Vortrag über František Kocourek Saar-Abstimmung aus Prager Sicht

Saarbrücken · Neues Buch von Alena Wagnerová widmet sich František Kocoureks Reportagen über die Saar-Region.

 Kocourek spricht, beobachtet von einem Nazi-Besetzer, im März 1939 auf dem Prager Wenzelsplatz in ein Radio-Mikrofon.

Kocourek spricht, beobachtet von einem Nazi-Besetzer, im März 1939 auf dem Prager Wenzelsplatz in ein Radio-Mikrofon.

Foto: Prager Rundfunkarchiv

Die Saar-Region im Fokus der Weltöffentlichkeit: Das passierte im Januar 1935, als die Volksabstimmung über den Anschluss des Saargebiets an Hitler-Deutschland über die Bühne ging. „Für mich war das eine große Überraschung“, sagt Alena Wagnerová. Die in Saarbrücken und Prag lebende Publizistin stieß bei ihren Forschungen zu der Freundin von Franz Kafka, Milena Jesenskajá, im Archiv in Prag auf eine Ausgabe der Wochenzeitschrift „Pritomnost“ („Gegenwart“) aus dem Jahr 1934, in der eine Reportage des Prager Journalisten František Kocourek über die Volksabstimmung im Saarland zu lesen ist.

„Dieses Ereignis, das Berichterstatter aus der ganzen Welt anzog, war für die Tschechoslowakei wichtig“, erklärt Wagnerová. Nach Hitlers Machtergreifung 1933 sei es zu Rufen der Sudetendeutschen, die in der Tschechoslowakei lebten, nach einem Anschluss ans Deutsche Reich gekommen. Die Tschechoslowakei blickte also gespannt ins Saargebiet, wo sich am 13. Januar 1935 eine überwältigende Mehrheit von 90,8 Prozent für „Heim ins Reich!“ entschied.

Jetzt hat Alena Wagnerová noch mehr Berichte von Kocourek gefunden, die nach ihrer Meinung einen parteipolitisch unabhängigen Blick auf die Stimmung im Saargebiet kurz vor der Abstimmung erlauben. Denn die Abschriften seiner Rundfunkreportagen für Radio Prag lagern dort im Rundfunkarchiv.

 Die in Saarbrücken und Prag lebende Publizistin Alena Wagnerová

Die in Saarbrücken und Prag lebende Publizistin Alena Wagnerová

Foto: Alena Wagnerová

Kocourek war nach Angaben Wagnerovás mehr als eine Woche rund um das Abstimmungsdatum im Saarland unterwegs. „Er spazierte durch Saarbrücken, sprach die Menschen an. Er stellte sich vor den Hauptbahnhof, wenn die Arbeiter zu Schicht kamen, und beobachtete“, berichtet Wagnerová. Kocourek sei auch an der Goldenen Bremm und in Saargemünd gewesen, habe mit französischen Soldaten gesprochen. Der Prager, der 1901 geboren wurde, hatte in den 1920er Jahren in Prag, Paris und Berlin studiert.

„Er beschreibt die Begeisterung für Hitler im Saarland“, erklärt die promovierte Publizistin. Kocourek habe im Hotel Bürgerhof in der Saarbrücker Reichsstraße gewohnt, sei natürlich auf dem Balkon in der Saarbrücker Halle Wartburg gewesen, als die Stimmen an den Tischen unter ihm ausgezählt wurden. Während die meisten anderen auswärtigen Journalisten nach dem Ereignis aber abgereist seien, sei Kocourek erneut zur Goldenen Bremm gefahren und habe über den Strom der Saarländer berichtet, die vor der braunen Zeit ins französische Exil flüchteten. Seine Reportagen habe Kocourek nur schriftlich an seinen Sender in Prag schicken können, wo sie vorgelesen wurden. „Es gab täglich eine Maschine zwischen dem Flugplatz Saarbrücken-St. Arnual und Prag“, berichtet Wagnerová von der Übermittlung der Reportagen aus dem Saarland per Flugzeug. Kocourek sei in den 30er Jahren ein vielbeschäftigter und angesehener Journalist in der Tschechoslowakei gewesen. „Es sind aber noch keine Plätze und Schulen nach ihm benannt, obwohl auch die tschechischen Journalisten von heute ihn kennen und schätzen“, sagt die Wandererin zwischen Prag und Saarbrücken.

Die Nazis bereiteten dem Leben des Journalisten Kocourek ein mörderisches Ende. Nachdem Hitler die „Rest-Tschechei“, wie er es abfällig nannte, im Frühjahr 1939 überfiel und besetzte, boten die deutschen Besatzer Kocourek an, für sie zu arbeiten. Doch der lehnte dieses „Angebot“ strikt ab. Am 11. Juni 1941 wurde er von der Gestapo verhaftet und ins Gestapo-Gefängnis in der Festung Theresienstadt verschleppt. Im September brachten die Nazis Kocourek, der kein Jude war, nach Auschwitz. Am 13. Mai 1941 starb der Mann, der über die Volksabstimmung im Saarland berichtet hatte, dort vermutlich an Typhus.

Wagnerová gibt Kocoureks Reportagen aus dem Saarland als Buch unter dem Titel „Die Saarländer haben sich entschieden“ demnächst heraus. Bei der Stiftung Demokratie Saarland (SDS) liest Wagnerová im Rahmen des Festivals „erLesen!“ aus dem Buch am kommenden Dienstag, 8. Juni, 18 Uhr, per Liveschalte auf dem SDS-YouTube-Kanal.

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