretter dienten als Pritschen, auf dem Boden war Stroh ausgebreitet, in der Mitte stand ein Ofen. Nach einer wochenlangen Fahrt durch die Weiten Russlands bei immer kälteren Temperaturen endete der Zug in das am Unterlauf des Dnepr gelegene Dnepropetrow. Eisige KälteDort kam die Einweisung in große Säle der Petrovski Savod, eines Eisen verarbeitenden Werkes, das die Deutschen gesprengt hatten. Der Befehl an Männer und Frauen lautete, Reinigungs- und Aufräumarbeiten zu leisten. Klingt harmlos, doch die Realität war grausam: Aus dem vereisten Schutt musste alles Verwertbare an Eisen und Baumaterial mit der Eisenstange herausgebrochen werden und dann auf LKW verladen werden - eine kräftezehrende Arbeit bei mangelhaftem Essen: Morgens Wassersuppe, mittags Wassersuppe, angereichert mit Kascha, einem Hirsebrei, abends Wassersuppe, darin schwammen Gurken und Krautblätter, dazu 750 Gramm Brot. Fett gab es nicht. Hunger war der ständige Begleiter, auf Schritt und Tritt am Tag und in der Nacht, er war allgegenwärtig, im Traum, in der Phantasie, in den Gesprächen. Das prägnante Bild, das Herta Müller dafür fand, war "Hungerengel". Im April wurde Maria aus dieser Hölle befreit. Mit noch 200 Frauen wurde sie auf dem Kolchos eingesetzt. Zuvor mussten die Geschützgräben, ein Überbleibsel der Kämpfe, mit Schaufel, Spaten und Hacke eingeebnet werden. Auf dem einen Kolchos standen Obstbäume, zwischen denen Gemüse, Tomaten und Melonen angepflanzt wurden, auf dem anderen wuchsen Getreide, Kartoffeln und Sonnenblumen. Die Frauen mussten von morgens bis abends jäten und hacken, zwischen den Bäumen mähen, das Geerntete auf Lastwagen verladen. Im Sommer stiegen die Temperaturen auf über 40 Grad. Im Obstbaumkolchos, in dem Maria 1945 und 1946 arbeitete, konnte man in den Schatten der Bäume flüchten, im Getreidekolchos, in dem sie 1947 eingesetzt war, war man der prallen Sonne ausgesetzt. Auch diese Arbeit war eine Fron, aber besser zu ertragen, weil durch die Früchte des Feldes der "Hungerengel" nicht auf Schritt und Tritt folgte.Läuse und TyphusUntergebracht waren die Frauen in Zelten, in denen verlauste Eisenbetten standen. Zwischen zwei Zelten stand ein Holztisch, dahinter hatte man sich ein Erd-WC gegraben. 1947 durften die Frauen in Baracken, in denen links und rechts jeweils doppelstöckige Pritschen standen, einziehen. In einer ehemaligen Badestube, in der ein beheizbarer Kessel stand, konnte nun gebadet und die Wäsche gewaschen werden. Mit der elenden Läuseplage war es damit vorbei.In der Nähe war ein Sumpfgebiet, in dem Schilf wuchs, das für Matten auf Glashäusern geschnitten wurde. Viele fingen sich dort allerdings die Malaria ein: Ständiges Wechselfieber war die Folge, einmal hohe Temperaturen, man schwitzte, dann niedere Temperaturen, jetzt hatte man Schüttelfrost. Auch Maria wurde im September malariakrank, im Dezember war sie wieder arbeitsfähig, wie sie ihrem Mann, der die Nachricht im Tagebuch festhielt, brieflich mitteilte. Viele starben, manche auch deswegen, weil sie aus Heimweh ihre Medikamente nicht nahmen, weil sie hofften, wegen Arbeitsunfähigkeit nach Hause entlassen zu werden. War im Herbst die Arbeit auf dem Kolchos getan, durfte Maria in der Küche arbeiten - ein Glück, denn in der Zeit des größten Hungers 1946/47 bedeutete dies das Überleben. In dieser Zeit raffte der Hunger viele hinweg, so zwei von Marias Kusinen, die Geschwister Elisabeth und Maria Liebhart.1948 wurde für Maria der (Zwangs-)Aufenthalt dann erträglicher: Sie pflegte den Rasen und die Blumenbeete, die vor den Werksbüros angelegt waren, außerdem war sie Mitglied der neu gegründeten Kulturgruppe geworden. Singspiele und Theateraufführungen standen auf dem Spielplan, Regisseur war ein deutscher Kriegsgefangener, der zu Hause Intendant gewesen war. 1949 wurde die Kantine aufgelöst, mit dem Verdienst, den man jetzt bezog, versorgte man sich selbst. Die schlimmste Zeit war vorbei. Ein Beleg dafür ist das Foto aus dieser Zeit. Wer politisch nicht verdächtig war, wurde Ende des Jahres entlassen, auch Maria Klima. Am 15.Oktober 1949, nach vier Jahren und acht Monaten Zwangsarbeit, kam sie wieder nach Hause. Veronica Schmidt, geborene Seibert, Jahrgang 1925, strammt aus dem banatischen Ort Jahrmarkt nahe Temeschburg (Timisoara). Sie wohnt mit Tochter und Schwiegersohn seit 1970 in Limbach. Das Gerücht der Verschleppung war Ende 1944 bereits im Umlauf, am 14. Januar 1945 wurde es für die Seiberts Realität: Morgens um fünf begann das rumänische Militär mit den Verhaftungen, Vater Seibert und Tochter Veronika waren um zwölf Uhr dran. Ein Mann hatte sich geweigert mitzukommen, er wurde auf der Stelle