St. Ingberter Pfanne Kabarett kann auch weh tun

St. Ingbert · Corona, Klima, Katastrophen – Kabarett ist nicht nur lustig. Das erlebte man am dritten Tag des Kleinkunstpreises St. Ingberter Pfanne.

 Das Männertrio „Linsending“ begeisterte in St. Ingbert mit fröhlich-frechem Deutschpop.

Das Männertrio „Linsending“ begeisterte in St. Ingbert mit fröhlich-frechem Deutschpop.

Foto: Kerstin Krämer/KERSTIN KRAEMER

Dieses Virus macht einen so wurres, da vergisst man sogar zementierte Rituale. Am dritten Wettbewerbsabend des Kleinkunstpreises St. Ingberter Pfanne fiel dem langjährigen Moderator Philipp Scharrenberg siedend heiß ein, dass er bislang ja noch kein Wort über die Regularien verloren hatte – ein Prozedere, das sonst am Eröffnungsabend regelmäßig Überziehungszinsen in Zeitwährung kostet.

Diesmal hakte der Wortakrobat, selbst Pfannengewinner von 2010, die Sache ganz fix ab: Wie üblich gibt es zwei Jury-Hauptpreise zu je 4000 Euro, außerdem in gleicher Höhe einen Publikumspreis sowie einen Jugendjury-Preis, letzterer gestiftet vom Ministerium für Bildung und Kultur. Obendrein kann man in diesem Jahr online für den SR-Publikumsliebling voten.

Nachdem es am Sonntag in der Pfanne heftig gezischt hatte, schalteten die Temperaturen am Dienstag wieder etwas herunter. Was aber auch daran lag, dass manche Themen einfach Stimmungskiller sind, was schon am ersten Tag – bewusst, wohlgemerkt – in Kauf genommen wurde. Corona, Klima, Katastrophen –  Kabarett kann nicht immer nur lustig sein, das muss auch mal dahin gehen, wo‘s unbequem wird und weh tut. Mit Perfidie wach rütteln, das funktioniert auch im Privaten.

Warum nicht mal einen „demotivierenden Tischkalender“ verschenken an Leute, die man nicht mag? So heißt eine Erfindung von Rainer Holl, der hier als Stand Up-Comedian „positives negatives Denken“ vermittelte. In eine ähnliche Kerbe schlug der Kabarettist Stefan Waghubinger mit seinem Bekenntnis, gern Gutscheine für Bungee-Springen zu verschenken. Zum einen, weil‘s den eigenen Geldbeutel verschont, denn die Beträge werden erst abgebucht, wenn der Beschenkte gesprungen ist. Was aber erfahrungsgemäß fast nie vorkommt, weil dem Empfänger des Gutscheins der Wert seines eigenen Lebens schlagartig sehr bewusst wird.

Als deutscher Vizemeister im Poetry Slam wäre Rainer Holl vielleicht gut beraten gewesen, mehr von seinen verbalvirtuosen Gedichten zu bringen, denn die kamen verdient am besten an. Der „Optimist auf niedrigem Niveau“ war nachnominiert worden für die Stand-Up-Komödiantin Erika Ratcliffe, die ihren Auftritt abgesagt hatte. Holl war also quasi „zweite Wahl“, womit er weidlich kokettierte. Ohne larmoyant zu werden, denn das ist nicht sein Ding: Lieber redet er sich in Rage, lässt den inneren Wutbürger aufmarschieren, liest Verschwörungstheoretikern die Leviten und fragt sich gleichzeitig, ob gesellschaftliches Engagement überhaupt Sinn hat. Und als reisefreudiger gebürtiger Pfälzer mit Wahlheimat Leipzig kommt er zum Ergebnis: „Woanders is‘ auch Scheiße“ – egal, ob man sich in Brandenburg von Nazis verkloppen oder in Berlin von Miethaien fressen lässt.

Ebenfalls unprätentiös, aber mit einem großartig beiläufigen Plauderton, trat zuvor der Österreicher Stefan Waghubinger an. Er pflegt eine raffinierte Columbo-Taktik: Hinter einem täuschend rustikal strukturierten Naturell verbirgt sich ein grüblerischer Alltagsphilosoph, der aus scheinbar oberflächlichen Betrachtungen und Banalitäten im Minutentakt herrlich simpel formulierte Lebensweisheiten destilliert. Wie etwa folgende: „Die Erkenntnis, dass es zu spät ist, kommt meist nicht rechtzeitig.“ Waghubinger spannt den Bogen von giftgedüngten Gurken aus heimischem Anbau über Evolution und Wirtschaft bis zu Eichhörnchen und Rassismus, führt dabei politische Korrektheit mittels Barbiepuppen ad absurdum und outet sich als chronischer Nicht-Entscheider, weil Entscheiden immer Schuld beinhaltet: Wen soll man außer sich selbst verantwortlich machen, wenn‘s schief geht? Waghubingers drittes Solo „Jetzt hätten die guten Tage kommen können“ zelebriert bei allem Zynismus eine warmherzige, tragikomische Wehmut über Gewesenes und Unmögliches. Und wenn‘s drum geht, eine verfahrene Situation zu retten, tröstet er sich mit pragmatischer Romantik: „Die Sterne versperren nur den Blick auf die Unendlichkeit.“ Wunderbar.

Was „Reis against the Spülmachine“ am Sonntag an offensiver Energie im Überfluss hatten, hätte das Männertrio „Linsending“ zum vorgestrigen Kehraus gut gebrauchen können. Zwar hat der geradezu unverschämt lässige und entspannte Deutschpop dieser „Absurden Lieder-Manufaktur“ mit einem fröhlich-frechen Spektrum von Sanifair über Wale und Damentennis bis zu unfallfreien Beifahrern teils sogar Hitpotenzial, und die Jungs setzen auch auf entsprechende Inszenierung. Doch dem Anspruch Musik-Kabarett wurde die häufig etwas bemüht plänkelnde Moderation nicht wirklich gerecht. Ein Manko, das die Jungs mit ihrem letzten, famos absurden Titel wettmachten: Bei der gruseligen Rammstein-Parodie „Böse Friseuse“ bekamen die Zwerchfelle das Flattern.

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