Künstler im Saarland „Die Genie-Klausel hat mir oft geholfen“

Saarbrücken · Pianist, Lehrer, Festivalmacher – und auch Lebenskünstler: Jetzt wird Robert Leonardy 80. Und mehr denn je glaubt er an seine Misson, die Jugend für die Klassik zu gewinnen.

 80 Jahre und kein bisschen leise: Robert Leonardy an seinem Ibach-Flügel.

80 Jahre und kein bisschen leise: Robert Leonardy an seinem Ibach-Flügel.

Foto: Oliver Dietze

Mit Robert Leonardy ist es ein bisschen wie mit dem VW Käfer: Er spielt und spielt und spielt... Und falls man nach weiteren Parallelen sucht: Tatsächlich sind der Saarbrücker Konzertpianist und der erste Volkswagen fast ein Jahrgang. 1940 kam Leonardy (der Kriegsevakuierung wegen) im Harz-Städtchen Blankenburg zur Welt. Zwei Jahre zuvor erlebte der Käfer seine Geburtsstunde.

Genug jetzt der Vergleiche, schauen wir dem Jubilar, dieses Wochenende ist sein Achtzigster, erstmal auf die Finger. Fix lässt Leonardy sie über die Tasten seines Ibach-Flügels fliegen, Wohlklang aus filigranem Jugendstil-Gehäuse. In Frankreich hat er das herrliche Instrument für bloß 800 Euro aufgestöbert, eine Trouvaille fürwahr. Noch mehr aber staunt man über diese Hände: Jung sind sie geblieben, immer noch geschmeidig, behänd genug selbst Rachmaninoffs Opus 30, den Ferrari unter den Klavierkonzerten, mit den meisten Noten pro Sekunde im Klavierpart, zu spielen. „Ich bin rundum gesund“, freut sich Robert Leonardy, „keine Beschwerden, nichts“. Sein Rezept dafür? Jedenfalls keine übertriebene Vorsicht, meint er mit Blick auf seine Hände. Am Wochenende, wenn es die Leonardys zu ihrem Landsitz in Lothringen, einer Alten Mühle, zieht, greift er auch mal zur Kettensäge, fährt Traktor. Und sonst? „Es war sicher gut, dass ich nicht ausschließlich Pianist war“, antwortet er. Vielseitigkeit also als Jungbrunnen.

Tatsächlich reichte seine Bilanz jetzt mit 80 wohl für ein paar Leben: Künstler, Musikhochschullehrer, Festivalmacher, Ideenmotor... Langweilig wurde es ihm nie. Dabei sollte der Sohn aus einer Hülzweiler Bergmannsfamilie Lehrer werden. Daheim aber „wurde auch viel gesungen“. Und dann war da noch das alte Klavier in der Wirtschaft, in die der Vater gerne ging. Dies Instrument zog den Knaben Robert magisch an. Er setze sich dran – und spielte. Und man staunte nicht nur in der Kneipe über den Halbwüchsigen, man staunte auch an der Saarbrücker Musikhochschule, als er sich zum Vorspiel meldete. „Ich war schon sehr begabt“, meint Leonardy unverblümt, wie man ihn kennt. Trotz solchen Ausnahmetalents aber, ein Teenager, der mehr oder weniger Autodidakt war: Ließen sich da die Grundlagen, die normale Klavierschüler schon mit fünf, sechs, sieben Jahren legen, nachholen? Man verordnete ihm knüppelharte Fingerübungen. Auch das schaffte Leonardy – und durfte studieren „auch ohne Abi­tur“. Die „Genie-Klausel“, sagt er lachend, „hat mir oft geholfen“. Aus dem Jung-Student wurde der jüngste Professor an der Musikhochschule in Saarbrücken. „Mit einer ganzen Reihe von Schülern, die heute selbst Professoren sind in aller Welt“, sagt Leonardy stolz – auf seine Schüler.

Ein Naturtalent also dieser Leonardy, aber auch eine Naturgewalt. Alle, die mit den Musikfestspielen Saar, dem Festival, das er zusammen mit seiner Frau Inge vor über 30 Jahren aus der Taufe hob, wissen das. Ob er Musiker ins Saarland lockte oder Sponsoren angelte, keiner vermochte das so wie der wirbelwindige Wuschelkopf. Der aber auch manchen in seiner Macher-Euphorie zur Weißglut trieb. Geldgeber wie Kulturminister. „Die besten Musiker und Orchester ins Saarland zu holen, etwas zu bieten, was es vorher hier nicht gab, darum ging es mir immer“, sagt Leonardy heute fast entschuldigend. 

„Sein“ Festival hat längst der Sohn Bernhard Leonardy übernommen. Der führt es nicht mehr als Solist wie der Senior, sondern im Team. Statt großem Star-Aufgebot setzen die neuen Festspiele – auch weil die Unterstützung des Landes massiv schrumpfte – auf ein klareres Konzept, bieten jetzt ein Festival sogar mit ökologischer Message. Gefällt ihm das? Dazu schweigt Robert Leonardy. Er hat versprochen, sich rauszuhalten. Und was viele nicht für möglich hielten: Der „Alte“ tut es. Trotzdem ärgert es ihn nach wie vor, dass das Land, den Musikfestspielen, seinem Lebenswerk, den Geldhahn zudrehte. Um ein neues Festival zu etablieren, das auch schon wieder passé ist. „Von echter Kulturpolitik kann da doch keine Rede sein“, schimpft Leonardy.

 Aufstrebend: Robert Leonardy als junger Konzertpianist.

Aufstrebend: Robert Leonardy als junger Konzertpianist.

Foto: kleint

Andere hätten darüber resigniert. Nicht aber Robert Leonardy. Mehr als zu Festivalzeiten konzertiert er wieder (gerade im Saarland, im April tritt er in Griechenland auf). „Klavierspielen ist mein Leben“, sagt er. Auch wenn er rückblickend eben das Positive darin sieht, dass es nicht die ganz große Pianisten-Karriere wurde. Auch, weil der Mut fehlte, das letzte Risiko zu nehmen und sich in den Metropolen mit den ganz Großen zu messen. „Ich weiß nicht, ob ich da wirklich bestanden hätte“, bekennt er. Aber so konnte er ja auch zum Festivalmacher werden. Und Projekte hat er immer  noch genug. Im lothringischen Dieuze will er mit anderen alten Musikherren eine Art Vor-Akademie aufbauen, die Aspiranten für ein Musikstudium fit macht. Und nach hartnäckigem Bohren hat er es geschafft, dass in Schleswig-Holstein etliche Schulen seine klassische Pausenglocke einführen. Statt mit dem Gong werden die Schüler dann etwa mit ein paar Takten von Beethovens Fünfter zum Unterricht gerufen. Leonardy will damit zumindest mal einen Erstkontakt für junge Leute mit der Klassik schaffen. Mit jener Musik, die ihm über Jahrzehnte so viel gegeben hat.

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