erschossen. Nach der Überprüfung der vorher aufgestellten Listen durch die Russen ging's per LKW zum Bahnhof Temeschburg. Dort fand die Verladung in Viehwaggons statt. Der Boden war mit Stroh belegt, ein Loch mit einem Eimer war die Toilette. Nach acht Tagen wurden die Banater Deportierten in Focsani an der rumänischen Grenze in russische Waggons umgeladen. Wieder folgten viele Tage Fahrt durch die unendlichen russischen Weiten, man fror erbärmlich, es rächte sich, zu Hause nicht entsprechende Kleidung eingepackt zu haben. Dann Ankunft in Krivoi Rog (westlich des unteren Dnepr). Nachdem das Gepäck auf einen Haufen geschmissen worden war, kamen die rund 2000 Menschen ins Lager: ein großes vergammeltes Gebäude, die Fenster meist ohne Scheiben; als Betten dienten Pritschen aus frischen Holzbrettern, die, weil sie noch nass waren, nur Kälte verbreiteten. Beim Appell wurde jeder einzeln mit Namen aufgerufen, dann gings zur Entlausung. Mit Läusen hatten die Menschen aus dem Banat bisher nichts zu tun - nun waren sie allgegenwärtig. Das Essen bestand aus getrockneten Erbsen in Wasser, darin schwammen Käfer. Die meisten, darunter auch Veronika, konnten vor Ekel nichts essen. Am 5. Februar war der erste Arbeitstag: Nach Ausgabe der Arbeitsgeräte (Brecheisen, Hammer, Schaufel) musste auf freiem Feld bei hart gefrorenem Boden bis zu einer Tiefe von eineinhalb Metern Sand gegraben werden, in eine Trage geschaufelt werden, die zu zweit weggetragen wurde. Die Aufsicht führenden Russinnen stießen den Frauen ihr Gewehr in die Seite und schnauzten sie mit "Dawai, Fritz" an. Unfälle wegen Übermüdung kamen nicht selten vor; eine Frau aus Jahrmarkt wurde dabei schwer verletzt, eine andere verstarb kurz danach.Nächste Arbeitsstelle war der Bau: Mit dem Spaten mussten die Frauen Fundamente ausheben, Steine und Sand für die russischen Maurer, die zum Teil ehemalige Kriegsgefangene in Deutschland waren, beischleppen. Diese Schinderei ging über die Kräfte der meisten Frauen, dazu war das Essen mangelhaft und unzureichend: 500 Gramm Brot am Tag, klebrig und voller Spelzen, morgens, mittags und abends Wassersuppe, darin Kartoffeln und Kraut oder Gurken, dazu ein Esslöffel voll gekochter Gerste. Auch hier gab's kein Fett. Der "Hungerengel" war erneut ständiger Begleiter.Ein weiteres Problem war die Hygiene: Der Waschraum war mit einem großen Trog ausgestattet, über ihm waren Wasserhähne, aus denen kein Wasser lief, befestigt. Eine unvermeidliche Folge waren die Läuse. Abends mussten die Kleider nach diesen Plagegeistern abgesucht werden, erst dann fand man Ruhe. Wer zu müde war, riskierte, an Typhus zu erkranken.1946 kam Veronika in eine andere Arbeitsbrigade: Man musste den Mörtel, den die Männer gemischt hatten, zu den russischen Frauen transportieren, die die Häuser verputzten. Beim Bau einer Siedlung von 19 Einfamilienhäusern schleppten die Frauen den Mörtel zu den russischen Maurern. Auch die Steine mussten sie bringen. Diese Schinderei, verbunden mit ständigem Hunger, ging über die Kräfte der Frauen. Um wegen Arbeitsunfähigkeit nach Hause entlassen zu werden, halfen sie nach, indem sie ihr Brot verkauften. Statt nach Hause zu kommen, starben sie jedoch an Entkräftung.Am Ende Glück gehabtUnerwartet stellte sich bei Veronika der Glücksengel ein: Männer, die im Bergwerk arbeiteten, verdienten etwas Geld, womit sie sich an einer Bude Brot kauften. Die russischen Verkäuferinnen, die mit ihnen flirteten, wurden strafversetzt. Veronika durfte also beim Verkauf helfen und hatte so die Möglichkeit, an zusätzliche Verpflegung heranzukommen.Glück im Unglück hatte sie am 30. April 1948: Sie sollte mit ihrer Kusine das Rathaus streichen. Dabei fiel sie von einer Leiter, brach sie die Hand und erlitt eine Gehirnerschütterung. Drei Wochen verbrachte sie mit Gipsverband im Lager, die Küche steckte ihr in dieser Zeit Essen zu. Anschließend wurde sie in die Wäschebrigade versetzt: Waschen der Wäsche und Ausgabe der sauberen, war die Aufgabe. Ihr russischer Vorgesetzter lud sie hin und wieder in seine Familie zum Essen ein. Dabei lernte sie Borscht kennen: eine Gemüsesuppe mit Kartoffeln, Rüben, Kraut, Zwiebeln, Karotten und Sonnenblumenöl. Familienanschluss, besseres Essen, außerdem gab es Lohn, mit dem sie sich zusätzlich Verpflegung kaufen konnte. Dass auch bei ihr die schlimmste Zeit vorbei war, dokumentiert das Foto mit den drei Mädchen, rechts ist Veronika. In der Wäschebrigade blieb sie bis zu ihrer Heimfahrt am 27. November 1949. Es gibt noch immer eine Dichtung, der es um so große Dinge wie Recht, Gerechtigkeit und Freiheit geht. Herta Müller

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