Blieskastel Legenden ranken sich um dieses Wasser

Blieskastel · Die Ottilienquelle gibt in der Historie sehr viel mehr her als das kühle Nass. Wunder sollen hier geschehen sein.

 Zwei Maßholder (Feldahorn) stehen Spalier: Die Ottilienquelle am Kirchheimer Hof in Breitfurt war über lange Zeit hinweg ein beliebtes Pilgerziel.

Zwei Maßholder (Feldahorn) stehen Spalier: Die Ottilienquelle am Kirchheimer Hof in Breitfurt war über lange Zeit hinweg ein beliebtes Pilgerziel.

Foto: Martin Baus

„Ihr sollt nicht Götzenbilder anbeten: besonders Felsen und Bäume, Ecksteinen, Quellen und Kreuzwegen sollt ihr keine Gebete und keine Gelübde darbringen“: Vom Heiligen Pirminius stammen diese Anweisungen, die dazu dienten, den christlichen Glauben über den Bliesgau und die umliegenden Regionen zu bringen. Dem Missionar, der 753 im Kloster Hornbach starb und dort auch sein Grab fand, war sehr daran gelegen, die alten, als heidnisch verrufenen Bräuche und Rituale auszumerzen. Dabei ging er ähnlich rigoros vor wie sein Zeitgenosse und Freund Bonifatius. Der „Apostel der Deutschen“ wollte mit der Fällung der riesigen Donareiche bei Fritzlar (Hessen) dokumentieren, wie überlegen der christliche Gott dem germanischen Götterhimmel ist. Pirminius warnte in seinem „Pastoralbüchlein“ („Scarapsus“), das er kurz vor seinem Tod verfasst hatte, nicht nur vor allerhand Magiern und Zauberern, sondern auch vor den Kulthandlungen an traditionell heiligen Orten. Auf arg fruchtbaren Boden fielen seine strengen Vorschriften freilich nicht; gemeinhin stülpte die Bevölkerung dem „heidnischen“ Brauchtum einfach einen christlichen Heiligennamen über und machte dann weiter wie zuvor.

So und nicht anders wird es sich wohl auch mit der „Ottilienquelle“ am Westhang des Kahlenbergs auf der Gemarkung von Breitfurt zugetragen haben. Zum Areal des Kirchheimer Hofes gehörig, ist die Umgebung der Wasserstelle uraltes Siedlungsgebiet. Kelten und Römer wussten ihre Lage mit herrlicher Aussicht und fruchtbarem Boden bereits sehr zu schätzen, wie archäologische Befunde dokumentieren. Schon im Altertum dürften sie an diesem Quellheiligtum ihren jeweiligen Göttern Opfer dargebracht haben. Im Mittelalter befand sich an gleicher Stelle das Dorf Kirchheim, und im 18. Jahrhundert prägte ein schlossähnlicher Adelssitz den Landstrich. Legendär bis auf den heutigen Tag blieb schließlich der Herrensitz, zu dem weitläufige Gärten und ein Park englischer Prägung gehörten. „Einem Schmuckkästchen gleich“ sei das Ensemble gewesen, heißt es zeitgenössisch. Als der Bliesgau Teil der Pfalz war und damit auch des Königreichs Bayern, im Jahr 1829 genau, wurde Benoit Auguste Alexandre Jacomin de Malespine Eigentümer des Landsitzes. Geboren 1774 in der nördlichen Provence, baute er das Gehöft zu einer schmucken Residenz aus. Nach seinem Tod 1855 ließ sein Sohn Alexandre Louis Guillaume (1821 geboren) die luxuriöse Immobilie mit geschmackvollen Gärten und Parkanlagen umgeben. „Schackmää“, wie der populäre Baron in Bliesgau-Mundart geläufig war, nahm sich auch der Ottilienquelle an.

Seinen Namen hat dieser Born von der Heiligen Odilia, die auch Zeitgenossin von Pirminius war. Das Heiligenpaar hat zusammen das Schutzpatronat für das Elsass; das Kloster auf dem Odilienberg (in den Vogesen über dem Städtchen Barr gelegen), in dem sich der Odilias Sarkophag befindet, ist bis heute viel besuchtes Wallfahrts- und Ausflugsziel. Der Legende nach soll sie blind zur Welt gekommen sein, weswegen ihr Vater Aticho sie verstieß. Als das das Mädchen in einem Kloster getauft wurde, gewann es sein Augenlicht zurück – woher ihr Name Odilia, Tochter des Lichts, denn auch herrührt. Im Jahr 690 gründete sie besagtes Kloster, und das Wasser der dortigen Quelle gilt seither als besonders heilsam bei Augenleiden. Die Odilien-Verehrung fand rings um ihren Ursprungsort Verbreitung bis nach Schwaben, in die Schweiz und auch ins Bistum Metz, zu dem die Pfarrei Kirchheim im Bliesgau lange gehörte. Eine ähnliche Sage rankt sich auch um die Breitfurter Quelle: Ein junges Mädchen soll dank der Benetzung mit dem Quellwasser sein Augenlicht wiedergewonnen haben. Überall wurden der Heiligen Odilia geweihte Quellen zum beliebten Pilgerziel – so eben auch die Ottilienquelle in Breitfurt. Vornehmlich Gläubige aus dem nahen Elsass und vor allem aus Lothringen nahmen bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs den Weg ins eigentlich protestantische Breitfurt auf sich.

