Saarbrücker Theater Don Carlos’ großer Lebens-Crash

Saarbrücken · Erstmal braucht man Sitzfleisch bei dieser Verdi-Oper am Saarbrücker Theater. Dann aber packt einen Regisseur Roland Schwab – mit seinem „Don Carlos“ im Tunnel. Und Sänger und Orchester tun es sowieso.

 Wer bei „Don Carlos“ ein Dekor nach Art des 16. Jahrhunderts erwartet, ist in Saarbrücken definitiv im falschen Theater. Regisseur Roland Schwab mag es radikal modern und verlegt die Handlung in einen Autotunnel. Wo aber einiges geboten wird.

Wer bei „Don Carlos“ ein Dekor nach Art des 16. Jahrhunderts erwartet, ist in Saarbrücken definitiv im falschen Theater. Regisseur Roland Schwab mag es radikal modern und verlegt die Handlung in einen Autotunnel. Wo aber einiges geboten wird.

Foto: SST/Astrid Karger

Programmhefte sollten eigentlich Pflichtlektüre sein, bevor das Licht ausgeht und der Vorhang hoch. Vielleicht gäbe es dann weniger Schulterzucker, Stirnrunzler und Fragezeichengesichter in der Pause. Oder andersrum: „Don Carlos“ im Saarländischen Staatstheater ist fast bis zum Break nach erst mal langen, langen zwei Stunden einer dieser typischen Was-will-der-Regisseur-uns-damit-sagen-Inszenierungen.

Auf der Bühne im Großen Haus sieht man nämlich alles andere als das zu Erwartende. Statt Halskrausen und Männern in Strumpfhosen, statt sinistren Habsburgern und spanischem Hofzeremoniell, statt rebellischer Flamen und furchtbarer Kirchenmänner – ein Autotunnel. Richtig gelesen: ein Autotunnel. Genau genommen eine tödlich schnelle, enge Kurve aus viel Beton im Neonlicht. In diesem Viertelrund liegt ein Sportwagen auf dem Dach. Totalschaden. Schwer lädiert kriecht Carlos, ungeliebter Sohn Philipps II. von Spanien, aus dem Crash-Porsche (wobei Vertreter der spanischen Krone ja tatsächlich eher Maserati oder Ferrari bevorzugen).

Wer immer aber im ersten von fünf Akten der Pariser Fassung von 1867, folgt man Verdi, was zu singen hat, singt von Liebessehnen, auch von Staatszwängen, die die Liebe oft ruinieren. Durchaus auch mal was vom Wald bei Fontainebleau und so. Nur eben nichts vom Autotunnel.

Also: Was bitte soll das dann? Nun, Regisseur Roland Schwab, der schon zu Beginn der Intendanz von Bodo Busse in Saarbrücken mit einer Schiller-Vorlage für die Oper brillierte, 2017 Rossinis „Guillaume Tell“ radikal aktualisierte, erklärt es. Eben im Programmheft – und, ja, ziemlich überzeugend. Für ihn ist der Infant ein zum Unglück Verdammter. Zwar ein Königskind, aber auf der direkten Straße in die Hölle. Nirgends bleibt Carlos zwischen der dominierenden Kirche und dynastischen Zwängen Platz für sein Leben, seine Liebe, seine Ambition etwa auch, den spanischen Provinzen mehr Freiheit zu schenken. Alle Wege enden in Sackgassen. Ob er nun seine Verlobte Elisabeth der Monarchie wegen seinem herrischen Vater Philipp überlassen muss. Oder ob jene, die er für Freunde hält, wie den Marquis de Posa, ihn letztlich nur für ihre Zwecke einspannen. Und so unstet, so sensibel, zugleich auch schlicht und fix wütend wie dieser Knabe dabei ist, fährt er sein Leben gegen die Wand: Don Carlos, the fast and the furious also?

Jedenfalls deutet Schwab Verdis einerseits sakrale, andererseits tiefschwarze Grand Opéra nicht vorrangig als Politdrama wie man sie frei nach Schiller nehmen könnte, wo aus jeder Zeile der Freiheitsappell tönt. Klerus, Königtum und Machterhalt betonieren in dieser Inszenierung fast schon plakativ nicht allein für Carlos vorbestimmte Lebensbahnen. Schwab schaut tief hinein ins Persönliche, das an Äußerem scheitert. Und kreiert einen Helden, der keiner sein kann, weil er sein Leben nicht unter Kontrolle bringt.

