Kunst als Waffe Iraner Exil-Künstlerinnen stellen in Saarbrücken aus

Saarbrücken · „Frau – Leben – Freiheit“ lautet der Protestruf iranischer Frauen. Wie Kunst ihr Anliegen verstärken kann, zeigt eine Ausstellung in der Modernen Galerie. Und auch, was wir alles nicht wissen über die Kunstszene im Iran.

„Have you heard anything?“ (2020-2021) heißt die Serie von Jinoos Taghizadeh. Sie ist Teil der aktuellen Ausstellung „Künstlerinnen aus dem Iran“ in der Saarbrücker Modernen Galerie.

„Have you heard anything?“ (2020-2021) heißt die Serie von Jinoos Taghizadeh. Sie ist Teil der aktuellen Ausstellung „Künstlerinnen aus dem Iran“ in der Saarbrücker Modernen Galerie.

Foto: Jinoos Taghizadeh/Stiftung Kulturbesitz/Taghizadeeh

Seit 1979, seit der islamischen Revolution im Iran, müssen dort Mädchen, die älter sind als neun Jahre, ein Kopftuch tragen. Verstöße werden mit Haftstrafen von bis zu 2 Monaten geahndet. Doch bis ins Gefängnis schaffte es Masha Amini (22) nicht, sie überlebte die Verhöre der islamischen Sittenpolizei nicht. Angeblich hatte Amini den Hijab nicht korrekt getragen, ihr Todestag war der 16. September 2022. Seit dieser Zeit gehen die Menschen im Iran auf die Straße gegen das islamische Regime.

Iranische Künstlerinnen, die im Exil leben, verstehen sich als Teil der Bewegung – und ihre Kunst als politisches Instrument. Das könnte plump propagandistisch ausgehen. Tut es in Saarbrücken aber nicht, denn drei der sechs Exil-Künstlerinnen, die aktuell im Erweiterungsbau der Modernen Galerie unter dem Titel „Künstlerinnen aus dem Iran“ gezeigt werden, senden subtile Botschaften.

“Unsolicited love letters“ ist eine 3-Kanal-Videoarbeit aus dem Jahr 2023 von Simin Keramati, zu sehen in der Saarbrücker Ausstellung „Künstlerinnen aus dem Iran“.

“Unsolicited love letters“ ist eine 3-Kanal-Videoarbeit aus dem Jahr 2023 von Simin Keramati, zu sehen in der Saarbrücker Ausstellung „Künstlerinnen aus dem Iran“.

Foto: Simin Keramali/Stiftung Kulturbesitz/Mehrab Moghadasian

Eine allerdings nicht. Am schnellsten lesbar als Statement-Kunstwerke sind die flächigen Plakatmotive von Roshi Rouzbehani, als meterlanger vertikaler Fries gehängt. Die Künstlerin lebt als freiberufliche Illustratorin in London und konfrontiert uns mit hochgereckten Fäusten, Friedenstauben, orientalischen Ornamenten in satter Farbigkeit. Nun ja.

Auch die riesige Tapeten-Arbeit von Parastou Forouhar, die sie eigens für die Saarbrücker Ausstellung geschaffen hat, trompetet ihre Botschaft derart eindeutig hinaus, dass man wenig Lust verspürt, tiefer vorzudringen in das dekorative Netz-Geflecht aus hunderten von weiblichen Augenpaaren. Obwohl es lohnte: Warum etwa beobachten uns Frauen, wenn sie im Iran doch die allseits überwachten Opfer sind? Ermahnen sie uns, nicht wegzuschauen von ihrer Rebellion?

 Roshi Rouzbehani lebt als freiberufliche Illustratorin in London. Die Arbeit „Fist“ ist Teil eines Frieses, der in der Saarbrücker Modernen Galerie gezeigt wird.

Roshi Rouzbehani lebt als freiberufliche Illustratorin in London. Die Arbeit „Fist“ ist Teil eines Frieses, der in der Saarbrücker Modernen Galerie gezeigt wird.

