Zwei Milliarden Euro für einen Wolfersheimer Kopf

Wolfersheim · Zwei Vorstellungen boten die Schauspieler der Theatergruppe Wolfersheim. Die auf die örtlichen Verhältnisse zugeschnittene Persiflage von Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ begeisterte die Zuschauer im Kultursaal.

 Szene aus „Eine unmoralische Versuchung“ im Wolfersheimer Kultursaal mit Apollonia Zachassova, alias Polli Weber (Gaby Klees), Maler und Lehrer (Friedhelm Kron-Klees). Foto: Dirk Blumenauer

Szene aus „Eine unmoralische Versuchung“ im Wolfersheimer Kultursaal mit Apollonia Zachassova, alias Polli Weber (Gaby Klees), Maler und Lehrer (Friedhelm Kron-Klees). Foto: Dirk Blumenauer

Foto: Dirk Blumenauer

Der Musik- und Theaterverein Wolfersheim brachte "Eine unmoralische Versuchung" im Kultursaal auf die Bühne. "Es war der Hubschrauber, nicht die Eisenbahn," wie das Empfangskomitee der Wolfersheimer entsetzt auf dem Lautzkircher Bahnsteig feststellen musste. Wie in der Vorlage des Stück, Dürrenmatts "Besuch der alten Dame", richten sich alle Hoffnungen des runtergewirtschafteten Golddorfes Wolfersheim auf die Heimkehr der draußen in der Welt steinreich gewordenen Lady Zachassowa alias Polli Weber (Gaby Klees), eine Global Playerin, die es im Alter in die alte Heimat zieht, doch nicht aus Heimweh, sondern tiefen Rachegelüsten. Durch Aufkäufe allen Landes, Gewerbes und Rest industrien hat sie das Biosphärenreservat unter ihrer Knute und kann Wolfersheim in den wirtschaftlichen Ruin treiben. Der wahre Vater, Aloisius Brengel (Dirk Blumenauer), soll der späten Bestrafung zugeführt werden. Nach anfänglich freudigen Wiedersehensmomenten wendet sich das Blatt, als die Lady mit ihren wahren Absichten herausrückt: Brengels Leiche für zwei Milliarden Euro , eine für die Dorfgemeinschaft und eine verteilt auf alle Wolfersheimer Familien.

Zunächst Entrüstung

Zunächst erntet sie pure Entrüstung für ihr unmoralisches Angebot. Die Honoratioren des Ortes, allen voran der Ortsvorsteher (Jürgen Juhlke), der Lehrer (Friedhelm Kron-Klees), der polnische Pfarrer (Krystyna Kunckel) und der Dorfsheriff (Wolfgang Frister) äußern tiefste Entrüstung. Doch die Lady kann warten. Bald haben sich die lieben Bürger heillos in Kreditschulden verstrickt und sehen nur einen Ausweg: Brengel muss zahlen, mit seinem Leben. Selbst die eigene Familie, seine Frau Klara (Sandra Velten ), sein Sohn Justin (Mathis Blumenauer) und seine bezaubernde Tochter Melody (Sina Velten ) geben sich dem Konsummieren auf Pump hin: Kleinwagen, Pelz und Disco-Outfit. Nachdem alle Versuche fehlgeschlagen sind, seine Hinrichtung zu verhindern, nimmt Brengel sein Schicksal an, überlässt das Handeln aber den Wolfersheimern.

Die von Teenagern bis älteren Herrschaften reichende Theatergruppe Wolfersheims hat bei ihren beiden Aufführungen im Kultursaal des Ortes für gute Unterhaltung gesorgt. Neben den eindrucksvollen Hauptrollen, die zu schmunzelndem Nachdenken anregten, boten zahlreiche Nebenrollen Anlass zu freudigem Gelächter: die Trainspotter (Hilde Juhlke, Sandra Velten ) auf dem Bahnsteig, die gierige Gerichtsvollzieherin (Sina Velten ), die russisch-mafiösen Sänften- und Sargträger (Uwe Velten , Andreas Schiweck), die schwatzhaft-eitlen Kundinnen (Hilde Juhlke, Krystyna Kunckel), der gut durchtrainierte Sportler (Mathis Blumenauer), der angetrunkene Kettenraucher und der sächselnde, blutrünstige Metzger (Wolfgang Frister), der angelfreudige, blinde Depp (Hannes Ballhorn) und die sensationslüsterne Reporterin, die zudem noch den sechsten und siebten Ehemann der Milliardärin mit Bravour darstellte (Kerstin Schneiders).

Eine besonders eindrucksvolle, die dichte Atmosphäre des Golddorfes zeichnende Rolle boten die drei Einlagen des Wolfersheimer Männerchors unter der Leitung von Charlotte Barth.

Sandra Velten ist es mit ihrer auf Wolfersheimer Verhältnisse zugeschnittenen Persiflage von Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" gelungen, einen neuen bemerkenswerten Akzent in die Wolfersheimer Kulturszene zu setzen, der unbedingt Fortführung verlangt. Eine weitere Aufführung des Stücks ist bereits geplant.

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