Filmkritik zum ARD-Krimi „Die Kälte der Erde“: So war der neue „Tatort“ aus Saarbrücken

Saarbrücken · Der neue „Tatort“ aus Saarbrücken trägt den Titel „Die Kälte der Erde“. Wir haben den ARD-Krimi vorab gesehen – was bietet er? Alle Infos rund um Handlung, Darsteller & Co.

Saarbrücker Tatort „Die Kälte der Erde“
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Saarbrücker Tatort „Die Kälte der Erde“

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Foto: SR/Manuela Meyer

Vor dem ersten Schlag ins Gesicht ist man betont höflich. „Gut gefunden?“ – „Ja.“ „Fairer Kampf.“ – „Hmmm.“ Und dann wird getreten, geblutet, geschlagen, dass es den rotbraunen Staub im Industriegelände hochwirbelt. Ziemlich ruppig (und filmisch flott) beginnt der jüngste saarländische „Tatort“. Dem Milieu ist das nur angemessen. Um Hooligans geht es (unter anderem), für die der Gang ins Fußballstadion weniger wichtig ist als die sozusagen dritte Halbzeit mit den gegnerischen Fans; zum Beispiel in Form eines solchen „Ackermatches“ wie im Film, keine Spontanprügelei, sondern eine feste Verabredung zur Gewalt, mit gewissen Regeln. Zum Beispiel: keine Waffen.

Tatort „Die Kälte der Erde“ aus Saarbrücken - die Handlung

Dieses „Ackermatch“ zwischen Schlägern aus Saarbrücken und Kaiserslautern überlebt einer nicht: Ein junger Mann schleppt sich in die Notaufnahme eines Krankenhauses, stirbt dort und wird ein Fall für das Team um die Hauptkommissare Schürk und Hölzer. Die sitzen derweil in einem Polizeiwagen und beobachten Fußballfans in Saarbrücken, die beim Intonieren von „Saarbrücköööön“ und dem Feiern eines 2:1 gegen Kaiserslautern nur vergleichsweise dezent randalieren – so dass Schürk ein Satz entfährt, der angesichts der Silvesternacht in der Bundeshauptstadt besonders passend klingt: „Im Gegensatz zu Berlin ist das Entspannung pur.“

Schürk, Hölzer, Baumann und Heinrich beginnen die Ermittlungen, die schwierig werden – denn die Hooligans wollen nicht mit der Polizei reden, selbst reguläre Fußball-Fans gehen auf Distanz. Das spürt auch Kommissarin Baumann im Umfeld ihres liebsten Saarbrücker Fußballvereins, der nicht FCS heißt, sondern den fiktiven Namen „1925 TRS“ trägt. In der Fan-Kneipe, wo sie sonst laut mitfeiert, wird es plötzlich sehr still, als klar wird, dass sie bei der Polizei arbeitet.

Tatort Saarbrücken: Die echten Schauplätze von “Die Kälte der Erde“ - Fotos
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Hätten Sie’s erkannt? Das sind die echten Schauplätze des neuen Tatorts Saarbrücken

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Foto: SR/Iris Maria Maurer

Tatort „Die Kälte der Erde“: Was eine Adoption mit dem Todesfall zu tun hat

Dieser vierte „Tatort“ mit Schürk und Co. hat eine neue Drehbuchautorin: Nachdem Hendrik Hölzemann die ersten drei Episoden geschrieben hatte, stammt das Skript nun von der Autorin Melanie Waelde, die 2019 mit dem Jugenddrama „Nackte Tiere“ (Buch und Regie) ihr Kinodebüt gegeben hat. Sie blättert das krimiübliche Tableau an Verdächtigen auf, streut Hinweise ein, legt falsche Fährten. Im Zentrum der Ermittlungen stehen schnell Alina (Bineta Hansen mit einer mimisch wie körperlich starken Vorstellung), die einzige Frau im Saarbrücker Prügel-Kollektiv, und ihr Bruder Bastian (Lorris Andre Blazejewski). Alinas Tochter soll adoptiert werden, doch dagegen hat sich der Tote vom Ackermatch zeitlebens gewehrt, da er sich sicher war, der Vater zu sein. Hat die geplante Adoption mit dem Todesfall zu tun?

