Schwere Zeiten für die Kultur Terminverschiebungsfrust statt Konzertlust

Stuttgart/Saarbrücken · Sonst sind die großen Konzertsäle seine Heimat, wegen Corona schaut der saarländische Top-Organist Christian Schmitt aber auf eine ungewisse Zukunft und sieht die gesamte Musikbranche in Gefahr. Dennoch wirbt er jetzt unverdrossen als „Botschafter“ für die Orgel, dem Instrument des Jahres.

  Christian Schmitt (links) mit Dirigentenlegende Christoph Eschenbach nach einer Probe bei  den Bamberger Symphonikern im Dezember. Schmitt zählt zu den Top-Konzertorganisten. Sein Kalender wäre sonst proppenvoll. Doch wegen Corona sitzt der Saarländer nun oft  daheim in Stuttgart, statt zu konzertieren.

Christian Schmitt (links) mit Dirigentenlegende Christoph Eschenbach nach einer Probe bei  den Bamberger Symphonikern im Dezember. Schmitt zählt zu den Top-Konzertorganisten. Sein Kalender wäre sonst proppenvoll. Doch wegen Corona sitzt der Saarländer nun oft  daheim in Stuttgart, statt zu konzertieren.

Foto: M.Lenhard/M. Lenhard

Sicher, Stuttgart ist ja auch mal ganz schön. „Eigentlich aber säße ich jetzt im Zug auf der Rückfahrt von Wien, da hätte ich im Konzerthaus spielen sollen“, sagt Christian Schmitt, als wir telefonieren. Abgesagt dieses Konzert. Wie so viele. Wie schon seine Asien-Tournee. Gleich in der ersten Corona-Welle im Frühjahr „hagelte es 30 Konzert-Absagen in nur einer Woche“, bilanziert der aus dem Saarland stammende Konzertorganist so sachlich es eben geht. Angesichts dieser Zahlen aber lässt sich Fatalismus kaum vermeiden: „Man hat sich ja fast schon an die Absagen gewöhnt, mürbe macht’s trotzdem.“ Und nach dem Hoffnungsschimmer im Sommer sitzt er nun schon wieder daheim in Stuttgart und muss „Termine schieben, ohne zu wissen, was, wann vielleicht mal gehen könnte“.

Dabei steht der Mittvierziger aus dem Beckinger Ortsteil Erbringen gerade jetzt im Zenit seiner Karriere. Ganz oben im Organisten-Olymp. Müsste unterwegs sein. Gebucht für die großen Konzertsäle dieser Welt. Wo der „Echo Klassik“-Preisträger mit Top-Orchestern und Star-Dirigenten konzertieren würde – von Simon Rattle bis Christian Thielemann. Es könnte so schön sein.

„Ich bin wirklich froh, dass ich schon ein paar gute Jahre hatte“, räsoniert Schmitt. „Wer jetzt seine Karriere starten will, kann einem bloß leidtun. Wenn ich junge Preisträger sehe, die in Corona-Zeiten auf dem Keyboard auf dem Balkon spielen, macht mich dies traurig, dafür hat man nicht all die Jahre geübt.“ Sicher seien viele in der Corona-Not geborene Musik-Online-Projekte, wenn Sänger und Pianistinnen etwa von zuhause aus die Netzgemeinde beschallen, ganz interessant, „aber ich sehe mich in diesem Format nicht“, sagt Schmitt. Überdies bleibt die Faszination just seines Instruments, wenn der mächtige Klang aus Tausenden Pfeifen einem auch in der Bauch fährt, online eherr ein Abklatsch. Und wie allen Musikern fehlt auch Christian Schmitt natürlich der persönliche Kontakt zum Publikum wie die Luft zum Atmen.

Doch es gilt eben derzeit nicht allein der Kunst, sondern auch der nackten Existenz. Selbst arrivierte Solisten wie er sind waren noch nie mit einem solchen Einbruch konfrontiert. Schmitt nimmt da kein Blatt vor den Mund: Bei 40 abgesagten Konzerten hätten „genau drei Veranstalter ein Ausfallhonorar gezahlt“. Und sogar das bedeute noch Verlust; weil 1000 Euro vereinbarter Gage ganz fix zu 250 Euro Ausfall zusammen schmelzen. Und wenn, wie im Sommer, als die Infektionen runtergingen, unter Abstandsauflagen konzertiert werden durfte, sei es quasi selbstverständlich gewesen, dass man sein Programm nicht ein-, sondern zwei-, dreimal spiele, um wenigstens annähernd Vor-Corona-Publikumszahlen zu erreichen. Mache man ja alles gern, sagte er. De facto heißt das jedoch doppelte oder dreifache Arbeit. Niemand käme freilich auf die Idee, ein Fabrikarbeiter soll in Pandemiezeiten fürs selbe Geld mal eben doppelt so viele Autos montieren.

