Saarbrücker Kunstprojekt im Westjordanland Die unerreichbare Freiheit über den Wolken

Ramallah/Jerusalem · In einem Park in Ramallah im Westjordanland entsteht zurzeit die vierte „Wooden Cloud“ des Saarbrücker Künstlers Martin Steinert. Die SZ hat sich die Installation vor Ort angeschaut und begeisterte, offene Menschen getroffen.

 Ein Mann betrachtet die noch nicht ganz fertige „Wooden Cloud“ von Martin Steinert im Al-Istiqlal-Park in Ramallah. Am Sonntag wird die Skulptur offiziell übergeben.

Ein Mann betrachtet die noch nicht ganz fertige „Wooden Cloud“ von Martin Steinert im Al-Istiqlal-Park in Ramallah. Am Sonntag wird die Skulptur offiziell übergeben.

Foto: André Mailänder/andre mailaender

„Excuse me, where does the bus to Ramallah leave from?“ – Die Miene der Mitarbeiterin am Info-Schalter des zentralen Busbahnhofs in Jerusalem gefriert augenblicklich. „There is no bus to Ramallah!“ – Es gibt keinen Bus nach Ramallah. Die irritierte Reporterin versucht es einen Schalter weiter. Gleiche Antwort. Kein Bus nach Ramallah. Sie gibt nicht auf: „I know there must be a bus, please help me.“ Der Mitarbeiter erbarmt sich schließlich und erklärt, wo die Busse ins von Israel besetzte Westjordanland abfahren. Dass eine Ausländerin dorthin will, ist offensichtlich nicht gerne gesehen in Israel. Israelis ist die Einreise sogar verboten.

So beginnt die Reise in die palästinensischen Autonomiegebiete und in deren Verwaltungshauptstadt Ramallah, wo der Saarbrücker Künstler Martin Steinert auf Einladung des dortigen Goethe-Instituts seine vierte „Wooden Cloud“ – die „Architektur der Wünsche“ – baut. Diese großen Skulpturen aus von Passanten beschrifteten Holzlatten sind erstmals in der Saarbrücker Johanneskirche (2015), dann in St. Petersburg (2016), Berlin (2017) und Paris (2018) entstanden. „Nie hätte ich erwartet, dass ich einmal eine Wooden Cloud in Palästina bauen würde“, sagt Martin Steinert.

 Martin Steinert baut in Palästina seine vierte „Wooden Cloud“.

Martin Steinert baut in Palästina seine vierte „Wooden Cloud“.

Foto: André Mailänder/andre mailaender

Seit dem 8. Juni ist der 60-Jährige täglich im Al-Istiqlal-Park in Al-Bireh  bei Ramallah anzutreffen, meist mit seiner Saarbrücker Assistentin Marija Kiefer, einer Architekturstudentin, die Steinert schon bei mehreren „Wooden Cloud“-Projekten unterstützt hat. Ebenso wie der Saarbrücker Fotograf André Mailänder und die französische Filmkünstlerin Mathilde Nodenot, die sich beide jeweils auf ihre ganz eigene künstlerische Art und Weise dem Projekt nähern und auch dieses Mal mitgefahren sind.

Es ist Montagmorgen, kurz nach neun. Hinter dem modernen Palestine Trade Center, einem verglasten Hochhausklotz an der belebtesten Straße der Stadt, liegt der Eingang des kargen Al-Istiqlal-Parks. Direkt dort, an prominenter Stelle, hat Steinert seine begehbare Skulptur platziert. Als wir ankommen, bringt Abu Nasiri, Chef der Parkarbeiter, gut gelaunt die Stromkabel-Trommel, eine Leiter und einen neuen Aufsatz für den malträtierten Akku-Schrauber. 2000 Festmeter Holz wollen verbaut werden, das kostet Kraft, Schweiß – und den ein oder anderen Bohrer. „Alle sind so hilfsbereit hier“, strahlt Steinert. Auch wenn man mal warten müsse. Zum Beispiel auf eine längere Leiter. Steinert balanciert auf der letzten Stufe der kurzen, um die obersten Holzlatten in vier Meter Höhe anzuschrauben, Marija assistiert, kommentiert, korrigiert. „Die Skulpturen sehen immer so aus, wie es die Bedingungen zulassen“, sagt Steinert. Am Ende organisiert Parkverwalter Anas für den Künstler sogar eine Hebebühne, um  die zirka sechs Meter hohe „Wooden Cloud“ fertigzustellen. Das Team ist begeistert.

 Park-Manager Anas freut sich über die Skulptur.

Park-Manager Anas freut sich über die Skulptur.

