Kleines Denkmal für einen Proll Peter und der Bär – Lars Eidingers Gastspiel bei den Saarbrücker Perspectives

Saarbrücken · Ausverkauftes E-Werk während des Kulturfestivals: Zu erleben war ein Ein-Personen-Stück. Es wurde erstmals außerhalb der Bundeshauptstadt gezeigt.

 Lars Eidinger  in „Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch" im Saarbrücker E-Werk.

Lars Eidinger in „Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch" im Saarbrücker E-Werk.

Foto: Oliver Dietze

Eier sollen die Kinder später mal in der Hose haben. Und wissen, wie guter Sex geht. Was nach billiger Proll-Philosophie klingt, reicht dann doch darüber hinaus. Weil der 53-Jährige im Bärenkostüm, der all seine Ersparnisse (2000 Euro) zusammenrafft, um sich mit seinen Kindern ins Flugzeug zu setzen und es mal ein Wochenende lang in Madrid richtig krachen zu lassen, sie dort dann eben nicht in Bars, Bordelle oder ins Stadion schleppen will, sondern in den Prado. Mit dem eigens aus Karlsruhe eingeflogenen Philosophen Peter Sloterdijk im Schlepptau, der den eigentlich ja viel lieber ins Disney-Land geflogenen Kids auf Vaters Geheiß ein paar neue Horizonte eröffnen soll. Dosenbier mit Sloterdijk und Rioja & Chips mit Goya – fertig ist ein anarchisches Stück Absurdistan.

Das ungefähr ist das Setting von „Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch“ – ein Einpersonenstück der Berliner Schaubühne, das nun – gut acht Jahre nach seiner Premiere – erstmals außerhalb Berlins zu sehen war. Bei den Saarbrücker Perspectives gastierte Lars Eidinger damit am Freitagabend (7. Juni) im ausverkauften E-Werk. Was Eidinger, Berlins großer Bühnen-Berserker und Zwischentöne-Zauberer, aus Rodrigo Garcías einstündigem, krudem Bühnenmonolog herausholt, das ist einmal mehr bemerkenswert. Eidinger spielt die vom argentinischen Theatermann gesetzten Fallhöhen kongenial aus. In der köstlichsten Szene sitzt er im Fonds des komplett mit Spiegelpailetten übersäten Taxis – als sei’s ein Kunstwerk von Damien Hirst, dreht es sich auf einem mit Kunstrasen ausgelegten Präsentierteller. Neben Eidingers Goya-Pilger im Bärenfell ein in einem Sack steckendes Bündel, das den (gleichsam entführten?) Sloterdijk darstellen soll. Während Peter – ein Audiomitschnitt eines Sloterdijk-Vortrags wird uns eingespielt - den ganz großen philosophischen Bogen von Rousseau über Anthropotechnik bis zu den Niederungen des Katzenfutterangebots im Supermarkt schlägt, stopft der von Eidinger gemimte kunstsinnige Proll Chips in sich hinein und führt das vermeintliche Sloterdijk-Gelaber ad absurdum. Ganz ohne Worte, allein durch gestische Untermalungen, die von hinreißender Situationskomik sind. Weil sie, so wie Eidinger sie als von großen Ernst getragene, pseudo-affirmative Akte aufbaut, die reinste Verarschung sind.

Man kann es auch so sagen: Lars Eidingers sprühende Spiellaune rettet Garcías irgendwo zwischen Intellektuellen-Bashing und Proll-Denkmalssetzung auf halbem Weg steckenbleibendes Man-weiß-nicht-was-eigentlich-Stück. Und holt am Ende mehr aus der Vorlage heraus, als wohl eigentlich drin steckt. So dass einen diese abgedrehte Vaterfigur Mal um Mal anrührt in ihrem Wunsch, einen „Strahl Vollkommenheit“ auf ihre Kinder zu richten. Und sich nicht runterziehen zu lassen, sondern ihnen („und fertig ist der Lack!“) mal einen Crashkurs in Sachen schönes Leben zu geben. Auch merkt man, dass hinter Garcías betont ulkig-schrill zusammengezimmerter Stückfassade doch mehr steckt als nur ein ungefährdeter Underdog-Punktsieg gegen einen Vorzeige-Intellektuellen. Gibt es doch immer wieder Sätze in diesem verspielten Ideengetümmel, die hängen bleiben. Solche etwa: „Vor lauter Erfahrung ansammeln, sind wir nur noch Haut und Knochen.“

Und weil Eidinger die Bühne in diesen 60 Minuten noch dazu gehörig unter Strom setzt, entpuppt sich dieser kurze Theaterabend als großes Leidinger-Special. Mal dreht er bis zum Anschlag wummernde Technobässe auf. Mal wirft er die Nebelmaschine an, während Stroboskopblitze durch die Halle schießen. Mal balanciert er über Bücherstapel oder kriecht auf allen Vieren herum. Mal stellt er eine Handvoll Bücher Grabsteinen gleich auf dem Kunstrasen auf und begießt sie. Diese Schluss-Szene soll uns wie das gesamte Stück wohl sagen: Verrückt Ihr lieber auch mal Euren Blick. Schluss. Aus. Und aus dem Dunkel dann Lars Eidingers Satz „Ihr dürft mich jetzt verabschieden.“ Nicht nur dafür gab’s im E-Werk dann langanhaltenden Applaus, den er mit einem grundsympathischen, entwaffnenden Lächeln sichtlich genoss. Um dann noch hinterherzuschieben, nun könnten doch alle noch mitgehen in den Perspectives-Festivalclub, wo er später noch auflegte.

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