Für Schmitt ist klar: Die Kultur gehörtl zu den Mehrfach-Verlieren. Denn auch die viel versprochenen Staatshilfen tröpfeln nur. Bis heute sei etwa von der Überbrückungshilfe 2 kein einziger Cent angekommen, obwohl man sie durch seinen Steuerberater beantragen musste und hier auch für dessen Leistungen in Vorlage treten musste.

„Man merkt, dass die Politik von unserer Situation nichts weiß – oder wissen will. Wenn es darum geht, bei offiziellen Terminen die Festmusik zu spielen, dann haben wir Aufmerksamkeit, im Moment aber kümmert sich die Politik nicht wirklich um uns“. „Blamabel“ sei das, ärgert sich der Organist. Insbesondere Freiberufler wie ihn treffe es mit voller Wucht. Bei manchen glücklicheren Kollegen laufe die Bezahlung weiter. Auch Musiker, die an Hochschulen lehren, könnten manches noch abfedern. Das Letzte jedoch, was Christian Schmitt will, ist einen Keil in die Künstlerschaft zu treiben: Freiberufler hier, Festangestellte da. Aber die Politik müsse endlich verstehen, dass eine ganze Branche vor die Hunde gehe  – vom Bühnentechniker über die Konzertagenturen bis hin zum Top-Solisten. Und selbst, wenn die Pandemie mal glücklich überwunden sein sollte, fürchtet der Spitzen-Organist, könnte das große Sterben in der Kultur erst wirklich losgehen.

So richtig es sei, dass die Öffentliche Hand mit Milliarden die Wirtschaft alimentiere, das Geld ist dann ausgegeben, meint Schmitt. Und wenn die Staats- und Stadtkassen erstmal leer sind, werde der Roststift nur noch mehr in der Kultur wüten.

Kürzlich erst hat die Stadt Nürnberg den Bau eines 200 Millionen Euro teuren Konzerthauses gestrichen. Wegen Corona samt finanzieller Folgen. Christian Schmitt war Vorsitzender der Orgelkommission, die sich um das passende Instrument für den neuen Saal kümmern sollte. „Von einem Tag auf den anderen gestoppt“, resümiert der Organist bitter. Der darin auch ein Menetekel sieht. Etliche Kommunen würden wohl in den nächsten Jahren Bühnen schließen, Konzertreihen eindampfen, Kultur-Investitionen aufschieben. Dem Auftrittsverbot im Pandemie-Lockdown könnten lange, lange Hungerjahre für die Künstler folgen....

Schwer da, Hoffnung zu schöpfen. Christian Schmitt aber ist keiner, der leicht resigniert. „Man muss am Ball bleiben, sich immer wieder neu motivieren“, sagt er und blickt nach vorn. Als Artist in residence wird er in in der Saison 2021/22 bei einem deutschen Traditionsorchester und in einem neuen Konzertsaal in Asien fungieren, hoffentlich. Und mit viel Ernergie widmet er sich einer Aufgabe, die er „sehr gern übernommen hat“. In diesem Jahr, dem Jahr der Orgel nämlich, für sein Instrument zu werben. Als „Orgelbotschafter“ im Saarland.

Gemeinsam mit dem Landemusikrat hat er schon jede Menge Ideen entwickelt, um gerade Kindern und Jugendlichen die Königin der Instrumente näherzubringen. Konzerte, ganze Nächte voller Orgelmusik von Barock bis modern, „es gibt so viele tolle Orgeln im Saarland“, schwärmt Schmitt. Gerade im Saarland könne man auch manches zeigen, in Orgelbaufirmen reinschauen, spürbar, fassbar machen, was da alles zusammenkommt, die Arbeit mit Holz, Metall und Elektronik, eine uralte und doch immer wieder neu gedachte High Tech einerseits und andererseits die Kunst des Organisten.

Einen Augenblick lang ist Corona da mal fast vergessen. Und Christian Schmitt hofft, dass man mit dem Programm auch möglichst bald konkret werden kann. Wenn es Corona zulässt. Dann könnte er auch wieder mehr unterwegs sein. Konzertieren. Und Stuttgart mal wieder Stuttgart sein lassen.

Christian Schmitt mit den Bamberger Symphonikern unter Christoph Eschenbach (Konzert aus dem Dezember): https://www.bamberger-symphoniker.de/media/live-stream.html

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