Missbrauchs-Skandal im Uniklinikum Homburg Westpfalz-Klinikum hat noch keine Missbrauchs-Hinweise

Kaiserslautern/Homburg · Der verdächtigte Arzt soll nach seiner Entlassung vom Homburger Uniklinikum versucht haben, in Kaiserslautern eine Ausscheidungs-Ambulanz zu gründen.

 Kinder- und Jugendpsychiatrie am Uniklinikum in Homburg.

Kinder- und Jugendpsychiatrie am Uniklinikum in Homburg.

Foto: dpa/Oliver Dietze

Dem Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern liegen weiterhin keine Hinweise auf mögliche Fälle von Kindesmissbrauch durch den ehemaligen, 2016 im Alter von 36 Jahren verstorbenen Assistenzarzt vor. Das teilte das Westpfalz-Klinikum mit. Dem Mediziner wird vorgeworfen, während seiner Tätigkeit im Uniklinikum Homburg von 2005 bis 2014 möglicherweise mindestens 34 Kinder missbraucht zu haben. Der Arzt sei vom Uniklinikum Homburg freigestellt worden, um im Westpfalz-Klinikum seine Ausbildung in einer Klinik mit einem anderen fachlichen Schwerpunkt fortzusetzen, hieß es in Kaiserslautern weiter. Durch seine am Westpfalz-Klinikum begonnene fünfjährige Facharztausbildung in der Klinik für Neurologie habe er „in seinem dienstlichen Umfeld in der Regel keinen Kontakt mit Patienten im Kindes- und Jugendalter“ gehabt, teilte Klinikumssprecher Dennis Kolter mit.

Kolter bestätigte, dass das Westpfalz-Klinikum von den Kollegen in Homburg nicht vor der Einstellung des Arztes über den bereits bestehenden Verdacht auf Kindesmissbrauch informiert worden sei. „Sowohl die Vorfälle an der Uniklinik Homburg als auch die seinerzeit laufenden Ermittlungen gegen den Assistenzarzt waren der Geschäftsleitung des Klinikums weder zum Zeitpunkt der Bewerbung noch während des Beschäftigungsverhältnisses bekannt“, sagte Frank Ostermann, Vertreter des Geschäftsführers und Personalleiter im Westpfalz-Klinikum. Das von dem mutmaßlichen Missbrauchstäter vorgelegte Arbeitszeugnis der Uniklinik Homburg sei einwandfrei gewesen. Auch im vorgelegten aktuellen polizeilichen Führungszeugnis hätten sich keine Einträge gefunden, erklärte Ostermann. Dabei waren spätestens ab 2011 im Unikllinikum Homburg Verdachtsfälle gegen den Arzt aufgetaucht. Im Westpfalz-Klinikum arbeitete der Arzt von April 2014 bis zu seinem Tod im Juni 2016. Die Entlassung in Homburg erfolgte erst Ende 2014.

Erste Recherchen der internen Klinik-„Task Force“ in Kaiserslautern hätten ergeben, dass sich der Mediziner während seiner Tätigkeit in Kaiserslautern ebenfalls für die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin interessiert habe. Zudem sei von ihm der Wunsch geäußert worden, am Klinikum eine Ausscheidungs-Ambulanz einzurichten. In Homburg war der Assistenzarzt in der Ausscheidungs-Ambulanz der Kinder- und Jugendpsychiatrie tätig gewesen und soll etwa 300 Kinder behandelt haben, die an Inkontinenz litten. Das Westpfalz-Klinikum berichtete weiter, der Arzt habe Gespräche mit der ärztlichen Leitung über die Einrichtung einer Ausscheidungs-Ambulanz geführt. Aufgrund seines damaligen Ausbildungsstandes sei es jedoch in beiden Fällen nicht zu einer Umsetzung gekommen, hieß es.

Die Ermittler des Westpfalz-Klinikums hätten zur Sicherheit zusätzlich die Konsil-Leistungen überprüft – also die Überweisungen aus der Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde an die Neurologie. „Nach aktuellem Kenntnisstand wurden keine Konsile von dem verstorbenen Assistenzarzt bei Patienten der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin durchgeführt“, teilte Kolter mit. Um höchstmögliche Transparenz herzustellen, habe das Westpfalz-Klinikum zudem eine Hotline eingerichtet. Diese werde von der ehemaligen Missbrauchsbeauftragten des Bistums Speyer, Sybille Jatzko (0151  68 82 57 69 bzw. per E-Mail an sybille@jatzko.de), als Ombudsfrau betreut.

