Nick Cave in Luxemburg Gott, die Welt – und Nick Cave

Luxemburg · Die „Conversations with Nick Cave“ in der Luxemburger Philharmonie boten drei intime Stunden.

 Ein Porträtbild von Nick Cave – beim Auftritt in Luxemburg durften keine Pressefotos gemacht werden.

Ein Porträtbild von Nick Cave – beim Auftritt in Luxemburg durften keine Pressefotos gemacht werden.

Foto: David Barajas

Als die letzte Zugabe („Skeleton Tree“) und der warme Applaus  verklungen sind, kniet Nick Cave immer noch  vorn am Bühnenrand  und  schreibt Widmungen in mitgebrachte Bücher seiner Jünger.  Es war, jedenfalls in weiten Teilen, tatsächlich eine Art Cave-Gemeinde, die da am Freitag  in der Luxemburger Philharmonie zusammenkam. Als  sei man lange miteinander vertraut, leiteten die meisten ihre Wortbeiträge mit „Hi Nick“ ein. Drei  Stunden lang konnten sie Nick Fragen über Gott und die Welt und Caves eigenes Schaffen stellen.

„Conversations with Nick Cave“ nennt er das Format, eine Art Live-Version seines  Blogs  „Red Hand Files“, in dem Cave seit 2018 inzwischen 40 Fragen von Anhängern  in seitenlangen, durch ihre Offenherzigkeit und philosophische Tiefe bewegenden Briefen beantwortet hat. Auch in Luxemburg bittet er das Publikum, als er nach dem ersten Stück („Steve McQueen“) vom Flügel aufspringt und in der ihm eigenen schlaksigen Art über die mal in Rot, mal in Lila getauchte Bühne schlendert,  den Abend als Gesprächsangebot  zu sehen. Alles könne zum Thema werden. Solange man von ihm jetzt kein Statement zu den europäischen Beziehungen oder zu Theresa May hören wolle.

Die erste Frage kommt von einem der Bartische, an denen 50 Leute gleich hinter Cave auf der Bühne hocken.  Sind  das die vorab nominierten Fragesteller? Nein, sie sollen alles wohl nur etwas familiärer aussehen lassen. Ob  Cave, fragt ein Mann, seit dem Tod eines seiner Zwillingssöhne  – im LSD-Rausch stürzte der 15-jährige Arthur 2015 in Caves Wahlheimat Brighton von den Klippen –  beim Blick in den Spiegel  eine andere Person sehe als zuvor?  Es ist die persönlichste Frage dieses dreistündigen Abends, der etwas von einer Andachtsstunde und Therapiesitzung hat, die Cave  immer wieder  unterbricht, um einige Stücke zu spielen.  Arthurs Tod habe alles fundamental verändert, antwortet Cave. Er lebe seither „ein zweites Leben“. Die Art, Konzerte zu geben, seine gesamte Kunst sei dadurch verändert worden. Es  wirkt fast so, als sei der 61-Jährige dankbar dafür, dass sie gleich am Anfang steht – diese unausweichliche Frage. Was immer über Nick Cave seit 2015 geschrieben wurde, hatte auch mit Arthurs Tod zu tun.

Nicht alle Fragen haben diese Relevanz. Manche wollen auch nur die Hintergründe einzelner Songs erklärt bekommen, Caves Position gegenüber Cover-Versionen eigener Stücke oder aber den Grund für Blixa Bargelds damaligen Ausstieg bei Caves Band, den Bad Seeds.  Blixa habe sich damals per Mail verabschiedet, sagt Cave in einer seiner ausführlichsten, minutenlangen Plaudereien und nennt seinen Ex-Gitarristen dann einen „Brutus“ und „cuddly  fascist“, einen knuddeligen Faschisten.  Andere aber erzählen von eigenen Problemen (etwa Trennungen oder dem Tod eines  Nahestehenden) und sehen in Cave mindestens einen wichtigen Ratgeber, wenn nicht gar einen  Lebensphilosophen oder Weisen.  Sie wollen etwa  von ihm wissen, wovor er sich fürchtet. Dass ,,den Menschen um mich herum“ etwas zustoßen könnte. Aber auch, dass der Klimawandel unsere Lebensgrundlage zerstören könnte, antwortet Cave und mahnt sein Publikum, das zu erhalten, was Trost gebe: dessen zahllose  Schönheiten.   Dazu angeregt, sich stärker zu politisieren, kommt von Cave nur ein sehr kategorisches  „No“.

 Als eine ältere Frau sich erkundigt, ob er an ein  Jenseits glaubt, meint Cave, er glaube daran,  dass etwas bleibe. Allerdings tue er es „nicht unbedingt in einem christlichen Sinn“.   Es sind solche Momente, die  diesem Abend eine intime Vertrautheit  verleihen. Als säßen wir hier mit Nick bei einem Glas Wein sinnierend beieinander. Wenn ihm die Worte und Inspirationen ausgehen, sucht Cave  Antworten in seiner Musik. „Maybe I could play you a song“, sagt er dann und nimmt wieder Platz am Flügel. Jedes Lied ein Andachtsraum. Schon als Kind habe ihn, obwohl unbeschwert aufgewachsen in Australien, immer schon auch Melancholie umgeben, erzählt Cave.  Es ist denn auch die Melancholie, die seine Songs trägt und sie und Cave so glaubwürdig machen.

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