Neben diesen Winkelzügen des Plots gibt das Drehbuch den Ermittlern einigen Raum, auch den weiblichen. Erfreulich, dass Brigitte Urhausen (als Esther Baumann) und Ines Marie Westernströer (als Pia Heinrich) noch einmal mehr zu tun bekommen als in den vorigen Episoden. Urhausen hat gute Szenen, wenn sich bei ihr die scharfe Trennlinie zwischen Beruf und Privatleben auflöst; oder wenn sie nach wie vor ihre Schwierigkeiten mit Schürks manchmal machohaft getöntem Hang zu Alleingängen hat und mit seinen kernigen Einsamer-Wolf-Sätzen wie „Jeder Mensch hat sein Geheimnis“, den er sich vielleicht aus dem jüngsten James-Bond-Film entliehen hat.

Sehr gelungen ist eine Szene mit Westernströer, als ihre Figur eine Nacht im Büro (mit Blick auf Saarbrückens Stadtautobahn) durcharbeitet, Spuren sammelt, grübelt, sich nebenbei die Zähne putzt und die Lösung des Falls in Greifweite bringt. So nah kam man diesen beiden Schauspielerinnen und Kommissarinnen-Figuren bisher nicht, die im Film eine besondere Verbindung haben. „Dein Herz gehört sowieso schon mir“, sagt Baumann flapsig zu Heinrich – aber ist das auch so flapsig gemeint?

Die „Bromance“ zwischen Hölzer und Schürk im Tatort Saarbrücken geht weiter

Hölzer und Schürk tragen ja einigen Ballast aus der gemeinsamen Kindheit mit sich herum, der bei ihren „Tatorten“ ein fester Nebenhandlungs-Strang ist. Auch hier, denn Schürk wird im Haus seines Vaters überfallen – es geht um die Beute von Schürks Vater aus einem Banküberfall (siehe die Vorgänger-Episode „Das Herz der Schlange“). Die schwierige „Bromance“ der beiden geht weiter, sie können nicht gänzlich miteinander, aber auch nicht ohne einander. Daniel Sträßer und Vladimir Burlakov haben sehr gute gemeinsame Momente bei einem nächtlichen Gespräch auf der Saarbrücker Brücke am Kraftwerk und in Schürks Elternhaus – da zieht Hölzer kurzfristig ein, weil er sich nach dem Überfall um Schürk sorgt, was dann zu Dialogen führt wie „Gute Nacht, Tiger“ – „Miau.“ Aber es bleibt schwierig zwischen diesen beiden – Hölzer würde mit Schürk „bis ans Ende der Welt gehen“, wie er sagt, was Schürk vielleicht zu viel des Guten ist. Als Hölzer ihm vorwirft, er sehe sich als Mittelpunkt der Welt, kontert der mit: „Deiner Welt vielleicht“.

Die Chemie zwischen den beiden Darstellern, ob in den zarten oder ziemlich gereizten Szenen, ist famos – wie im gesamten Ermittlerquartett. Dem würde man auch zuschauen wollen, wenn sie gar keinen Fall lösen müssten, sondern einfach mal ihre komplexen Verhältnisse untereinander klärten – wie in einer schönen Ensembleszene auf dem Dach der Industrie- und Handelskammer (IHK) neben dem Landtag, die wie gewohnt das Polizei-Präsidium doubelt. Wäre das nicht generell eine schöne Idee für ein „Spin Off“? Einmal im Jahr ein „Tatort“, zwischendurch ein Film, wo die Vier nur zusammensitzen und reden – und vielleicht dabei Tischfußball spielen wie in der zweiten Episode „Der Herr des Waldes“?

Diversität im neuen Saar-Tatort aus Saarbrücken

Auffällig ist das Bemühen des Films um Diversität; hier ist nicht jedermann zwingend weiß und hetero, es gibt unter anderem ein schwarz-weißes männliches Ehepaar, das auch in Verdacht gerät. Zuschauer, die schon bei Gendersternchen den Untergang der Zivilisation fürchten, könnte das befremden, aber es ist so erfrischend wie angemessen.

