Opernstar Siegmund Nimsgern wird 80 Eine Zunge, schärfer als Wotans Speer

St. Ingbert · Heute feiert der herausragende Opern- und Konzertsänger Siegmund Nimsgern seinen 80. Geburtstag. Vom Saarland aus hat er Weltkarriere gemacht. Wäre er ein Tenor, applaudierte ihm heute auch die halbe Welt. Als Bariton bleibt ihm zumindest die Gewissheit, die interessanteren Partien gesungen zu haben.

  Siegmund Nimsgern mit José Carreras (r.) 2012 in Saarbrücken, als der spanische Tenor die Ehrendoktorwürde der Saar-Universität erhielt.

Siegmund Nimsgern mit José Carreras (r.) 2012 in Saarbrücken, als der spanische Tenor die Ehrendoktorwürde der Saar-Universität erhielt.

Foto: dpa/Oliver Dietze

Manchmal stellt man ja sich und anderen gerne mal die Was-wäre-wenn-Frage. Also: Was wäre aus Siegmund Nimsgern geworden, hätte er nicht das Konzertpodium, das Opernhaus und auch manches Schallplattenstudio zu seiner Bühne gemacht? Hätte er nicht Mitte der 1980er im Bayreuther „Ring“ der beiden Sirs (Georg Solti und Peter Hall) den Wotan/Wanderer gesungen? Und nicht in Mailand und London, nicht in Buenos Aires und Wien im Applaus gebadet? Sein Haus in St. Ingbert gibt schon mal eine Antwort darauf, dieses architektonische Schaut-her! der Moderne inmitten eher erwartbarem Bauhandwerk. Hier wohnt jedenfalls kein Jedermann.

Und drinnen? Ein Dichter-Heim, so scheint es. Bücher, Bücher, Bücher. In jedem Raum, in jeder Etage bis runter ins Souterrain, wo ein Flügel noch immer auf den Übenden wartet. Musikwerke, Noten, Partituren, etliches auch zu anderen Künsten, zur Historie, zur Staatskunst und reichlich Schöngeistiges. Gargantuesk all das im Anspruch und noch dazu babylonisch vielsprachig.

Siegmund Nimsgern verschlingt Bücher wie früher (nach eigenem Bekunden) das Essen: gierig. Er habe „ein erotisches Verhältnis zur Sprache“, bekennt er mal. Über Jahrzehnte, als der Bass-Bariton in der halben Welt gefragt ist, rastlos hin- und her hetzt, nutzt er die leeren Stunden im Hotel nach den Proben, vor den Auftritten, um zu lesen, zu schreiben, zu übersetzen – und zu durchdringen. Etwa seine musikalischen Herausforderungen, die von Bach wie Berg, von Beethoven wie Strauss kommen. Ein Aus-dem-Bauch-Singer ist er nie. Darum sind auch seine Aufnahmen, Timbre hin oder her, nach wie vor so besonders. Wenige singen so klar, so klug, so sinnvoll. Kurt Masurs „Fidelio“ – noch zu DDR-Zeiten eingespielt – bleibt dafür etwa ein grandioses Schallzeugnis, mit Nimsgerns eiskalt reflektiertem Pizzaro.

 Wie der Vater, so der Sohn: Frank und Siegmund  Nimsgern am Flügel des Seniors in St. Ingbert.

Wie der Vater, so der Sohn: Frank und Siegmund  Nimsgern am Flügel des Seniors in St. Ingbert.

Foto: Iris Maurer

Verständlichkeit, die aus Verständnis resultiert: Das formt sich bei dem 1940 in St. Wendel Geborenen zu einem Leitmotiv der Karriere. Die nach dem Studium an der Saarbrücker Musikhochschule und dem Debüt 1967 am Theater hier und der nächsten Etappe an der Deutschen Oper am Rhein schnell zu groß wird für ein festes wie ihn fesselndes Engagement. Nimsgern wagt den Sprung ins Haifischbecken des Freien. Und wird belohnt. Wo auch immer man einen Konzertsaal mit Klang oder ein Opernhaus von Rang vermuten darf, ob in New York oder Paris, in Hamburg, München oder Salzburg (da lehrt er auch mal am Mozarteum) wird er gebucht. Gern für diese Sinistren, diese Finsterlinge, die ihm besonders überzeugend aus der Kehle kommen. Die Lieblinge und Good Guys in der Oper sind halt meist die Tenöre; interessanter aber sind die anderen Partien, die in jeder Hinsicht tiefer gehen. Nimsgern formt sich genau solche Charaktere nach seiner Façon.

Und er sammelt Anerkennung und Preise. In Chicago jubelt man etwa, Nimsgern sei „der beste Scarpia seit Tito Gobbi“ – wohlgemerkt ein Deutscher, der Puccini singt. Er bekommt den französischen Staatspreis und einen Grammy (für eine „Lohengrin“-Produktion). Eine Karriere mit vielen Höhen – aber auch den Selbstzweifeln eines klugen Menschen.

So sind auch Gespräche mit Siegmund Nimsgern immer wie eine Wundertüte. Zu allem weiß er was zu sagen. Und tut es auch. Begegnungen mit dem nun 80-Jährigen gleichen dem Hasten durch ein Bildungs-Labyrinth. Man schweift ab, fehlt, muss öfters fürchten, nie eine Antwort auf seine eigentliche Frage zu bekommen, stößt aber dank ihm auch auf beglückend Unerwartetes. Bisweilen kann dieser bärtige Theseus dann aber auch barsch werden, wenn man seinem roten Faden nicht folgen kann oder will.

Ja, auch Nimsgerns Scharfzüngigkeit hätte Preise verdient. Über Star-Dirigenten mit runtergelassenen Hosen, Intendantinnen mit Mickey-Mouse-Stimmchen und Knoblauch-verfressene Kolleginnen, die er sich nur mit Wotans Speer von Leib und Nase halten konnte, weiß er pointiert wie kein Zweiter zu berichten. Und manche Regisseure lernen ihn zu fürchten. Mit der selben Schonungslosigkeit geht er aber auch mit sich selbst ins Gericht. Vor ein paar Jahren schreibt er „Rampenfieber, Stimmlippenbekenntnisse“, die autobiografisch kaum kaschierte Bilanz eines alternden Sängers, der leidet wie ein Hund, weil ihm der Applaus, das Im-Rampenlicht-Stehen fehlt. Zwischen Hinter-der-Bühne-Ernüchterung, Kantinenklatsch und genialen Rollen-Einsichten lässt er da auch tief in (s)eine Sänger-Seele blicken, salbt das wunde Ego nur mühsam mit kühnen Worten: „…mein Kehlkopf ist kein Kehlkopf/ bin (mit Erfolg) stimmamputiert / (verkrebster Krakeel-Kehlkropf!) / ich – Orpheus – habe nichts gespürt.“

Trotz Welterfolg bleibt Siegmund Nimsgern mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen im Saarland, zieht nicht nach München oder Paris. Weil er sich mit Überzeugung auch als Saarländer fühlt. So lehrt er in Saarbrücken an der Musikhochschule, adelt mit seinem Auftritt auch die „Rheingold“-Produktion im Merziger Zeltpalast. Auch wenn er glaubt, dass man hier im Land bisweilen mit der Anerkennung für ihn geizt. Den Kulturpreis des Saarlandes hat er dennoch bekommen – 2004. Und von hier aus hat ja auch einer der beiden Söhne mit der Musik Karriere gemacht. Musicalkomponist Frank Nimsgern trägt den großen Namen weiter. Den Vater freut’s. Aber der Sohn weiß auch: Der schärfste Kritiker kommt immer aus der Familie.

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