„Verfahren“ in der Alten Feuerwache Neues Stück über „NSU“-Prozess in Saarbrücken: An der Oberfläche des Untergrundes

Saarbrücken · Der NSU-Prozess kommt auf die Bühne in einer Uraufführung in der Alten Feuerwache in Saarbrücken. Allerdings ist Kathrin Rögglas Stück „Verfahren“ deutlich subtiler als die Inszenierung. Warum diese – trotz des zum Teil mitreißenden Spiels – oft nur an der Oberfläche kratzt.

 Ganz schön „verfahren“: Florence Adjidome als „Gerichtsdienerin“ umkurvt per Rad die Prozessbeobachter in „Verfahren“, dem Stück über den „NSU“-Prozess von Kathrin Röggla, das jetzt in der Alten Feuerwache in Saarbrücken Uraufführung feierte.

Ganz schön „verfahren“: Florence Adjidome als „Gerichtsdienerin“ umkurvt per Rad die Prozessbeobachter in „Verfahren“, dem Stück über den „NSU“-Prozess von Kathrin Röggla, das jetzt in der Alten Feuerwache in Saarbrücken Uraufführung feierte.

Foto: Martin Kaufhold/SST/Martin Kaufhold

Eine bloß zu Dreivierteln gefüllte Alte Feuerwache, und das bei einer Uraufführung: Dieser zögerliche Zuspruch bei einem Stück über die rechtsextreme Mörder- und Terrorbande „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) lässt leider auch ahnen, dass intensivere Nachfragen, was die deutsche Gesellschaft just in ihrem Innersten spaltet, viele nicht sonderlich interessiert. Doch frau/man täte gut daran.

In den 50ern würgte man aufkeimende Debatten über die NS-Zeit gern so ab: „Es muss jetzt mal gut sein.“ Klar, dann revoltierten die 68er dagegen. Doch wie nachhaltig war das? Sind wir heute wirklich so viel wacher und kämpferischer? Der NSU-Prozess, in dem fünf Jahre lang, bis 2018, rassistische Morde und Anschläge verhandelt wurden, hat auch offenbart, wie trügerisch die Illusion aus der alten Bundesrepublik war, es könne einen Staat ohne extreme Rechtsradikale geben, – und zwar mit Netzwerken, die weit in die Gesellschaft hineinreichen. Der Staatsfeind Nummer eins stand der Einfachheit halber immer links. Rechtsaußen, das war Geschichte. Glaubte man. Doch die NSU-Täter waren und sind nicht allein.

Hauptangeklagte Beate Zschäpe taucht bei Kathrin Röggla nicht auf

Kathrin Röggla nun hat mit ihrem Stück „Verfahren“ versucht, was im Grunde kaum zu bewältigen war. Den NSU-Prozess nämlich, der 1200 Aktenordner füllte, zu einem zweistündigen Theaterstück zu verdichten. Sie zielt jedoch klug nicht aufs Dokumentarische. Kein Richter tritt auf, kein Zeuge. Nicht mal der Name der Hauptangeklagten, Beate Zschäpe, fällt. Auch wenn ihr brüllendes, die Opfer verhöhnendes Dauerschweigen vor Gericht sorgsam kolportiert wird.

Die vielfach ausgezeichnete Autorin und Vizepräsidentin der Berliner Akademie der Künste will Justiz eben nicht exemplarisch auf die Bühne stellen wie Ferdinand von Schirach. Sie entrückt das Mammutverfahren auf die Beobachterränge, legt es quasi in die Arme von gerichtsnotorischen Zaungästen. Sozusagen die Rückseite der Gerichtsöffentlichkeit. So schafft sie Distanz, aber über diese auch Raum für Ironie.

 Alles wankt, alles schwankt: In „Verfahren“ purzlen Gewissheiten, aber auch die Grenze zwischen Gerichtssaal und Theater gerät ins Wanken.

Alles wankt, alles schwankt: In „Verfahren“ purzlen Gewissheiten, aber auch die Grenze zwischen Gerichtssaal und Theater gerät ins Wanken.

