Groß-Skulpturen mit toten Tieren in Saarbrücken Brutale Märchen: Füchse und ein Wal im Museum

Saarbrücken · Claire Morgan macht aus Pflanzensamen, Plastikmüll und präparierten Tieren Kunst, die zum „grünen“ Zeitgeist passt. Doch die Ausstellung „Joy in the Pain“ in der Modernen Galerie schürft tiefer – bis zur biblischen Schöpfungsgeschichte.

Der erste Schritt dieser Ausstellung führt ins Dunkel. Man betritt eine andere Welt. Eine, in der Schönheit und Grausamkeit als gleichrangige Prinzipien auftauchen, ganz ohne Moral – wie es die Natur nun mal so hält.  Oder wie es Claire Morgan (41) will. Im Schwarz schweben Lichtpunkte, die sich magisch zu verdichten scheinen, zu vier instabilen Kuben aus womöglich tausenden  federleichten Einzel-Teilchen – Distelsamen. Durch die fragilen Körper hindurch verläuft eine Schneise, die Flugbahn einer Eule, die mit ausgebreiteten Flügeln vor dem letzten Kubus nahezu panisch stoppt. Denn dort wartet – der Tod? Realiter sind es tote Schmeißfliegen, die die in Großbritannien lebende Künstlerin für das Schluss-Szenario ihrer Installation „Here is the end of all things“ (2011) an straffen Nylonfäden wie auf einer Perlenkette aufgefädelt hat – eine exakt choreographierte Schreckens-Armada. Ekelhaft?  In dieser geometrischen Formation ist das reine  Ästhetik. Und man kann nicht anders als staunen in dieser einerseits krass realistischen, andererseits märchenhaft aufgeladenen Wunderkammer.

Man hat seit Beuys Erfahrung  mit Fett, Wachs und Blut als Kunst-Materialien, kennt auch Land-Art-Skulpturen aus Treibholz oder Steinen. Aber nein, so etwas hat man bislang in einem Museum noch nicht gesehen: Werke, in denen tote Körper von Füchsen, Vögeln oder Katzen die Hauptrolle spielen und die Künslterin die Taxidermie zu ihrem Handwerk zählt. Morgan präpariert die Tiere selbst, oft wurden sie durch Unfälle verletzt. Die Kadaver legt die Künstlerin auf Papier-Unterlagen, auf denen Blut- und Körpersäfte oder Tierhaare zurückbleiben und in die sie  später die Umrisse der Tiere wieder hineinzeichnet, mitunter wie in dynamischen schwarzen Wirbeln, die den Todeskampf sichtbar machen. 

Zweifelsohne geht es hier um das ewige Natur-Gesetz vom Werden und Vergehen und Wiedererstehen, zugleich um die Gefährdung dieser ewigen kreatürlichen Prozesse durch die Zivilisation. Denn Plastikschnipsel, die Morgan aus Müllbeuteln schneidet, tauchen ebenfalls immer wieder auf. Soll man das nun als kosmologische Kunst, morbide Kunst oder grün-ökologische Kunst begreifen? Allem voran ergibt sich die Qualität dessen, was man derzeit in drei Räumen des Erweiterungsbaus der Modernen Galerie erlebt, als Begegnung mit einer vermutlich singulären, außergewöhnlichen Position.

Andrea Jahn, die neue Programm-Chefin des Saarlandmuseums, gibt mit „Joy in the Pain“ ihre Visitenkarte ab, denn es ist das erste von ihr als Vorständin der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz kuratierte Projekt in der Modernen Galerie. Deren Erweiterungsbau hält einen sehr besonderen, sehr heiklen 14 Meter hohen Raum für Groß-Installationen bereit. Morgan entschied sich für das größte Säugetier der Welt, für einen Wal. 16 Meter groß war das Tier, an dem sie Maß nahm. Morgan rammt es in den Boden. Der Kopf fehlt, die Schwanzflosse verliert sich mehrere Etagen höher über den Köpfen der Besucher in einem blauen Nebel.

Wie sich überhaupt der Wal-Körper aufzulösen scheint, denn seine Umrisse werden durch tausende hauchdünne, unregelmäßig geformte Plastik-Plättchen definiert, die die Künstlerin aus Mülltüten heraus geschnitten hat. Viele davon kleben auch am Boden und an den Wänden, es herrscht viel Blau, eine unwirkliche Aquarium-Atmosphäre. Zugleich denkt man an die Plastikteppiche in den Ozeanen und die Plastikteilchen in den Fischen, die wir essen: „All of the things I have ever lost“ löst zweifellos sehr nahe liegende Assoziationen aus, schürft nicht wirklich tief.

Morgan kann das besser. Wie hervorragend sie das Spiel mit Ambivalenzen beherrscht, zeigt beispielhaft die dreiteilige Arbeit „By the skin of the teeth“, übersetzt „Mit knapper Not“. Ein Fuchs hat sich in einen schwarzen Plastik-Kegel verbissen. Hängt der Fuchs gefangen fest oder rettet er sich? Wird das Tier durch den Trichter ernährt oder verschlingt es dieses Symbol für Zivilisation? Zärtlichkeit und Aggression gehen hier eine irritierende Mischung ein. „Ich finde, dass die Plastikteile eine erstickende, brutale Wirkung haben, sich jedoch ihre Oberfläche angenehm anfühlt.“ Das sagt Morgan dazu. Zudem spiegelt die großartige Installation beispielhaft ein formales Hauptprinzip der Künstlerin, die Kontrast-Dramaturgie: Dynamik trifft auf Starre, Anmut auf Grausamkeit, aus Tod entsteht Schönheit.

Wie das geht? Die Lebendigkeit der Tier-Szenen, hält Morgan fest wie „Stills“ in einem Naturfilm und koppelt sie mit minimalistisch harten Figuren und Mustern. Deren Strenge und Härte wiederum bricht sie auf, durch die Transparenz und Fragilität von zarten, leichten Materialien wie Distelsamen.  Morgans Werk legt offen: Auch die Natur mit ihrer vermeintlich organischen Anarchie folgt Regeln, die wir Menschen allerdings meist nicht kennen. Sie scheinen uns „mystisch“ verborgen.

Am Ende geht es, wie meist bei guter Kunst, auch bei Morgan um die ganz großen Fragen. Am Anfang, sagt die Bibel, war es „wüst und leer“ – man übersetzt das auch mit Chaos. Danach entstand erst der nach Gesetzen funktionierende Kosmos, das Universum, die Weltordnung. im Saarlandmuseum erleben wir ebenfalls eine Schöpfungsgeschichte: Morgan lässt tote Tiere sehr lebendig aussehen und schenkt ihnen ein zweites Leben - in der Kunst.

Joy in the Pain: 10.7. bis 6. Februar 2022,  Moderne Galerie, Bismarckstraße 11-15, geöffnet Di. bis So. 10 bis 18 Uhr, Mi bis 20 Uhr. Nicht mehr notwendig für den Besuch ist ein Schnelltest, auch die Online-Voranmeldung entfällt.

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