Lange drei Stunden: „Der Weg zurück“ in der Alten Feuerwache Saarbrücken Im warmen Nebel des Nichtwissens

Saarbrücken · Wohin führt das Misstrauen in den technologischen Fortschritt? Diese durchaus brisante Frage stellt das Stück „Der Weg zurück“ – und liefert doch keinen Diskussionsstoff. Was ging bei der Premiere schief?

 „Der Weg zurück“ hatte am Sonntag in der Alten Feuerwache Premiere. 

„Der Weg zurück“ hatte am Sonntag in der Alten Feuerwache Premiere. 

Foto: Martin Kaufhold

Verirrungen gehören zum Theater-Alltag, mitunter sind sie sogar amüsant. Meist begleitet man Regisseure bei ziellosen Expeditionen, seltener nimmt der Weg schon früher einen falschen Abzweig – bei der Stückauswahl. Mit einem solchen Fall hat man es bei „Der Weg zurück“ zu tun. Während drei langer Stunden in der Saarbrücker Alten Feuerwache, bei der man die Professionalität eines gegen alle szenischen und textlichen Beschwernisse anspielenden Ensembles zu schätzen lernte, hatte man viel Zeit, darüber nachzugrübeln,  warum das Staatstheater-Team dieses formal und sprachlich schwache Drama ins Programm genommen hat. Sicher doch, das Stück, in dem der  britische Autor Dennis Kelly das Thema Wissenschafts-Skeptizismus aufgreift – 2019 vor der Corona-Pandemie geschrieben – gewinnt jetzt, ob der aktuellen Impfgegner-Bewegung, etwas Prophetisches.  Doch um Brisanz zu ermöglichen, fehlt es nicht nur der Vorlage an Gedankenhelle und Finesse, auch die Regie macht keinerlei Anstalten, Brücken in unsere beunruhigende Gegenwart zu bauen.

 Der Plot führt mit fünf „Bildern“ ohne packende Dialoge oder markante Charaktere über mehrere Generationen, und es scheint, als habe Kelly das Genre verfehlt für diese episch ausgreifende Geschichte, die er zwischen Dystopie, Märchen, Satire, Ehe-Melodram und Horror-Movie changieren lässt. Der Inhalt in Kürze: Ein Vater (Fabian Gröver) wird ob des Todes seiner Frau bei der technisch hoch gerüsteten Geburt zum Fortschritts-Feind. Bei seiner Tochter Dawn (Verena Bukal) und deren Lebensgefährten Jonathan (Silvio Kretschner) führt das auf schnurgeradem Pfad in den Öko-Faschismus der „Regressions“-Bewegung,  der die Menschen in den  „warmen Nebel des Nichtwissens“ hüllt.  Aber am Ende bricht sich der unausrottbare Forschungstrieb des Menschen doch wieder Bahn.

In weiße Gewänder im strengen China-Style gekleidete Schauspieler betreten am Sonntagabend die leere Spielfläche der Alten Feuerwache und sprechen meist frontal ins Publikum. Sie arbeiten sich an Textbergen ab, mitunter vor Entsetzen glühend wie Christiane Motter bei der Folterung ihres Pflegesohnes. Oder stoisch angepasst und zugleich kindlich staunend wie Anne Rieckhof, die entdeckt, dass sich ihre rebellische Freundin nicht etwa antiregressionistisch verhält, sondern nur wissensdurstig. Doch egal, wie prima das alles klappt oder wie großartig Verena Bukal die von Wollust und Liebesromantik überwältigte Gouvernante des korrekten Denkens gibt – alle Darsteller enden als typische Papiertiger des klassischen Erzähltheaters. Sie gehen uns nichts an.

Ob dies hätte verhindert werden können? Christoph Mehler, der seit 2014 in Saarbrücken als Gast inszeniert und drei beachtliche Abende hingelegt hat, findet dafür den Schlüssel nicht.  Seine Phantasie erschöpft sich weitgehend darin, Kerzenständer herumtragen zu lassen und Streichermusik einzuspielen. Nun ja, auch die Salbung eines misshandelten Außenseiters ist ihm eingefallen. Mehler hat sich offensichtlich dafür entschieden, die rudimentären theatralen Angebote der Textvorlage nicht etwa anzureichern, etwa über Videos, sondern Kellys Struktur durch Minimalismus skulptural herauszuarbeiten und herunter zu kühlen. Das Ergebnis: atmosphärische Sterilität. Dazu passt die Bühne von Jennifer Hör: Leer ist die Feuerwachen-Spielfläche bis auf drei weiße Vorhänge, die im zweiten Teil fallen und nur noch Architektur übrig bleibt. Ästhetisch konsequent ist das alles, nur bewirkt es keinerlei Sog.

Der Vollständigkeit halber sei aber doch eine ganz wundervolle Szene erwähnt, die es, wäre der Abend nicht so lang, allein lohnte, die Feuerwache zu besuchen.  Es treten auf: Barbara Krzoska und Raimund Widra als Mitglieder des Nationalen Regressionsrates, der den Menschen zehn neue Wahrheiten verkündet, und dies in einer Sprache und mit Argumentations-Volten, die beim Zuschauer ein böses Echo auslösen. Man erkennt das aktuelle schönfärberische „Wording“ vieler Politiker wieder. Hungersnöte gebe es nach dem Sieg der „Regression“ nicht, meinen die beiden, es herrsche eben nur  „Lebenmittelknappheit“, und für die Welle an Lynch-Hinrichtungen bieten sie das Label „lokale Justiz“ an. Wie sich hinter der offiziellen Propaganda-Fassade dann zwei ideologische Saubermänner in privaten Fallstricken von Eifersucht, Neid und Zurücksetzung verheddern, wie Widra jedwede Contenance abhanden kommt, während Krzoska  immer mehr an erbarmungsloser Überlegenheit zulegt, das ist vom darstellerisch Allerfeinsten. Hier hat Mehler einmal etwas ins Vibrieren gebracht, was Text und Szene aufwertet: Ironie. Dafür braucht man viel Distanz. Die ist ihm in der Corona-Zeit vielleicht verlustig gegangen wie uns die Lust im Laufe des Abends, dieses Stück als Diskussionsvorschlag zu nehmen.

Nächste Termine:  28., 29. Januar, 18. Februar; www.staatstheater.saarland.de

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