Lässt man sich darauf ein, wächst und wächst die Faszination der zunächst kargen Bilder. Und man staunt, wie aus dem Betonschlauch ein moderner Dom, aber auch ein schauerlicher Richtplatz wird, wenn sich zur Verbrennung der Ketzer im Asphalt Höllenschlunde auftun. Einfach enorm, was Bühnenbildner Piero Vinciguerra und der kongeniale Lichtdesigner André Fischer aus dieser öden Röhre hervorzaubern.

Aber auch die Detail-Regie fesselt. Wenn König Philippe sich etwa vom Großinquisitor nötigen lässt, Carlos, seinen eigenen Sohn zu opfern, damit ja alles beim Alten bleibt, die bestehende Ordnung bloß nicht wackelt. Verdi hat diesen Kirche-Staat-Konflikt als düstere Rivalität in Töne gefasst. Und zwei Bassmänner von Format trumpfen da in Saarbrücken auf. Rúni Brattaberg als Inquisitor lässt geradezu verächtlich-grausame Tiefe strömen, während Philippe, der grandiose Paul Gay, an sich selbst zu verzweifeln droht. In diesem unbedingten Machtmenschen schlägt eben doch auch ein Herz – und Gay macht uns diese innere Zerrissenheit formidabel hörbar.

Ja, es ist ein Opernabend, der erst unmerklich, schließlich aber mehr und mehr bannt. Nicht alles jedoch endet schlüssig; vielleicht gab’s deswegen auch ein paar Buhs am Ende. Dass die Handlanger der Inquisition jedenfalls bei der Ketzerverbrennung in schwarzen Kapuzen wie IS-Terroristen aufmarschieren, sollte man höchstens als pseudoaktuelles Spektakel verbuchen.

Und nicht alle auf der Bühne nimmt Schwab überzeugend mit. Angelos Samartzis setzt als Carlos mit seinem Tenor fraglos Akzente, hat Höhenfeuer, dramatische Kraft en masse. Im Spiel aber wirkt er limitiert, wenn er meist mit stierem Blick ins Publikum starrt. Dabei sind da um ihn Menschen aus Fleisch und Blut, der federnde Michal Partyka als Posa mit agilen Bariton, und die stimmlich überragende Leah Gordon als Elisabeth. Doch Samartzis wirkt, als wolle er dem historischen Infanten, der als beschränkt galt, zu seinem Recht verhelfen. Und raubt mit dieser Eindimensionalität seiner Figur einiges von der Kraft, die er ihr mit der Stimme schenkt. Aber es gibt auch das Gegenbeispiel. Judith Braun stellt mit ihrer Eboli eine Frau mit schwarzen Seele auf die Bühne, hochdramatisch gesungen, bannend gespielt. Man kann nur den Hut ziehen vor dieser Leistung.

Und das gleich noch einmal tun für den Chor und das Orchester. Dirigent Sébastien Rouland und Chorchef Jaume Miranda spornen im Graben wie auf der Bühne zur Höchstleistung an. Das Staatsorchester schwelgt in dunkel-glühenden Abgründen, lässt heroische Klänge wachsen und feiert sakrale Würde. Viele Jahre schrieb und arbeitete Verdi immer wieder an seiner Oper. Rouland und das Staatsorchester lassen es klingen, als könne keine Note anders sein.

 Don Carlos (Angelos Samartzis) verzweifelt an sich und dem ganzen Rest der Welt.

Don Carlos (Angelos Samartzis) verzweifelt an sich und dem ganzen Rest der Welt.

Foto: SST/Astrid Karger
  Gestritten wird auch bei Königs: Philippe II. von Spanien (Paul Gay) gerät mit seiner Elisabeth (Leah Gordon) aneinander. Kein Wunder, seine (zweite) Frau war ja auch mal die Verlobte seines Sohnes Carlos.

Gestritten wird auch bei Königs: Philippe II. von Spanien (Paul Gay) gerät mit seiner Elisabeth (Leah Gordon) aneinander. Kein Wunder, seine (zweite) Frau war ja auch mal die Verlobte seines Sohnes Carlos.

Foto: SST/Astrid Karger

Weitere Vorstellungen: 1. Februar (Beginn: 19 Uhr) und 9. Februar (Beginn: 18 Uhr); Karten und Infos unter
Tel. (06 81) 3 09 24 86.

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