Wie sieht das Saarland in diesem „Tatort“ aus? In der Ära von Kommissar Palü wirkte es ja fast wie eine französische Provinz; bei den späteren Ermittlern nicht immer, aber oft, als wolle man touristisch für die schönen Ecken der Heimat werben. In „Die Kälte der Erde“ sieht man viel alte Industrie, rostige Anlagen, Halden – Drehorte waren die Grube Göttelborn und die Völklinger Hütte. Gefilmt wurde auch in Saarbrückens Mainzer Straße, am Heizkraftwerk, am Winterberg-Klinikum, am Knappschaftsklinikum Püttlingen und in Neunkirchen, wo ein Gebäude Schürks Elternhaus darstellt. In „Die Kälte der Erde“ wirkt das Saarland wie eine Region zwischen Schönheit und hässlichen Ecken, etwas abgewohnt, aber doch letztlich gemütlich – was dem Saarland ja irgendwie gerecht wird. Und wer weiß, ob die Drehbuchidee, dass junge Menschen mit Bierdosen in der Notaufnahme sitzen und vom Arzt ermahnt werden, weit hergeholt ist oder nicht?

Tatort „Die Kälte der Erde“: Eine Uni, die es nicht gibt

Ein Ort, der fiktiv sein muss, ist die nicht existierende „Maximilian Universität Saarbrücken“. Von der zeigt der Film einen Studentenausweis, und Kommissarin Heinrich demonstriert eine gewisse Skepsis angesichts der Geisteswissenschaften: Der verstorbene Hooligan studierte interkulturelle Kommunikation mit Schwerpunkt auf dem frankophonen Kulturraum, was die Kommissarin mit „Sag mal, wer studiert denn sowas?“ kommentiert.

Ambitioniert und ungewöhnlich ist die Kameraarbeit von Christiane Buchmann – sie lässt das frühsommerliche Licht flirren (gedreht wurde im vergangenen Jahr vom 3. Mai bis zum 2. Juni), sie spielt mit Gegenlicht, mit Reflexen, manchmal mit Unschärfen. Man spürt den Sommer nahen, aber auch, wie hier manchmal die Luft steht. Das ist keine durchweg klassische 20-Uhr-15-Optik, sondern eine sehr atmosphärische Bildgestaltung – und eine Drohnenperspektive über Kopf als Auftakt einer kurzen Autojagd auf einer Halde gibt es auch.

Tatort „Die Kälte der Erde“: Fast alle Zähne sind noch da

Was einem das Drehbuch nicht wirklich näher bringt oder erklärt, ist die Welt dieser speziellen Hooligans, die Faszination für Gewalt, verbunden mit einem Kodex – wenn das Ganze denn erklärbar ist. Romantisiert wird es nicht; es gibt viel Kraftmeierei und Figuren, die sich das Kinn auf Minimaldistanz entgegen recken und sich im „Bösen Blick“ messen. Bemerkenswert übrigens, dass alle Hooligan-Figuren noch intakte Zahnreihen fletschen können.

Regisseurin Kerstin Polte (jüngst „Immer der Nase nach“ mit Corinna Harfouch im ZDF) hatte für ihren ersten „Tatort“ vorab einen „Industrie-Western“ versprochen; das Finale im Schatten des Wasserturms der Völklinger Hütte wirkt in der Tat ziemlich westernhaft – mit einer vierfäustigen Prügelei und Musik, die mit Orgel, Chor und Pfeifen ein wenig an Ennio Morricone und den Italowestern gemahnt. Ob dieses „Mano-a-mano“ nun gängiger Polizei-Arbeit entspricht, sei dahingestellt – aber es passt zu diesem „Tatort“.

„Die Kälte der Erde“: Sonntag, 29. Januar, in der ARD. Beim Filmfestival Max Ophüls Preis läuft der Film als Vorpremiere am Freitag, 27. Januar, um 21.30 Uhr im Cinestar 1 in Saarbrücken.
Karten und Informationen unter
www.ffmop.de

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