Foto: Esther Brenner

Die Menschen, die den Park besuchen, sind es auch. An Wochenenden strömen Tausende zum Familien-Picknick hierher. Viele sind neugierig, fragen ohne Berührungsängste, was hier passiert. Man verständigt sich auf Englisch. Eine junge Geigenbauerin kommt vorbei, um zu helfen. Liebespaare verewigen sich auf der Skulptur. Kunst im öffentlichen Raum, das ist etwas Besonderes in Ramallah. Dass sie selbst Teil der Skulptur sein sollen, indem sie ihre Wünsche, Träume und Gedanken auf die Holzlatten schreiben, spricht viele Parkbesucher an. Auch wenn sie sich oft nur mit ihren Namen verewigen, was Martin Steinert bedauert. Die Kunstinstallation wird vom Goethe-Institut in Ramallah begleitet mit einer Ausstellung über das Projekt, Künstlergesprächen und Veranstaltungen vor Ort im Park.

Wie politisch aufgeladen die Situation im Westjordanland ist, vor allem in diesen Tagen, in denen der Konflikt zwischen den USA und Iran zu eskalieren droht, davon erzählen  wütende Inschriften in Englisch. „Free Palestine!“, „Boycott Israel B.D.S.!“, „Gaza my soul“, „Palestine for Palestinians“. Anas übersetzt einige arabische Inschriften. Der Wunsch nach Frieden, nach „Liebe und Respekt“ und nach dem ganz persönlichem Glück taucht immer wieder auf.

  Park-Besucher schreiben Wünsche auf die Latten der „Wooden Cloud“ (Holz-Wolke). Oft geht es um Freiheit und Frieden, aber auch um Wut auf Israel.

Park-Besucher schreiben Wünsche auf die Latten der „Wooden Cloud“ (Holz-Wolke). Oft geht es um Freiheit und Frieden, aber auch um Wut auf Israel.

Foto: André Mailänder/andre mailaender

„Wir sind erschöpft“, sagt der 31-jährige Anas. „Das Leben hier ist verrückt“. Wer mit Palästinensern ins Gespräch kommt, erfährt schnell, wie eingeschränkt deren Radius unter der Besatzungsmacht Israel ist, auch in den Gebieten mit dem höchsten Autonomiestatus wie in Ramallah. Die Freizügigkeit ist massiv beschränkt, ohne den richtigen Passierschein geht nichts. Viele Palästinenser besitzen überhaupt keinen Pass, wer ein „Permit“ für Ost-Jerusalem hat, kann wenigstens nach Israel einreisen, Familie besuchen, mit Sondergenehmigung auch dort arbeiten. Viele Straßen im Westjordanland dürfen Palästinenser nicht benutzen. Die Folge: Die eigenen Gebiete sind oft nicht erreichbar, das Land ist völlig fragmentiert. Man fühle sich wie in einem großen Gefängnis, das sagt nicht nur der Park-Manager.

Seit die USA Hilfsgelder in Millionenhöhe gestrichen haben – allein beim Palästinenserhilfswerk der Uno (UNRWA) fehlen seit 2018 mehr als 200 Millionen Dollar im Budget – wird die ökonomische Situation immer schwieriger. Außerdem hat Israel viele Millionen Euro an Steuern und Zöllen, die es per Abkommen für die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland erhebt und abführt, eingefroren. Begründung: Die Palästinenser unterstützten damit Familien von Terroristen. Die Gehälter für die Verwaltungsangestellten wurden daher um 30 Prozent gekürzt. Viele Familien sind von diesen Einkommen abhängig. „Eine Familie in Ramallah braucht zum Leben umgerechnet mindestens 1000 Euro pro Monat“, rechnet Anas vor. Im Durchschnitt verdiene ein Verwaltungsangestellter nur 500 bis 600 Euro.

Auch wenn überall unglaublich viel Müll herumliegt, an jeder Ecke Schrottautos stehen – als flüchtige Besucherin hat man trotzdem den Eindruck, dass Ramallah mit seinen rund 40 000 Einwohnern doch funktioniert, trotz der prekären ökonomischen und politischen Situation. Gebaut wird jedenfalls rund um die Uhr, angeblich vor allem mit Geld von palästinensischen Auswanderern. Und geshoppt wird ebenfalls ausgiebig in den geschäftigen Straßen der Stadt mit unzähligen Glitzerkleider-Boutiquen, Schmuckläden und viel importiertem Ramsch aus Asien.

„In Gaza ist alles viel schlimmer“, sagt Anas, der ausgebildete Ingenieur, der sich gerade per Fernstudium an einer Universität in Pennsylvania (USA) fortbildet. Der von der radikal-islamistischen Hamas beherrschte Gaza-Streifen ist von Israel abgeriegelt, die Arbeitslosigkeit liegt dort bei über 40 Prozent und ist  mehr als doppelt so hoch wie im Westjordanland, laut offizieller Statistik. Man trifft die palästinensische Bildungselite, Menschen wie Anas,  als Ausländerin vor allem in den Bars, Cafés und Restaurants westlichen Stils, von denen es einige gibt in der Stadt, in der unzählige ausländische Vertretungen und Nichtregierungsinstitutionen wie das Goethe-Institut Büros haben. Ins Gespräch zu kommen ist nicht allzu schwierig.

Dass Martin Steinerts „Wooden Cloud“ in „seinem“ Park steht, macht Anas stolz. Die Wünsche-Wolke  wird die Welt nicht verändern, aber sie macht sie für einen Moment vielleicht ein kleines bisschen besser.

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