Festival „erLesen!“ Hans Scholl, die Weiße Rose und die Frage der „Herzensbildung“

Uchtelfangen · „Wo waren die Christen im Nationalsozialismus?“, fragt ein Besucher nach dem eineinhalbstündigen Vortrag von Robert M. Zoske über Hans Scholl in die Runde.

Damit eröffnet er in der rappelvollen Begegnungsstätte „Alte Schule“ ein fast einstündiges Gespräch zwischen dem Scholl-Experten Zoske und dem engagiert argumentierenden Publikum. „Glaube kann zu Widerstand ermutigen, muss er aber nicht“, erwidert Zoske, der sich in seinem tief bewegenden Vortrag detailreich der charismatischen Person Hans Scholl näherte.

Im Fall der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ mit den protestantischen Geschwistern Scholl und ihren vier Mitstreitern – darunter der Katholik Willi Graf und der russischstämmige Orthodoxe Alexander Schmorell – führten der Glaube und die Verteidigung christlich-humanistischer Werte in den aktiven Widerstand. Ganz im Gegensatz zur Mehrheitsgesellschaft, was an diesem Abend immer wieder angeprangert wird. Für Bürgermeister Armin König liegt der Schlüssel für „eine Welt, die Frieden braucht und will“, in Wissen und Bildung. Bildung schütze nicht vor Dummheit, kontert eine Frau und favorisiert „eine Herzensbildung“. Dass die überwiegend älteren Besucher den gewachsenen zivilen Ungehorsam der Jugend loben – „obwohl uns ja nichts bedroht, wenn wir Mut zeigen“ – schlägt dennoch die Brücke zu Hans Scholl. In seinem Leben kulminieren die Strömungen seiner Zeit: Er war nicht nur Fähnleinführer in der HJ und gleichzeitig Anführer des elitären, von den Nazis verbotenen Jungenbundes „dj.1.11“; er unterhielt auch über ein Jahr lang eine sexuelle Beziehung zu einem Jungen („Es war Liebe“), verehrte Stefan George und verfasste selbst circa 140 Gedichte. Einer Gefängnisstrafe entging er knapp, weil seine Beziehung als „jugendliche Verirrung eines sonst anständigen und geschlechtlich normal empfindenden Menschen, der solche Torheiten jetzt überwunden hat“, gewertet wurde. Weitere Beziehung zu Männern sind nicht bekannt.

Vielmehr führen Scholls Erfahrungen in französischen und russischen Lazaretten (in Russland zusammen mit Willi Graf) zu dessen Entschluss, in den „metaphysischen Krieg“ zu ziehen, publizistisch wie Thomas Mann in seinen Radio-Ansprachen. Ganz im Sinne der Losung der Familie Scholl lebte Hans zeitlebens ein standhaftes „Dennoch“ und starb „allen Gewalten zum Trutz“ (Goethe) als 23-Jähriger mit seiner Schwester Sophie am 22. Februar 1943 auf der Fallschwertmaschine im Gefängnis München-Stadelheim. Seine letzten Worte: „Es lebe die Freiheit.“ Beklommene Stile herrscht in der „Alten Post“, als Zoske die letzten Aufnahmen der Geschwister bei deren erkennungsdienstlicher Gestapo-Behandlung zeigt. Beider Blicke: entschlossen – trotz ihres Schicksals, dass der Volksgerichtshof in pervertierter Schnelligkeit besiegelte.

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