Frauen und Politik Späte Ehre für die Mütter des Grundgesetzes

Homburg · 70 Jahre Grundgesetz und 100 Jahre Wahlrecht für Frauen: Homburg erinnert mit der Ausstellung „Mütter des Grundgesetzes“ an ein eher wenig bekanntes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte.

 Helene Wessel, Helene Weber, Frieda Nadig und Elisabeth Selbert.  

Helene Wessel, Helene Weber, Frieda Nadig und Elisabeth Selbert.  

Foto: Bestand Erna Wagner-Hehmke, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“: So steht es im Grundgesetz, Art. 3 Abs. 2. Nun ist Papier ja bekanntlich geduldig. Dennoch: „Es war ein Meilenstein, dass die Gleichberechtigung damals so im Gesetz festgeschrieben wurde“, erklärt Anke Michalsky, Frauenbeauftragte der Stadt Homburg. Ursprünglich sollte der Text nämlich lauten: „Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“. Dass er 1949 auf die klare Formulierung „sind gleichberechtigt“ geändert wurde, ist dem Einsatz von vier Frauen zu verdanken: Elisabeth Selbert, Helene Weber, Helene Wessel und Frieda Nadig. Sie gelten als „die Mütter des Grundgesetzes“, sagt Historikerin Rita Gehlen, die mit Michalsky und deren Kollegin vom Saarpfalz-Kreis, Birgit Rudolf, in unsere Redaktion gekommen ist, um die neue Ausstellung vorzustellen. Selbert und ihre Mitstreiterinnen saßen damals mit 61 Männern im Parlament und wurden ob ihres politischen Engagements ohnehin kritisch bis feindselig beäugt. Nichtsdestotrotz – oder gerade deswegen – traten sie auch gegen Widerstände für die Frauenrechte ein.

„Vieles, was für uns heute selbstverständlich ist, musste in der Tat erkämpft werden“, sagt Birgit Rudolf. Nicht nur das Wahlrecht für Frauen, für das die Suffragetten schon Anfang des 20. Jahrhunderts stritten. „So hatte der Ehemann zum Beispiel laut Familienrecht das Letztentscheidungsrecht in allen ehelichen und familiären Angelegenheiten“, erklärt Rita Gehlen. Erst 1957 wurde das Gesetz gekippt.

„In den Jahren nach dem Krieg hatten die Frauen eigentlich eine große Stärke und ein großes Selbstbewusstsein – sie waren es, die die Kinder allein durch die Kriegsjahre bringen mussten und leisteten einen Großteil der Aufbauarbeit nach Kriegsende. Als die Männer dann zurückkamen und plötzlich wieder das Sagen haben wollten, waren viele Frauen nicht mehr bereit, widerstandslos alles zu akzeptieren“, erklärt Rita Gehlen. Elisabeth Selbert begann 1926, als Mutter von zwei Söhnen, im Alter von 30 Jahren ein Studium in Göttingen. Sie war eine der ersten Frauen, die zum Jurastudium zugelassen wurden.

 Historikerin Rita Gehlen (v.l.) und die Frauenbeauftragten Anke Michalsky und Birgit Rudolf zu Gast in der Redaktion.

Historikerin Rita Gehlen (v.l.) und die Frauenbeauftragten Anke Michalsky und Birgit Rudolf zu Gast in der Redaktion.

Foto: Jennifer Klein

Als im Dezember 1948 zum zweiten Mal der Antrag von Elisabeth Selbert abgelehnt wurde, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ins Grundgesetz aufzunehmen, organisierte sie einen Protest. „Jede Stimme wiegt, Frauenwille siegt!“ hieß die Parole. Daraufhin gingen so viele Protestschreiben und Stellungnahmen von Frauen aus dem ganzen Land beim Parlamentarischen Rat ein, dass sie ganze Wäschekörbe füllten. Unter diesem Druck gab der Rat schließlich seine anfängliche Ablehnung der Formulierung auf. Die Aktion ging als Wäschekorb-Aktion in die Geschichte ein. Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verabschiedet – zumindest formal war die Gleichstellung da.

Die neue Formulierung bedingte viele Reformen auch im Bürgerlichen Gesetzbuch BGB, so kämpfte Frieda Nadig zum Beispiel für die gesetzliche Gleichstellung unehelicher mit ehelichen Kindern.

1992, im Zuge der Wiedervereinigung, wurde das Grundgesetz ergänzt: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Artikel 3 Absatz 2 Satz 2 GG

Noch immer wird gerungen, in der Hauptsache um die beiden Kernpunkte Kinderbetreuung/Familienarbeit und Bezahlung. „Und in einigen Bereichen hat sich ja auch etwas bewegt“, sagen Gehlen und Michalsky, so sind es zwar in der Hauptsache immer noch die Frauen, die Beruf und Kinder/Familie unter einen Hut bringen müssen, aber es gebe heute schon mehr Möglichkeiten. Bessere Betreuungsangebote für Kinder etwa. Der Anspruch auf einen Kindergarten- beziehungsweise Krippenplatz ist im Gesetz verankert. Kindererziehungszeiten werden in der Rentenversicherung anerkannt. Flexible Arbeitszeiten und Homeoffice können den Arbeitsalltag familienfreundlicher machen.

Beruf und Familie also – ja, mit Einschränkungen. Karriere und Familie – da wird’s schwierig. Immer noch gebe es kaum Frauen in Führungspositionen. Viele Frauen arbeiten weiter im Niedriglohnsektor, in schlecht bezahlten Teilzeit- oder Minijobs oder in ebenso schlecht bezahlten Berufsfeldern, zum Beispiel in der Pflege. Und die schon damals von Helene Weber geforderte Lohngerechtigkeit ist noch nicht umgesetzt. „Die Bezahlung ist einer der Knackpunkte“, so Michalsky. Noch immer verdienen Frauen im Schnitt 20 Prozent weniger als Männer. „Männer fordern viel selbstverständlicher Dinge ein, zum Beispiel in Gehaltsverhandlungen“, sagt Anke Michalsky. Und gerade in den Führungsetagen seien Unternehmensstrukturen, Abläufe und Hierarchien nach wie vor männlich geprägt – Abweichungen haben Seltenheitswert. Nicht umsonst ging aktuell das Video um die Welt, wo der neuseeländische Parlamentspräsident Trevor Mallard während einer Parlamentsdebatte einem Baby das Fläschchen gibt. Gegenbeispiel vom August 2018: Thüringens Landtagspräsident Christian Carius verwies die Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling aus dem Plenarsaal, als diese mit ihrem wenige Wochen alten Sohn zur Landtagssitzung in Erfurt erschien. „Es gibt immer noch genug zu tun, hier können die vier Mütter des Grundgesetzes auch Vorbild sein“, schlägt Birgit Rudolf den Bogen zur Ausstellung. Dazu passe auch die aktuelle Kampagne „Mehr Frauen in die Parlamente – 50:50 ist das Ziel“.

Eröffnung der Ausstellung „Mütter des Grundgesetzes“ ist am Mittwoch, 11. September, 18 Uhr, im Foyer des Sitzungstraktes im Forum, den Impulsvortrag hält Rita Gehlen, Historikerin. Zur Vernissage wird um Anmeldung gebeten bis 9. September, Telefon (0 68 41) 10 11 43 oder E-Mail anke.michalsky@homburg.de

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