Nach dem frühen Tod des Arztes 2016 mit 36 Jahren sei außerdem sein Klinik-Spind in Anwesenheit des Betriebsrates sowie von Vertretern der Rechtsabteilung und der Klinikleitung geöffnet worden. Private Gegenstände seien von der Polizei gesichtet und freigegeben worden, so das Westpfalz-Klinikum.

Hintergrund dieser Spind-Öffnung dürften die bisher nicht eindeutig geklärten Umstände des Todes des mutmaßlichen Missbrauchstäters sein. Wie der Links-Abgeordnete im Saar-Landtag, Dennis Lander, der SZ sagte, habe die Saarbrücker Staatsanwaltschaft im Justizausschuss berichtet, dass der verdächtigte Arzt 2016 von der Polizei tot in seiner Zweibrücker Wohnung gefunden worden sei. Ein Junge, der sich alleine mit dem Arzt in der Wohnung befunden habe, habe den Toten zuvor entdeckt und die Polizei alarmiert. Der Minderjährige habe sich mit Zustimmung seiner Eltern bei dem Arzt aufgehalten. Es habe Todesfallermittlungen gegeben, da der erste Arzt, der den Toten in Augenschein genommen habe, eine unnatürliche Todesursache festgestellt habe. Eine spätere Obduktion im Uniklinikum Homburg habe jedoch ergeben, dass der Missbrauchsverdächtige infolge schwerer Organ-Vorschädigungen gestorben sei, berichtete Lander aus dem Ausschuss.

Die bekannte Saarbrücker Opferanwältin und frühere Saar-Grünen-Chefin Claudia Willger plant im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal Strafanzeigen gegen Verantwortliche der Uniklinik und der Saarbrücker Staatsanwaltschaft, wie der SR am Freitag meldete. Willger sehe mehrere Rechtsverstöße. So habe die Klinik die Tätigkeit des Assistenzarztes zumindest nicht ausreichend kontrolliert. Die Strafanzeige gegen den Mediziner Ende 2014 sei viel zu spät gekommen.

Die Linksfraktion im Saar-Landtag wolle Anfang kommender Woche entscheiden, ob sie den Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses stellt, erklärte Lander. Linksfraktionschef Oskar Lafontaine sagte, auch wenn der Chef der Staatskanzlei, Jürgen Lennartz (CDU), am Donnerstag im Justiz-Ausschuss des Saar-Landtag erklärt habe, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) habe erst, wie er selbst, Mitte April diesen Jahres von den Missbrauchsfällen an der Homburger Uniklinik erfahren, hätten die betroffenen Kinder und Eltern sowie die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf, dass sich die Ex-Ministerpräsidentin und Wissenschaftsministerin endlich selbst erkläre. „Sie muss die einfache Frage beantworten, ob und ab wann sie von den Missbrauchsfällen wusste“, betonte Lafontaine. Und wenn Kramp-Karrenbauer tatsächlich nicht sichergestellt haben sollte, dass sie als Ministerin und Regierungschefin von wichtigen Vorgängen an der zu ihrem Geschäftsbereich gehörenden landeseigenen Uniklinik mit rund 5000 Beschäftigten informiert wurde, sei dies ein verheerendes Bild. „Es wirft ein äußerst schlechtes Licht auf die Amtsführung von Annegret Kramp-Karrenbauer“, so Lafontaine, der selbst von 1985 bis 1998 SPD-Ministerpräsident war.

Korrektur: In der ursprünglichen Fassung des Berichts hatte es geheißen, der Arzt habe im Westpfalz-Klinikum nach seiner Entlassung in Homburg 2014 bis zu seinem Tod 2016 gearbeitet. Richtig ist jedoch, dass die fristlose Kündigung am Uniklinikum Homburg erst Ende 2014 erfolgte - also deutlich nach seiner Einstellung beim Westpfalz-Klinikum.

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