Foto: Martin Kaufhold/SST/Martin Kaufhold

Dabei hat ihr Beobachter-Sextett so gar nichts naturalistisches an sich. Es sind Typen, die Röggla wohl aus eigenen Beobachtungen in Gerichtssälen destilliert hat, auch während des NSU-Prozesses in München. Eine Gerichtsdienerin (mit überwältigendem Spielwitz: Florence Adjidome) lotst etwa mal strahlend-lässig wie eine TV-Moderatorin, mal streng wie eine Gouvernante durch das „Verfahren“. Der „SAL“, der „Sogenannte Ausländer“, ein türkischstämmiger Bauunternehmer, will wissen, wie die deutsche Justiz mit den Mordtaten an seinen Landsleuten verfährt. Aber ihm schlägt auch täglich der Alltagsrassismus ins Gesicht. Der „Gerichtsopa“ hingegen entpuppt sich als langjähriger Profi im Zugucken schon seit den RAF-Prozessen und als großer Schwadronierer, den Alexander Ebeert mit herrlich sattem Tonfall Pseudo-Gewissheiten en gros von sich geben lässt. Die „Gerichtsoma“, die Martina Struppek köstlich emotional aufkratzt, ergötzt sich auch an den Ritualen des Gerichts. Zugleich sucht sie im Prozess auch Absolution, weil ihr eigener Sohn ins rechtsradikale Lager abdriftete. Ein(e) „Blogger*in“, von linkem Aktivistentum beseelt, versteht sich mit neuen Überzeugungen als Gegenpol zu den Alten, verrennt sich von Silvio Kretschmer jedoch hyperaktiv überzeichnet, öfters im eigenen Denken.

Saarbrücker Inszenierung von „Verfahren“ kratzt an der Oberfläche

Aus deren Gesprächen formt sich ein Mosaik, das am Ende aber doch Fehlstellen und noch mehr Brüche aufweist. Sehr bewusst ist das gemacht, mit Ironie gebaut. In Rögglas Theatertext funkelt schon im Titel außerordentliche Sprachlust, so „verfahren“ wie die Reaktionen auf dieses „Verfahren“ ausfallen. Und in Wortschöpfungen wie „Geradeaussitzer“ und „Gutverdienerweltverbesserungsblase“ findet ihre Fabulierlust immer neue Ankerpunkte. Ihre konsequente Absage ans Dokutheater mündet auch darin, dass sie die Grenzen zwischen Theater und Gerichtssaal schwanken lässt, der Prozess wird zum Spektakel. Und immer wieder fallen einzelne Figuren aus der Rolle wie die „Frau von der (türkischen) Botschaft“: Anne Rieckhof kann sich da wunderbar über das ereifern, was sie sein soll, aber nicht sein will. So hält Röggla ihr Schauspiel reizvoll instabil zwischen Realität und Illusion. Das ist eben kein schlichtes Haltungstheater, sondern die Aufforderung an die Zuschauer, sich selbst Gedanken zu machen über die eigene Haltung.

So subtil wie der Text ist, gerät die Regie leider nicht. In der Alten Feuerwache wählen Regisseurin Marie Bues und Ausstatterin Heike Mondschein für die Koproduktion mit dem Theater Rampe in Stuttgart eine simple Bühne aus weißen Treppen – frontal zum Publikum positioniert. Die (Nicht-)Farbe der Unschuld für ein Gericht, das ohne Vorurteil zum Urteil finden soll? Mag sein, vor allem aber werden die weißen Stufen zu einer banal neutralen Spielfläche. Auf der oft mit dem eher spärlichen Aroma einer szenischen Lesung inszeniert wird, sieht man von diversen grotesken Tänzchen der Akteure ab. Zurecht einerseits, weil es bei Röggla kaum um Handlung geht, sondern um Dialog, Statements, Empörung, Beschwichtigung und auch Geschwätz. Andererseits findet die Regie einfach kein wirklich überzeugendes Konzept, die Textmengen zu portionieren, die Finessen von Rögglas Text saufen immer mal wieder im Wortschwall ab.

Dabei ist es auch nicht förderlich, dass die eigentlich markanten Figuren typentstellend kostümiert sind. Warum der „Kollege“, ein Strafverteidiger, der nur so aus Interesse beim Prozess reinschaut, wie ein billiger Vorstadt-Cowboy auftritt, bleibt ein Geheimnis des Regieteams. Gleichwohl Burak Hoffmanns erotische Verzückungen, wenn er sich am Handy terminmanagend an seiner eigenen Wichtigkeit aufgeilt, Hingucker sind. Und so gerne man Raimund Widra bei seinem eleganten, grazilen Spiel zuschaut als blond-androgynes Wesen, nimmt das der Figur des „Sogenannten Ausländers“, die als Bauunternehmer gedacht ist, auch an Kraft, die gerade sie aus ihrer klischeehaften Anlage ziehen könnte.

So kratzt diese Inszenierung leider öfter nur an der Oberfläche des toxischen Untergrunds, in den Kathrin Röggla mit ihrem Text tief vordringt. Ein Grund mehr, neben dem Theaterabend auch das Schauspiel vor- oder nachzulesen. Ein Verfahren, das sich auf jeden Fall lohnt.

Weitere Aufführungen: 5., 22., 27. und 29. April, www.staatstheater.saarland

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