Premiere begeistert Publikum feiert „Turandot“ am Staatstheater: Die Prinzessin mit dem Herz aus Eis
Saarbrücken · Stimmlich und musikalisch hat „Turandot“ am Saarbrücker Theater fraglos das Zeug zum Publikumsrenner. Auch wenn nicht alles so überzeugend gerät.
Sagen wir, wie es ist: Der Mann war ein echter Vollgastyp. Jagen, Frauen und Autos, das war sein Leben. Je schöner die Damen, desto heißer begehrte er sie. Und je schneller die Wagen rasen konnten, desto verwegener drehte er am Volant. Manchmal saß dann sogar noch der Faschisten liebster Dichter, Gabriele D‘Annunzio, auf dem Rücksitz, wenn Giacomo Puccini über Italiens Straßen donnerte. Porca miseria, was für ein Kerl. Ja, und gepafft hat er auch noch. Eine Zigarette steckte er sich an der anderen an, bis ihn 1924 der Kehlkopfkrebs und eine Herzattacke holten.
Und so wie er lebte, komponierte er auch: Immer aus dem Vollen, große Arien tönen bei ihm dank wuchtigem Orchesterunisono noch größer, das wahre Leben knallt, weint und schreit hörbar aus der Partitur, Verismo halt. Gerne darf’s auch exotisch klingen, mal nach Wild West, mal nach Fernost – Letzteres in „Turandot“, Puccinis Peking-Oper, zumindest, wenn man nach dem Spielort fragt.
Auch wenn Puccini leider immer noch bei vielen unter Effektvorbehalt steht, schrieb er doch einige der großartigsten Opern überhaupt. Und selbst, wer Turandot nicht beim Namen nennen kann (was zu wissen im Laufe des Opernabends übrigens durchaus lebensrettend sein kann), kennt doch auf jeden Fall „Nessun dorma“, dieses Eichmaß für Tenöre.
Und ums gleich zu sagen: In Saarbrücken singt Angelos Samartzis diese Hit-Arie aus dem dritten Akt der China-Oper einfach nur pavarottissimo. Auch wenn sein Timbre dunkler ist als jenes des Jahrhundert-Tenors, das Feuer, die Höhensicherheit, aber auch diese kraftvoll-lässige Selbstverständlichkeit, mit der Samartzis diese Partie des Prinzen Calaf angeht, sind phänomenal. Er liefert Glücksmomente für Stimm-Kulinariker en gros.
Und Samartzis ist damit nicht allein: Elizabeth Wiles findet für die aufopferungsvolle Liù, die unerwidert Calaf liebt, und dessen Vater, den alten König ohne Reich, Timur, begleitet, ja, die sogar in den Tod geht, um Calaf nicht zu verraten, ganz und gar innige Töne. Wo Samartzis und Aile Asszonyi als Prinzessin Turandot die Emotionen auch Dezibel-stark tosen lassen, erreicht Wiles mit Zartheit die Herzen.
Ja, einmal mehr bestechen am Saarländischen Staatstheater die Solisten. Etwa Hiroshi Matsui mit würdevollem Bass als gebeugter, doch nicht gebrochener König Timur auf der Flucht. Auch die Herren Ping, Pang, Pong (Peter Schöne, Algirdas Drevinskas und Sung Min Song) singen einzeln wie zu dritt mal stark, mal verschlagen, aber auch anrührend, wenn sie sich etwa von Turandots grausamer Herrschaft weg sehnen. Eingekleidet hat Kostümbildnerin Tanja Liebermann sie fast wie Harlekins, aber mit ihren Bowler Hats und Stöcken ähneln sie auch der Brutalo-Sado-Gang aus Stanley Kubricks „Clockwork Orange“. Auch das passt. Von ein paar raren, melancholischen Momenten abgesehen sind sie nämlich willige Helfer der frostigen Turandot, die reihenweise ihre Verehrer köpfen lässt. Selbst schuld, könnte man sagen. Schließlich wissen die Galane ja, auf was sie sich einlassen: Drei Rätsel lösen, dann bekommt Mann Hand und vielleicht auch Herz der Prinzessin. Ansonsten: Kopf ab.
An diesem uralten Schauermärchen fand Puccini Gefallen, und forderte von seinen Autoren Giuseppe Adami und Renato Simoni immer neuen Libretto-Nachschub, um weiter komponieren zu können. Viel Pathos, viel Fernost-Aroma hat er in seine letzte Oper hineingewoben, in eine Partitur, die wie ein Thriller tönt und wie ein Vorgriff auf Hollywoods beste Sounds.