Noch 1911 ist die Rede davon, dass Männer und Frauen nach wie vor anreisen, „um von dem heilspendenden Wasser zu holen“. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Quelle bereits ihr heutiges Aussehen. 1881 war sie wie ihr Umfeld von besagtem „Schackmää“ hergerichtet und neugestaltet worden. Die Magie des Ortes bestimmen nicht zuletzt drei Dreiecke, die ineinander verwoben die Quelle ursprünglich umgaben: Von den drei Bäumen sind noch zwei als Naturdenkmale ausgewiesene Maßholder vor der Vertiefung des Brunnens erhalten. Der dritte Baum im Bunde wurde vor Jahren gefällt, eine nachgepflanzte Esche braucht noch Zeit, um den alten Eindruck wiederherzustellen. Das zweite Trigon bildet eine stattliche Ahornhecke, die Quelle und Bäume umgibt. Das dritte Dreieck schließlich ist die Wegeführung drumrum.

Zur Quelle hinab gelangt man über eine sechsstufige Treppe. Darüber ist auf dem Brunnenstock aus Buntsandstein die Inschrift „Renovirt im Jahre 1881“ zu entziffern. „St. Ottilia Quelle“ steht auf dem Sockel darüber, und auf diesem wiederum erhebt sich ein etwa anderthalb Meter hoher Sandsteinblock. Dessen Formen und Zierrat gotischer Prägung legen die Vermutung nahe, dass es sich um die Sakramentsnische eines katholischen Gotteshauses handelt, die hier am Kirchheimer Hof Wiederverwendung fand. Diese ist wohl über 500 Jahre alt und soll der Überlieferung aus einer bereits im 19. Jahrhundert verfallenen Kapelle im vorderpfälzischen Kurort Bad Gleisweiler stammen, wo die Familie Malespine ebenfalls reich begütert war. Das über dem Nischenblock befindliche Oberteil wurde 1881 neuzeitlich ergänzt und wirkt ziemlich ungeschlacht. Die Nische selbst barg eine kleine Figur der Heiligen Odilia, die wiederum „Schackmää“ eigens anfertigen ließ. Nach dem Original aus Sandstein, das sich in Privatbesitz befindet, wurde kürzlich eine Nachbildung gefertigt. Diese Plastikkopie bekam hinter Gitter an den angestammten Platz.

Auf der Rückseite dieses Aufbaus befand sich eine Handpumpe, über die Besucher sich Wasser in Flaschen oder anderen Gefäßen zum Mitnehmen abfüllen konnten. Die Schale darunter, in Muschelform aus Guss hergestellt, diente dazu, mit den Händen das wohltuende Nass zu schöpfen, um sich anschließend Gesicht und Augen zu benetzen. Im Gegenzug wurden Münzen in den Quellschacht geworfen oder aber in die Pumpe gesteckt. Im „Wanderbüchlein“ des Pfälzerwaldvereins, in dem alle bedeutsamen Quellen der Region aufgeführt, beschreibt der später sehr bekannte Geologe Daniel Häberle die Ottilienquelle als „mannstief“. Einen unterirdischen Abfluss des an die Oberfläche strebenden Wasser habe es „von jeher“ gegeben. Über Gussrohre werde das Wasser zum Kirchheimer Hof geleitet. „In dessen Mitte speist sie einen laufenden Brunnen, von dem das Wasser weitergeleitet wird, zunächst in den englischen Garten, um einen Springbrunnen zu bilden“, schreibt Häberle. Über diesen fließe es dann „in Wiese und Feld“ zur Blies hinab. Auch über die Qualität ließ er sich vor über einem Jahrhundert aus: „Frisch und kühl“ sei das Wasser beim Austritt, habe aber „faden Geschmack“. Als Kalkwasser sei es „hart“ und „zum Reinigen der Wäsche in ungekochtem Zustand nicht besonders brauchbar“.

 Die Statue der Heiligen Odilie auf dem nach ihr benannten Berg im Elsass: Zuständig für die Heilung von Sehbeschwerden ist die aufgeschlagene Bibel mit den beiden Augen ihr Attribut.

Die Statue der Heiligen Odilie auf dem nach ihr benannten Berg im Elsass: Zuständig für die Heilung von Sehbeschwerden ist die aufgeschlagene Bibel mit den beiden Augen ihr Attribut.

Foto: Martin Baus
 Aus einer Kapelle in der Vorderpfalz soll die gotische Sakramentsnische stammen, die der Odilienquelle im Bliesgau als Überbau dient. Das Oberteil mit dem Kreuz wurde nachträglich ergänzt.

Aus einer Kapelle in der Vorderpfalz soll die gotische Sakramentsnische stammen, die der Odilienquelle im Bliesgau als Überbau dient. Das Oberteil mit dem Kreuz wurde nachträglich ergänzt.

Foto: Arno Hübler
 In der Nische hinter dem Gitter ist die Sandsteinfigur der Heiligen Odilie zu erkennen. Sie befindet sich in Privatbesitz, an ihrer Statt steht heute eine Plastikheilige.

In der Nische hinter dem Gitter ist die Sandsteinfigur der Heiligen Odilie zu erkennen. Sie befindet sich in Privatbesitz, an ihrer Statt steht heute eine Plastikheilige.

Foto: Martin Baus
 Der Kirchheimer Hof – hier eine Aufnahme aus den 1920er-Jahren – war von Vater und Sohn Jacomin de Malespine zu einer palastähnlichen Residenz ausgebaut worden.

Der Kirchheimer Hof – hier eine Aufnahme aus den 1920er-Jahren – war von Vater und Sohn Jacomin de Malespine zu einer palastähnlichen Residenz ausgebaut worden.

Foto: Martin Baus

Heute haben Heilungssuchende schlechte Karten: Die Odilienquelle, die lange Zeit knochentrocken war, sprudelt zwar wieder; ihr Wasser wird aber, kaum am Tageslicht angekommen, unterirdisch über auf eine nahegelegene Weide abgeleitet, wo es aus einem Plastikrohr herausfließt und wieder im Erdreich versickert.

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