Premiere am 5. September: Henrik Ibens „Nora“ Der schöne Schein hat den Glanz verloren

Saarbrücken · Die Version von Henrik Ibsens „Nora“ von 1879, die das Staatstheater am Samstag (5.9.) zeigt, will mehr sein als die Geschichte der Befreiung einer Frau aus ihrer nur scheinbar heilen Ehe. Sie zerlegt Scheinwelten und fragt danach, was passiert, wenn der Status quo – wie in Zeiten der Pandemie – brüchig wird.

  Wie heil ist die Welt hinter dem Vorhang? Christiane Motter als Nora (r.) und Gregor Trakis als ihr Ehemann Torvald.

Wie heil ist die Welt hinter dem Vorhang? Christiane Motter als Nora (r.) und Gregor Trakis als ihr Ehemann Torvald.

Foto: SST/Martin Kaufhold/SST

Anwalt Helmer hat es geschafft: tolle Wohnung, super Job, schöne Frau, drei entzückende Kinder. Nora, die Titelheldin, gibt die glamouröse Gattin und scheint sich im gut situierten, bürgerlichen Leben bequem eingerichtet zu haben. Doch ihre Scheinwelt ist brüchig, denn da gibt es ein Geheimnis, das ans Licht kommt, Nora die Augen für ihre eigenen Bedürfnisse öffnet und die Familie der Helmers zerstören wird.

Alles dreht sich hier um Schein, Sein, Selbstbetrug und Selbstverwirklichung. Als das Stück des norwegischen Autors, das im Original und in den meisten Übersetzungen treffenderweise den Titel „Ein Puppenheim“ trägt, 1879 uraufgeführt wurde, produzierte es einen Skandal. Denn in der Originalfassung verlässt Nora Mann und Kinder, emanzipiert sich. Dafür feierte die Frauenbewegung Ibsen Ende des 19. Jahrhunderts. Seitdem ist das Stück ein Bühnenklassiker. Auch die Verfilmung von 1973 mit Anthony Hopkins als Torvald Helmer und Claire Bloom als Nora ist berühmt.

Dem deutschen Publikum wollte man dieses im Wilhelminischen Kaiserreich skandalöse Finale nicht zumuten und schrieb deshalb das Ende kurzerhand um. Nora bleibt. Wie das Stück in der Saarbrücker Inszenierung ausgeht, die am Samstag in der Alten Feuerwache Premiere hat, wollten die Regisseurin Schirin Khodadadian und Dramaturg Horst Busch nicht verraten. Klar ist aber: Als rein feministische Emanzipationsgeschichte funktioniert „Nora“ nicht mehr. Die Frauenfrage hat heute dafür viel zu viele Facetten. Da geht es nicht nur um Selbstbestimmung, sondern um Selbstermächtigung. Und auch um das „Diktat des Kapitals, durch das Frauen, die oft finanziell abhängig von Männern sind, zu Verliererinnen in diesem System werden“, formuliert es Schirin Khodadadian, die zum ersten Mal am Saarbrücker Haus arbeitet.

„Ibsens Text funktioniert wie eine Folie, die alle diese Themen beschreibt“, sagt die Regisseurin. Nora sei eine einsame, verunsicherte Figur und stehe damit in Zeiten der Vereinzelung durch Kontaktbeschränkungen für viele, denen es zurzeit auch so ergehe. „Sie will gesehen werden, sehnt sich danach, in Kontakt mit anderen zu treten.“ Das Stück lote Beziehungskonstellationen aus, die in einer Zeit, in der der Status quo massiv in Frage gestellt werde, neu definiert werden müssten. Wo findet sich das Individuum wieder in der Gesellschaft? „Was ist ‚die Gesellschaft’ überhaupt?“, fragt die Regisseurin. Und, welches Gesellschaftsbild, welche Rollen- und Geschlechterbilder beeinflussen Entscheidungen, Beziehungen, Schicksale? Nähe und Distanz mit Sicherheitsabständen auf der Bühne zu inszenieren, sei eine große Herausforderung gewesen, so die Regisseurin.

Gerade in Corona-Zeiten stellten viele Menschen ihr Leben infrage, behauptet das Regieteam. Darunter viele Frauen wie Nora, (wieder) reduziert aufs Häusliche, nicht für voll genommen. In der aktuellen Situation sind und waren es gerade die Frauen, die während des Lockdowns in viel größerer Zahl als die Männer zu Hause blieben, um die Familie zu versorgen. Gleichberechtigung? Ein schöner Schein. Weibliche Familienarbeit als Selbstverständlichkeit. „Was das für unsere Gesellschaft bedeutet, ist noch nicht abzusehen“, warnt Dramaturg Horst Busch.

Und deshalb sei dieser 140 Jahre alte Text sehr aktuell. Das Ausjustieren von Nähe und Distanz – gerade im häuslichen Lockdown – habe vielen Menschen einiges abverlangt. Nora in ihrem Puppenheim, in einer scheinbar intakten Ehe und Familie, spiegelt diese Brüchigkeit der Verhältnisse. „Wir spielen auf Spiegelfolie und hinter Fransenvorhängen“, erläutert Horst Busch. So reflektiere man den schönen Schein der patriarchalischen, kapitalistisch organisierten Gesellschaft, deren Konventionen und Regeln Nora durchbricht. Mit der Titelheldin könne sich das Publikum selbst befragen. In diesen Corona-Zeiten lösten sich so manche Gewissheiten auf, finden die Theatermacher. Wolle man zurück zur „Normalität“ der „Vor-Corona-Zeit“, richte man sich pragmatisch in der „neuen Normalität“ ein oder stelle man das ganze kapitalistische System infrage, das auf Geld, Konsum und Gier basiert? Denn schließlich gehe es in „Nora“ eben auch ganz profan ums Finanzielle. Es ist letztlich Auslöser für den Konflikt, der zum Zerfall einer scheinbar intakten Familie führt.

Premiere ist an diesem Samstag, 5. September (Alte Feuerwache, bereits ausverkauft). Weitere Termine: 11./25. Sept.; 3./16./22./31. Oktober, jeweils 19.30 Uhr. Es gibt derzeit 65 Plätze in der Feuerwache. Karten unter Telefon (06 81) 3 09 24 86.

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