Und Dirigent Stefan Neubert liebt das offenkundig. Wie könnte es sonst so funkelnd, aber auch so mächtig, unheilkündend im Blech aus dem Graben rufen, das Schlagwerk fernöstlich trommeln, die Streicher so wunderbar schwelgen. Und dazu diese wunderbare Wand aus Stimmen des Chores. Grandios!
Das musikalische Glück ist wohl auch deswegen so überwältigend, weil das endlich mal wieder volltönende Oper ist. Ohne Corona-Abstriche. Obwohl man im Saarbrücker Theater bis zum Schluss immer wieder bangen und neu besetzen musste, weil Omikron eben seine eigene Regie führt. Stefan Röttig etwa sang wirklich in letzter Minute einspringend den Mandarin von der Seite: bravourös. Insgesamt ein Kraftakt des Hauses, der stehenden Applaus verdient.
Wenn es dann aber überhaupt etwas gibt, was an der Saarbrücker „Turandot“-Produktion nicht Premium-, sondern nur Oberklasse ist, dann ist es die eher unterkühlte Inszenierung von Jakob Peters-Messer. Dabei hat der Purismus von Sebastian Hannaks Bühne, der einen großen, schwarzen, innen vergoldeten Würfel ins Große Haus stellt, noch durchaus reizvolles. Nur etliche zerdepperte Ming-Vasen evozieren China-Dekor und künden zugleich, dass hier auch menschlich einiges in Scherben liegt. Das Volk am Pekinger Hof dann aber in schwarze Maus-Uniformen zu stecken, die auch noch von fern an die „Lohengrin-Ratten“ aus der legendären Neuenfels-Inszenierung in Bayreuth erinnern, folgt der eher simplen Gleichsetzung: China = viele Menschen = Masse statt Individuum. Viel mehr resultiert dann aber nicht daraus.
Intensiver kümmert sich Peters-Messer um die Vorgeschichte Turandots. Was hat aus der jungen Frau eine solche Furie werden lassen, was ihr Herz zu Eis gefrostet? Peters-Messer findet dafür starke Bilder: Immer wieder lässt er Turandots Vorfahrin (Solveig Keller), deren Reich einst besiegt und sie als Frau wohl verschleppt und missbraucht wurde, nach Turandot greifen. Ein Fluch, eine böse Geschichte, die Turandot einfach nicht loslässt. Möglich wohl, dass sie auch selbst schon Schlimmes erlitt. Und das lässt Turandot wohl immer neue Opfer fordern; den eigenen Schmerz bekämpft sie mit dem Leid anderer. Die toten Prinzen, die vergeblich um ihre Gunst warben, stapeln sich schon leichenblass in ihrem Palast.
Turandots Psychogramm gelingt Peters-Messer so merklich besser als die übrige Inszenierung, es fasziniert. Auch weil Aile Asszonyi diese Partie mit einem unglaublich druckvollen Sopran, in den Spitzen schneidend wie Damaszenerstahl singt, so wütet und tobt, dass einem das Blut gefriert. Sänge sie Wagner, man wäre einfach nur begeistert. Doch hier fragt man sich gelegentlich doch, was mag dieser sympathische Prinz Calaf an dieser blutgierigen Eisprinzessin wohl finden, dass er für sie sein Leben riskiert?
Giacomo Puccini konnte seine Oper nicht mehr zu Ende bringen. So gab es mehrfach Versuche, die Unvollendete zu vollenden. Die Variante, die man jetzt am Staatstheater wählte, von Puccinis 2003 verstorbenem Landsmann Luciano Berio, ist vielleicht die überzeugendste. Denn obwohl Berio ein Pionier der elektronischen Musik war, ließ er sich doch auf Puccinis Klangsprache gänzlich ein – ohne gleich wie bei anderen Endspielen ein allzu schlichtes Happy End für Turandot und Calaf zu komponieren. Zwischen den beiden stehen schließlich Dutzende Tote und persönliche Katastrophen. Ob sie zu einer halbwegs normalen Beziehung fähig sind? Das bleibt am Ende Spekulation: der Vorhang zu – und diese Frage offen.
Vorstellungen: 11., 15. und 20. Februar.