Vom Kino auf die Bühne in Saarbrücken „Der große Gatsby“, auf Eis serviert

Saarbrücken · Party ohne Ende – es ist ein wenig schmeichelhaftes Sittenbild der „Roaring Twenties“, das im Roman „Der Große Gatsby“ gezeichnet wird. Er kam jetzt in einer Bearbeitung von Rebekka Kricheldorf auf die Saarbrücker Staatstheater-Bühne. Wurde daraus ein Stück zur „Zeitenwende“?

  Sébastien Jacobi als Jay Gatsby (links), Michael Wischniowski als Nick Carraway.

Sébastien Jacobi als Jay Gatsby (links), Michael Wischniowski als Nick Carraway.

Foto: Astrid Karger

Das nennt man dann wohl ein Luxusproblem: „Ich war in diesem Jahr noch gar nicht im Pool.“ Das Grübeln über das Versäumnis begleitet Jay durch den gesamten, nahezu dreistündigen Abend. Sébastien Jacobi tritt in Saarbrücken in seinem Smoking als der erwartet elegante „große Gatsby“ auf; er hat auch das gewisse rätselhafte Etwas, das die Gerüchte über die mafiösen Ursprünge seines provozierenden Reichtums ins Kraut schießen lassen.

Zugleich erlebt man diesen Gatsby im Stück von Rebekka Kricheldorf weniger melancholisch, weniger schillernd als üblich. Denn wie alle seine Mitspieler in der „American Dream“-Spielbank von Regisseurin Bettina Bruinier – emotional ausgeraubt, unterkühlt –, liefert Jacobi keine charakterliche Feinstudie, sondern eher den Umriss eines kapitalistischen Typus: Materiell übersatt und ideell ausgehungert jagt er dem Phantom der eigenen Identität und dem der einzig wahren Liebe nach. Die heißt Daisy (Verena Bukal), trägt kleinmädchenhafte Tüll-Kleidchen in Rosatönen (Kostüme Justina Klimczyk), trippelt wie ein Püppchen und plappert viel dummes Zeug. Eine egomanisch Durchgeknallte ohne Sex-Appeal – wie verblendet muss da ein Gatsby sein?

Der ist nur das Symbol-Spiegelbild einer orientierungslosen Gesellschaft, die schön mit liebenswert verwechselt und reich mit menschlich wertvoll. Tatsächlich gleiten verschwommene Videobilder (Leonard Koch) von Pool-Wasser-Wellen über die ansonsten puristische Kulisse. Mitunter erkennt man im optisch verführerischen Blau eine menschliche Figur, doch sie löst sich auf.

  Eine Szene aus „Der große Gatsby“, dessen Bühnenbild Volker Thiele entworfen hat. Mit, von links, Emilie Haus als Myrtle Wilson, Fabian Gröver als George Wilson,  Jan Hutter als Tom Buchanan, Laura Trapp als Jordan Baker und Michael Wischniowski als Nick Carraway.

Eine Szene aus „Der große Gatsby“, dessen Bühnenbild Volker Thiele entworfen hat. Mit, von links, Emilie Haus als Myrtle Wilson, Fabian Gröver als George Wilson, Jan Hutter als Tom Buchanan, Laura Trapp als Jordan Baker und Michael Wischniowski als Nick Carraway.

Foto: Astrid Karger

Auch Daisy hat jeden Selbstbestimmungs-Kompass verloren, seit sie vor Jahren den wohlhabenden Tom (Jan Hutter) geheiratet hat – statt den damals als Loser geltenden Gatsby. Als letzterer dann als Selfmade-Millionär wieder in die Stadt zieht, kommt es zur Eifersuchts-Katastrophe, in die noch zwei weitere Paare verwickelt sind. Der ökonomisch abgehängte Tankstellen-Besitzer George, den Fabian Gröver berührend zeichnet, ringt mit seiner aufstiegsgeilen Frau Myrtle (Emilie Haus), die ihn mit Tom betrügt und dreist belügt. Und der aufrechte, konservative Nick (Michael Wischniowski) verliebt sich ausgerechnet in die emanzipierte Jordan, die es auch ohne Mann als Golf-Profi in die Upperclass geschafft hat. Laura Trapp zeigt sie als einzige Realistin unter all den Pseudo-Romantikern.

