Ein Bollwerk aus Beton und Eisen

St Ingbert/Zweibrücken · Anfang September 1939 begann eine der großen Räumungsaktionen in vielen Orten und Dörfern in der Saarpfalz. Zwischen Einöd, Peppenkum, Blickweiler und Bebelsheim wurden Tausende zwangsevakuiert. Sie lebten in der „Roten Zone“ – einem Kampfgebiet hinter dem Westwall. In Teil 4 der Serie geht es um die „Festung, die das Leben veränderte“.

Für den im Jahr 2011 verstorbenen Lokalhistoriker Willi Feß aus Einöd war das "Nazi-Ding" Schuld daran, dass Tausende Menschen zwischen Einöd und Brenschelbach im September 1939 aus ihrer Heimat evakuiert wurden. Das "Nazi-Ding" war der Westwall. Am 1. Juli 1938 tritt "die Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für besondere staatspolitische Bedeutung" in Kraft. Unterzeichnet hat "der Beauftragte für den Vierjahresplan", Ministerpräsident Hermann Göring , in Berlin am 22. Juni 1938. Hinter diesem Amtsdeutsch verbirgt sich die Anforderung der "Organisation Todt" für mehr Arbeitskräfte zum Bau des "Westwalls" - in Bürokratendeutsch: "Die Deutsche Westwehrbefestigung" oder im Nazi-Jargon einfach "Bauvorhaben West" genannt.

Der Bau eines Bollwerks aus Beton und Eisen gegen den Nachbarn Frankreich hatte Adolf Hitler bereits zwischen 1934 und 1936 in Gesprächen mit Industriebaronen an der Ruhr (Krupp, Thyssen, von Borsig, Kirdorf, Stinnes, Flick und Vögler) oder an der Saar (Röchling, Stumm) immer wieder erörtert. Übrigens: die Gespräche mit den Saar-Baronen fanden schon vor der Saar-Abstimmung 1935 statt (!). Diese Gespräche der Nazi-Oberen mit den Industriebonzen sind im Bundesarchiv Freiburg in der Wiesentalstraße unter dem Stichwort "Düsseldorfer Industriegespräche" nachzulesen. Eine der umfangreichsten regionalen Dokumentationen stammt von Helmut Lauer aus Zweibrücken, "Zweibrücken am Westwall" aus dem Jahr 1989 . Diese Arbeit beschränkt sich nicht nur auf die Stadt Zweibrücken, sondern schließt auch das Umland und die Saarpfalz mit ein.

Bereits im Jahr 1934 gab es Späh-Trupps, die an der Grenze Saargebiet/Deutsches Reich die Gegend auskundschafteten. Auf Befehl Hitlers begannen 1936 die Nazis mit dem gigantischen Bau des Westwalls. Der kostete nach Bundesarchiv-Unterlagen knapp 3,5 Milliarden Reichsmark (RM). Zum Vergleich: Das Deutsche Reich hatte 1933 zivile Ausgaben von 6,2 Milliarden RM. Die Nazis setzten eine "Maschinerie an Maßnahmen" (so die Historikerin Gerhild Krebs) in Gang: neue Bahnstrecken, neue Straßen, Betonmisch-Werke, Tausende Bagger und Lastwagen waren im Einsatz - in unserer Region zuerst im sogenannten Bogen zwischen Oberwürzbach und der Stadt St. Ingbert.

Helmut Ehrmanntraut aus Einöd weiß zu berichten, dass "von heute auf morgen hunderte Unterkünfte und Baracken aus dem Boden gestampft wurden". In Einöd gibt es Lager am Kandelgrund, in der Großwiese und auf dem Ospel. In Zweibrücken sind über 10 000 Arbeiter im Januar 1938 zum Westwall-Bau abkommandiert. In Rubenheim und Bebelsheim und in der "Parr" erzählt man sich, dass ganz viele Westwall-Arbeiter aus Mitteldeutschland und den Sudeten im Bliesgau beschäftigt waren.

Für die Überwachung und Durchführung des Westwallbaus waren "regional militärische Planungsdienstellen" zuständig. Diese waren in Festungsinspektionen der Pioniere in Kaiserslautern, Trier und Saarbrücken zentralisiert. Diese waren in 17 Pionierstäben unterteilt. In Homburg war die Oberbauleitung dem Regierungsbaumeister a. D. Naumann unterstellt.

Adolf Hitler machte sich regelmäßig vor Ort ein Bild vom Fortgang der Arbeiten am "Jahrtausend-Bollwerk", so auch vom 15. bis 19. Mai 1939. In der Zeitung "NSZ-Rheinfront" in der Freitagausgabe vom 19. Mai heißt die Seiten-Überschrift "Die Westpfalz jubelt dem Führer zu". In einzelnen Artikeln heißen die Überschriften: "Einöds größter Tag", "Homburg im Freudentaumel", "Die Herzogstadt begeistert" und "Der Führer in Pirmasens". "Am Mittwoch, den 17. Mai, ging in Einöd nichts mehr", erzählt Waltraut Ehrmanntraut. Alle jubelten dem Führer zu und riefen "Sieg Heil". Hitler habe mitten im Dorfe angehalten, sei ausgestiegen und habe zwei Mädchen die Hand geschüttelt.

Die Bauern im Bliestal wurden mit ihren Traktoren und Fuhrwerken beim Bau I eingesetzt. Am 6. Oktober 1939 waren mehr als 342 000 Arbeiter am Westwall-Bau eingesetzt (so Lauer). Für Günther Schwarz (83) aus Altheim "roch es nach Krieg", wie er im Gespräch erzählt. Die Evakuierung sei "gut organisiert gewesen". > Nächster Teil folgt

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HintergrundDer Westwall entlang der Westgrenze des Deutschen Reiches war ein über 630 Kilometer verteiltes militärisches Verteidigungssystem, das aus 18 000 Bunkern, Stollen sowie zahllosen Gräben und Panzersperren bestand (siehe Doku: Westwall, 1939). Er verlief von Kleve an der niederländischen Grenze in Richtung Süden durch die Eifel ,das Saargebiet, Teile der Westpfalz bis an die Schweizer Grenze. Hitler ließ die Anlage, die neben militärischen auch propagandistischen Wert hatte, ab 1936 planen und zwischen 1938 und 1940 errichten. Die Organisation Todt (OT) war eine nach militärischem Vorbild organisierte Bautruppe, die den Namen ihres Führers Fritz Todt (1891-1942) trug. Die 1938 gegründete Organisation unterstand ab März 1940 diesem auch als Reichsminister für Bewaffnung und Munition. Bis zu 342 000 Arbeiter waren beschäftigt. Die Westwall-Bauten waren das deutsche Pendant zur französischen Maginot-Linie. jkn

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