„Die Politiker“ in der Sparte 4 Mit Roy Black und goldener Unterhose in der Sprach-Werkstatt

Saarbrücken · Wie bringt man einen 99 Seiten langen inneren Monolog in Gedichtform auf die Bühne? Wolfram Lotz' „Die Politiker“ hatte Premiere in der Sparte 4.

  Famos:  Mirjam Kuchinke und  der maskierte   Silvio Kretschmer.   

Famos:  Mirjam Kuchinke und  der maskierte  Silvio Kretschmer.  

Foto: Martin Kaufhold

Es ist eben, wie es ist mit Corona – aber die Künstler können einem leid tun. Die Sparte 4 ist ausverkauft; aber wegen der durchaus beruhigenden Abstände sind nicht mehr als 30 Zuschauer da. Und die können nach der Premiere von „Die Politiker“ am Freitagabend noch so viel klatschen, es klingt doch spärlich. Wolfram Lotz‘ Stück ist eigentlich keines – sondern ein „Sprechtext“, ein abendfüllendes Gedicht, der innere Monolog eines Autors (namens Wolfram), der sich beim nächtlichen Schreiben das Hirn zermartert. Sein Thema sind „die Politiker“. Den Begriff bedenkt er immer wieder, kaut ihn geistig wieder und lässt dann seine Sprache von der Assoziationskette: Da verbinden sich Wortwitz, Sprachjonglagen, Nonsens, Absurdität mit Kindheitserinnerungen, mit Gedankenspielen, mit Abschweifungen, während man dem Autor die Verzweiflung anmerkt, dass er nicht recht zu Potte kommt – und die Katze schleicht auch noch durchs Schreibzimmer und landet im Text.

Wie bringt man das auf die Bühne? Am Deutschen Theater in Berlin hat Sebastian Hartmann 2019 „Die Politiker“ seiner Inszenierung von „König Lear“ angefügt, als halbstündigen Solo-Monolog – für viele Kritiker der Höhepunkt des Abends. In der Sparte 4 geht Regisseur Mark Reisig einen ganz anderen Weg: Mit zwei Mimen (Mirjam Kuchinke und Silvio Kretschmer) und einer Inszenierung, die man, im Rahmen der Bühnenwerkstatt-Atmosphäre der Sparte 4, opulent nennen kann (Bühnenbild und Kostüme von Viviane Niebling). Wirkt Lotz‘ Text beim Lesen wie ein Korridor, in dem der Autor ab und an in die Räume des Ganges schaut und schnell weitergeht, hat es bei Reisigs Fassung den Anschein, er nehme den Zuschauer in jeden (Gedanken-)Raum entlang des Korridors mit hinein, um sich gründlich umzuschauen.

Zu Beginn spielt Kuchinke den schreibenden „Wolfram“, der sich lustvoll dem Thema widmet und gerne in Sprachjux zwischen Dada und Gaga verliert. „Die Politiker fahren mit Fahrzeugen/ sie fliegen mit Flugzeugen/ sie straucheln in Sträucher/ sie knacken beim Kacken/ und schreien im Schrein!“ Derweil kommt, wie aus einer Goldfolien-Fruchtblase, ein Junge zur Welt (Kretschmer), in güldener Unterhose. Der Sohn von Autor Wolfram? Das Duo jongliert fortan mit Sprache, freut sich, dass nach dem Wort „Finsternis“ Streichertöne ominös brummen. Neon-Röhren flackern an der Wand auf, wie in einer Auto-Werkstatt, schließlich wird hier auch geschraubt, gehämmert, zumindest an der Sprache.

Für die exzellenten Darsteller, die im Wechsel den Autor des Textes spielen, ist das ein Fest. Kretschmer agiert im weiten Feld zwischen ruhiger Zufriedenheit und Hysterie, Lachkrampf und Verzweiflung, wenn ihn böse Erinnerungen der Kindheit heimsuchen; Kuchinke gibt wunderbar den Autor, der sich durch die eigenen Einfälle kämpft, mitgerissen wird vom eigenen Gedankenstrom. Die ironischen Solotänze der beiden zu Roy Blacks Über-Schnulze „Lass die Frau, die Du liebst, niemals weinen“ sind ein Körperkomik-Kabinettstückchen.

In Lotz‘ Vorlage findet sich Roy Black nun nicht, auch sonst nimmt sich die Inszenierung Freiheiten: Von einem Retro-Tonbandgerät läuft im abgehackten Pseudo-Roboter-Sprachduktus eine Passage, die vom Zweiten Weltkrieg erzählt; und das Duo singt zwei melancholische, sphärisch entrückte Songs (von David Rimsky-Korsakow). Die klingen schön und berührend, aber bisweilen wirkt die Inszenierung etwas übervoll, manchmal überbemüht, Lotz‘ Text zu illustrieren – auch mit den Bühnenprojektionen, wenn Kretschmer Kuchinke bei einem furiosen Monolog filmt und ihr Gesicht an die Wand strahlt. Als wollten die Theatermacher zeigen, was sich hier so alles machen lässt; das finale „gendern“ von „Politiker“ zu „Politikerinnen“ (bei Lotz nicht im Text)  wirkt eher pflichtschuldig denn originell. Dieser kleinen Einwände zum Trotz – es ist ein flotter Theaterabend voller Sprach-, Schauspiel- und Inszenierungslust. Und was erfährt man nun von „den Politikern“? Gar nicht so viel – denn sie sind ja auch nur Menschen wie du und ich. Und damit immer etwas rätselhaft. Und beim Beschweren über sie sollte man nicht vergessen, dass man etwa für die Zusammensetzung eines Parlaments mitverantwortlich ist. „Habt ihr sie etwa nicht gewählt/ Wer dann? Die Eichhörnchen im Park?/ Zum Teufel mit diesen Viechern!.“

Nächste Vorstellungen: 25. und 26. September, 4., 16., 22. und 31. Oktober.
Info: www.sparte4.de

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