Foto: Roshi Rouzbehani/Stiftung Kulturbesitz/Roshi Rouzbehani

Just dieser Impetus bewegte die Vorständin der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz Andrea Jahn zur Ausstellung. Sie, die sich generell zum feministischen Kuratieren bekennt, fühlt sich zur Unterstützung der Iranerinnen verpflichtet, wie sie sagt. Zumal sie seit 2019 Kontakt hält zu der aus Teheran stammenden und seit über 30 Jahren in Deutschland lebenden Forouhar, Kunsthochschul-Professorin in Mainz. Jahn stellte sie in der Saarbrücker Stadtgalerie aus, und Forouhars eindrückliche Bildsprache blieb haften: Aus vermeintlich traditionellen ornamentalen Mustern lösen sich in Forouhars Werken bei genauem Hinsehen Menschenleiber. Sie krümmen sich, verkrallen sich ineinander und Blut fließt, auch jetzt wieder, in der Arbeiten der „Papillon Collection II“ (2020-2023). Wir beobachten Menschenrechtsverletzungen, Folterszenen, die sich hinter der frappierenden Schönheit der Orients verstecken.

Auch die mit reichem Dekor geschmückte Architektur von Moscheen und Palästen prägen das westliche „Märchen“-Bild arabischer Länder. Aber es handelt sich um Monumente der Macht eines Gewaltregimes, darauf rekurriert Jinoos Taghizadeh mit ihrer gezeichneten Serie „Have you heard anything“. Auf menschenleeren Plätzen vor repräsentativen Gebäuden stranden unzählige verletzte Wale, die wir mit dem Volk und den Frauen identifizieren. Die Tiere waren offensichtlich chancenlos. Klarer und grausamer kann eine Anklage kaum ausfallen, das gräbt sich ein.

Konträr, nämlich poetisch-verschlüsselt, geht Simin Keramati vor. In ihrem dreiteiligen Video „Unsolicated love letters“ (2023) überformt sie die uralte persische Liebesgeschichte „Layli and Majunin“, die, ähnlich wie Shakespeares „Romeo und Julia“, mit einen Doppel-Selbstmord endet. Die ruhigen, puristischen Bilder des Videos und der englische Text vermitteln von dieser Bedeutungsebene allerdings recht wenig – und trotzdem zieht die Arbeit in den Bann. Am beeindruckendsten fällt die Begegnung mit Samira Hodaei aus, die Punkte dickflüssiger Glasfarbe direkt aus der Tube auf Leinwände oder Stoffe setzt und damit reliefartige Oberflächen schafft, wie gestickt. Ihre neuen, kreativen Muster überwuchern die Tradition – alte handbemalte Tischtücher (An Empty Sofreh, 2022) oder aber sie machen Frauen-Porträts unkenntlich.

Zwölf Gesichter tauchen in der Installation „Cinema Europe“ (2018) auf, Blumen in glänzenden Farben „blühen“ vor den Gesichtern wie Wunden, die eingebettet sind in schimmernde Schwärze. Denn das gleichnamige Kino, einst ein Ort der Begegnung mit der globalen Kultur, gibt es nicht mehr, eine leere Sitzbank und eine mit dunklen Tschadors verhängte Leinwand zeugen wie ein Menetekel davon. Man kann sich der bedrohlichen Magie dieser Arbeit nicht entziehen.

Kuratorisch war das Projekt nicht unheikel. Denn es entstand in relativer Eile. Mehr Hintergrund-Information für Besucher hätte gut getan, etwa darüber, ob und wie im Iran gerade jetzt die Galerie- und Kunstszene funktioniert. Aus dem Internet erfährt man, dass in Teheran noch viele unabhängige private Galerien existieren. Doch wie viel Staatsferne ist erlaubt, inwieweit fördert die Regierung die Kommerzialisierung des Kunsthandels, um die Künstler zu manipulieren? Womöglich gelingt es während der Laufzeit der Ausstellung noch, Vorträge oder Gesprächsrunden zu organisieren, die diese Leerstellen füllen.

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