Werkstattkonzert der Musikfestspiele Saar Wenn im Flügel eine Schraube locker ist

Saarbücken · Teil eins der Musikfestspiele Saar blieb des Lockdowns wegen vor allem ein Online-Festival. Mit einem Werkstattkonzert des GrauSchumacher-Klavierduos ging es am Samstag zu Ende – macht aber Lust auf mehr bei Teil zwei im September. Hoffentlich dann mit Publikum im Saal.

 Das Werkstattkonzert im Festsaal des Saarbrücker Schlosses, von links: Andreas Grau sitzt am Flügel, Götz Schumacher zupft stehend im Flügelkasten, Komponist Stefan Litwin sitzt am Notenständer. 

Das Werkstattkonzert im Festsaal des Saarbrücker Schlosses, von links: Andreas Grau sitzt am Flügel, Götz Schumacher zupft stehend im Flügelkasten, Komponist Stefan Litwin sitzt am Notenständer. 

Foto: Musikfestspiele Saar

Ein Festival ist ein Festival ist ein Festival, könnte man mit Gertrude Stein forsch behaupten. Nein, ein Festival, bei dem die Pandemie das Publikum zu Von-daheim-aus-Zuschauern macht, kann bloß eine Ahnung von Festival sein. So erfrischend neu gedacht die Musikfestspiele Saar auch dieses Mal starteten, es braucht halt doch Beifall, Raunen, Bonbonpapierknistern und auch mal hörbares Unverständnis als Reflektor dessen, was auf der Bühne passiert. Am Samstagabend war das mit Händen zu greifen, als das GrauSchumacher-Duo, Komponist Stefan Litwin und Autor Holger Schröder, live aus dem Saarbrücker Schlossfestsaal bei einem Werkstattkonzert Appetit machen wollten auf das fraglos reizvollste Projekt der diesjährigen Musikfestspiele. Öfters suchte Schröders Blick nach der Kamera und dem Dahinter, dem Widerpart des Publikums. Vergebens.

Denn gerade wenn man was Neues wagt,  im besten Sinne Unerhörtes, will man doch wissen: Kommt‘s an? Auch wenn es erstmal „nur“ ein Appetitmachen auf die Uraufführung eines, nennen wir es mal musikalischen Monodrams nach Jean Pauls Romanfragment „Flegeljahre“ sein sollte. Längst hätte dieser Kompositionsauftrag des Festivals (gefördert von der Ernst von Siemens Musikstiftung) an den Saarbrücker Musikhochschulprofessor Stefan Litwin  debütieren sollen. Corona hat’s verhindert. Am 11. und 12. September dieses Jahres soll es aber endlich klappen. Im Weltkulturerbe Völklinger Hütte – dann mit Schauspielstar Ulrich Noethen als Rezitator.

Am Samstag übernahm Autor Holger Schröder teilweise dessen Part, las kleine Passagen aus dem, was er fürs Konzertpodium aus dem 500-Seiten-Opus destilliert hat. Eine Herkulesaufgabe für Schröder. Denn Jean Pauls autobiografisch grundiertes Werk blieb trotz des stattlichen Umfangs in vielerlei Hinsicht Fragment. Nur so viel: Es geht um das reichlich ungleiche Brüderpaar Walt und Vult. Ersterer ein stiller Dichter, der kaum mal aus der Heimat fortkam. Bruder Vult dagegen zieht extrovertiert und Flöte spielend durch die Welt. Ein unverhofftes Erbe, das Walt antreten soll, bringt sie wieder zusammen. Das Hinderliche daran: Walt muss, um es zu bekommen, sich in diversen Berufen bewähren – vom Klavierstimmer über den Gärtner bis zum Notar. Und die, die eigentlich erben sollten, warten nur auf seine Fehltritte. Dazu brüten die Brüder noch über einem Roman, begehren dieselbe Frau… Schwer, da noch den Durchblick zu behalten.

Und überhaupt Jean Paul: Vor über 200 Jahren war der Pastorensohn und erotisch hochtourige, aber auch eigenwillige Dichter aus der fränkischen Provinz ein Literaturstar. Sogar Goethe mit seinem Topseller „Werther“ stach er in der Leserinnengunst aus. Vielleicht blieb das Verhältnis der Weimarer Klassiker zu ihrem Kollegen Johann Paul Friedrich Richter (1763-1825) auch deshalb kühl; selbiger nannte sich übrigens deshalb Jean Paul, weil er die Aufklärung und ihren Propheten Jean-Jacques Rousseau so verehrte. Jean Pauls Schriften zwischen mal beißender Satire, mal feinem Humor, oft getragen von großem Gefühl und kühn gefügter Wortwahl, lasen Frauen, heißt es, ausnehmend gern. Sein hemmungsloses Abschweifen irritierte jedoch auch viele. Und heute? Gilt Jean Paul wohl leider nur noch als Fall für Kenner und das germanistische Hauptseminar.

Der Saarbrücker Komponist Stefan Litwin hingegen sah aber just in den „Flegeljahren“ Potenzial. Auch wegen des Brüdermotivs. Eben weil er gern für das renommierte Klavier-Duo GrauSchumacher komponieren wollte. Andreas Grau und Götz Schumacher agieren pianistisch tatsächlich in zwillingsgleichem Verständnis. Gerade wurden sie wieder mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik geehrt. Holger Schröder, den vierten im Bunde, kennen viele noch als Dramaturg am Saarländischen Staatstheater in der Schlingmann-Zeit; mit der Intendantin wechselte Schröder zum Braunschweiger Theater.

 Und Schröder hat schon mit Erfolg so einiges für die Bühne adaptiert. Wie gut ihm das mit den „Flegeljahren“ glückte, davon ließ die Kostprobe noch zu wenig ahnen. Vieles wird sicher von der Kunst Ulrich Noethens abhängen, die Textauszüge lebendig werden zu lassen. Klarer war da schon Litwins Zugriff, eine Oper en miniature nämlich fast. Mit an Arien und Rezitativen erinnernden Passagen, mit markanter Rhythmik und feinperlenden Läufen, bei denen Andreas Grau und Götz Schumacher auch das vierhändige Vor-der-Brust-und-hinterm-Rücken-Überkreuzspielen lustvoll zelebrierten. Und Schumacher auch im Kasten des Flügels eifrig zupfte, bis eine (zuvor präparierte) Schraube locker war. Ein Vergnügen auch, wie Litwin – zur Klavierstimmer-Episode – tänzerisch beschwingt einem Klavier das andere als verstimmtes Echo antworten ließ. Das atmet ganz den Geist Jean Pauls und verspricht viel für den September. Ja, man kann’s kaum erwarten, dass das Festival wieder ein Festival wird.

 Schriftsteller und Philosoph Jean Paul (1763-1825), der eigentlich Johann Paul Friedrich Richter hieß   Foto: dpa

Schriftsteller und Philosoph Jean Paul (1763-1825), der eigentlich Johann Paul Friedrich Richter hieß  Foto: dpa

Foto: dpa/-

www.musikfestspielesaar.de                                 

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