Alle Häuser mussten offen bleiben

Einöd · Anfang September 1939 begann eine der großen Räumungsaktionen in vielen Orten und Dörfern in der Saarpfalz. Zwischen Aßweiler, Blieskastel, Einöd, Hassel und Walsheim wurden Tausende zwangsevakuiert. Sie lebten in der „Roten Zone“ – einem Kampfgebiet hinter dem Westwall. In Teil 2 der Serie geht es um das „Leben und Heimweh in der Fremde.“

Zwei Tage vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden auf Geheiß des Führers die Codeworte "Adventskranz" und "Beleuchtung" durchgegeben. In den nächsten Tagen folgten die weiteren Phasen der Räumung der Dörfer und Städte in kurzen zeitlichen Abständen aufeinander, zuletzt am 3. September 1939 unter dem Code "Vorgarten" und "Hinterhaus". Senioren und Mütter mit Kindern unter 14 Jahren wurden meist mit Omnibussen befördert; in den Dörfern wurden Marschkolonnen und Trecks mit Fuhrwerken zusammengestellt, die sich auf festgelegten Routen in das Landesinnere in Marsch setzten. Einige wenige Männer mussten zu Hause bleiben. Sie waren von der Parteiführung als "unabkömmlich" bezeichnet worden, sollten Plünderungen verhindern, und für das Vieh sorgen.

"30 Kilo Gepäck durften mitgenommen werden, Häuser mussten unverschlossen zurückgelassen werden, Viehbestände mussten komplett zurückgelassen werden", erzählt Gertrud Stuchlik aus Einöd , früher als "Zimmersch Gertrud" bekannt.

Die von der Evakuierung Betroffenen wurden in Auffanggebiete ins Landesinnere, etwa nach Thüringen, Sachsen, Franken, gebracht und dort in Räume einquartiert, die ihnen per Anordnung von den jeweiligen NSDAP-Ortsgruppenleitern von Einheimischen zur Verfügung gestellt worden waren. Während sie dort waren, veränderte sich ihre Heimat . "Im Westen wurden unterdessen entlang der Grenze Kirchtürme, Sendeanlagen und Aussichtstürme gesprengt, um dem französischen Militär keine Landmarken als Orientierungspunkte zu belassen, dazu wurden Brücken vermint und gesprengt, um den Vormarsch aufzuhalten", so der saarländische Historiker und langjährige Landesarchivleiter Hans-Walter Herrmann.

"Selbst der Gollenstein in Blieskastel wurde niedergelegt", sagt Blieskastels Stadtführer Siegfried Heß. Die französische Armee drang im September 1939 über die Grenze in das geräumte Gebiet von Bliesmengen-Bolchen vor. Es kam zu Gefechten, bei denen mehrere Ortschaften zerstört wurden.

Davon bekamen die meisten Evakuierten aus der Saarpfalz kaum etwas mit - es gab fast keine Telefone, die Post brauchte Wochen für die Briefbeförderung und die Nazi-Propaganda verkündete im "Volksempfänger" nur Erfolge des "Tausendjährigen Reiches".

Elfriede Hock, geborene Ambos, kann sich heute noch gut an die Zeit der Evakuierung erinnern, obwohl sie damals ein kleines Mädchen war. "Als der Krieg ausbrach, war ich bei Bekannten meiner Eltern in der Nähe von Würzburg in Ferien. Es dauerte bis Dezember, bis mein Vater mich endlich abholen konnte." Bevor dies so weit war, saß sie täglich am Main: "Ich hatte großes Heimweh und wartete darauf, dass jemand aus Einöd kommen soll." Die Mutter und drei Geschwister waren inzwischen in Aschersleben . Dabei lebten die Mutter und die jüngere Schwester Gustel bei einer Familie, die beiden älteren Geschwister arbeiteten bei den Junkerwerken und hatten ihre Zimmer bei anderen Familien zugewiesen bekommen.

Für den 2011 im Alter von 83 Jahren verstorbenen Einöder Lokalhistoriker und "waschechten Enedder Jochnachel", Willi Feß, war der "Bau des Westwalls an allem Schuld. Ohne das Nazi-Ding hädde ma die ganz Zeit im Dorf bleiwe kenne." Dies hatte der überzeugte Pazifist immer wieder betont. > wird fortgesetzt

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HintergrundZwischen Einöd , Bierbach, Habkirchen und Rubenheim wurden im September 1939 über 30 Dörfer und Städte evakuiert. Sie lagen in der "Roten Zone". Tausende Menschen aus unserer Region mussten über Nacht ihr ganzes Hab und Gut verlassen. Die "Rote Zone" war im Zweiten Weltkrieg ein 400 Kilometer langes und 10 Kilometer breites "Freimachungsgebiet" entlang der deutsch-französischen Grenze im Vorfeld des Westwalls. Die Bewohner dieses Bereichs wurden zwischen 1939 und 1945 teilweise mehrfach in das Innere des von den Nazis regierten deutschen Reiches evakuiert. Im Zuge dieser Maßnahme verloren zudem etwa eine Million Menschen ihren Besitz. jkn

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