Die Auflösung von Geschlechterrollen, die Ökonomisierung von Liebesbeziehungen, der kollektive Erlebnishunger, der nur Unerlöstheit erzeugt, all diese Themen sind heute noch aktuell. 2012 kam Kricheldorfs Drama auf die Bühne, am Mittwoch hatte es im Saarländischen Staatstheater Premiere. Ein großes Ensemblestück nach einem „großen“ Roman von F. Scott Fitzgerald, der dazu auch noch zweimal „groß“ verfilmt wurde, mal mit Robert Redford (1974), mal mit Leonardo DiCaprio (2013) in der Hauptrolle – da lädt sich eine Regisseurin ganz schön was auf die Schultern. Denn es ist nicht leicht, für das Gesellschaftspanorama der „Roaring Twenties“, das im nervösen Charleston-Fieber vibriert und mit allen Vulgaritäten der amerikanischen Upperclass-Neureichen aufwartet, einen heutigen Theater-Ton zu finden. Einen, der über die Karikatur hinaus geht und ohne sozialpädagogischen Eifer gegenüber dem fein herausgeputzten Wohlstands-Publikum im Saal auskommt, das es in den Shopping-Meilen und bei Sterne-Köchen ja auch gerne richtig knallen lässt. War da mal was mit der „Zeitenwende“?

Die Kapitalismuskritik kommt bei der scheidenden Saarbrücker Schauspielchefin Bruinier auf leisen Sohlen daher. Sie arbeitet den feinen, bösen Humor der Kricheldorf-Vorlage exzellent heraus, inszeniert ein schlankes Konversations-Drama statt einer plakativen Pop-Revue, vermeidet Psychologisierung ebenso wie illusionistische Zwanziger-Jahre-Bezüge und schafft dadurch die Möglichkeit für intellektuelle Distanz.

Nichts wird übertrieben, nicht mal die Party-Szenen, bei denen identisch aussehende No-Name-Gestalten in albernen Las-Vegas-Glitzeranzügen vor Erregungsleere zucken. Auf den Rampen, die auch als Kaufhaus-Rolltreppen taugen, finden sie kaum Halt, purzeln hilflos übereinander. Volker Thieles abstrakte, schroffe, graue Einheitskulisse funktioniert wie eine Kugelbahn, auf der alle Protagonisten mal ganz oben und mal ganz unten landen. Treffen sie sich mal auf gleicher Augenhöhe, kommt es zu erbitterten Machtkämpfen. Mal sind sie köstlich lächerlich, etwa wenn sich Jacobi und Hutter nach dem Motto „Wer hat den längsten..“ um die Gunst von Nick streiten, indem sie ihn mit Araberpferd-Ausritten oder Privatjet-Ausflügen zu ködern versuchen.

Mitunter wird’s aber auch verzweifelt ungemütlich, vor allem für die Frauen, denn alle Männer erwarten Gehorsam. George legt seine Myrtle sogar an die Hundeleine, und Daisy quält sich durch ein permanentes aggressives Befehls-Gewitter: „Bleib bei mir!“, „Verlass ihn!“ das alles hat Bruinier mit ruhiger, kluger Hand arrangiert.

 Dennoch fühlt man sich intellektuell ein wenig unterernährt. Denn was bleibt, wenn man dem Fitzgerald-Stoff das flirrende, exaltierte Zeitkolorit nimmt? Nur eine Story, die ewig wahre und immer wieder frustrierende Einblicke in die versaute kapitalistische Seele zulässt. Jaja, Geld macht nicht glücklich und verdirbt auch noch den Charakter. Aber auch wer arm ist, dem kann dasselbe passieren. Freilich riechen Reiche im ganzen Schlamassel besser. Wusste schon der „große Gatsby“. 

Termine: 22. April, 6., 17., 25. Mai.
Karten: Tel. (06 81) 3092-486 und
www.staatstheater.saarland/karten

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