Kino Michael Caine wird 90: „Scheiße, ich dachte, Sie wären mindestens 100“
Saarbrücken · Viele gute Filme, einige schlechte, zwei Oscars – und eine charmante Autobiografie: Schauspieler Michael Caine wird 90 Jahre alt.
Er arbeitet immer weiter. Jüngst hat Michael Caine, der am Dienstag 90 Jahre alt wird, „The Great Escaper“ abgedreht. Er spielt einen Kriegsveteranen, der aus seinem Seniorenheim verschwindet und sich auf den Weg zu den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des D-Days in der Normandie macht. Vor 30 Jahren sah seine Karriere anders aus: Da las der Brite ein neues Drehbuch und war maßlos enttäuscht – die Hauptrolle sei schwachbrüstig, bemäkelte er bei seinem Agenten, bis der ihn aufklärte: Caine solle ja nicht die Hauptrolle des Helden spielen, sondern die Nebenrolle dessen Vaters. Das ließ den indignierten Caine ebenso ins Grübeln kommen wie der Umstand, dass die Zahl der ihm angebotenen Rollen zuletzt deutlich geschrumpft war. Er trat – dann doch nur kurzfristig – eine mimische Frührente unter kalifornischer Sonne an und schrieb eine Autobiografie. „What‘s it all about“ hieß sie und kam 1994 heraus, allerdings nicht auf Deutsch.
Caine gibt Lebensratschläge
Immerhin Caines jüngste Memoiren sind bei uns erschienen und blicken zurück mit einer enormen Dankbarkeit für nahezu alles, was er erlebt hat. Caine erzählt nicht chronologisch, sondern hat sein Buch als Ratgeber konzipiert: auf dass die aufmerksamen Leserinnen und Leser auch ein so pralles Leben haben können wie er selbst. Mit einer Ehe über Jahrzehnte, mit einem geliebten Beruf, mit allerlei Annehmlichkeiten, die hohe Gagen so mit sich bringen. Zwei Oscars hat er auch gewonnen, 1987 für Woody Allens „Hannah und ihre Schwestern“, 2000 für „Gottes Werk und Teufels Beitrag“.
Geboren „vor einer Million Jahren“
Mit viel Witz erzählt Caine von seiner Karriere, während derer er manche Türen sprengen musste: Der Buchtitel „Die verdammten Türen sprengen“ bezieht sich auf eine Szene in Caines 1969er Klassiker „The Italian Job“ (dämlicher deutscher Titel: „Charlie staubt Millionen ab“) und ist in Caines Augen eine schöne Metapher für seine gesamte Karriere. In ärmlichsten Verhältnissen geboren, „vor einer Million Jahren“, gesegnet mit einem Cockney-Akzent, der im klassenstarren England für Hauptrollen eigentlich tödlich ist – aber nicht in den „swinging sixties“, in denen Caine seinen Durchbruch erlebt: als verantwortungsloser Londoner Macho im Film „Alfie“, der ihn sogar im fernen Hollywood bekannt macht. Da ist der erste Star, den er trifft, John Wayne. Der schwebt in Cowboykluft und per Hubschrauber hinter dem gemeinsamen Hotel darnieder und gibt Caine einen dubiosen Ratschlag fürs Leben: langsam reden, mit tiefer Stimme, und möglichst wenig.
Einige schreckliche Filme
Was erfährt man noch? Dass Caine klar ist, dass er neben Perlen wie dem eisigen Krimi „Get Carter“ (1971) viele miese Filme gedreht hat („Der weiße Hai IV“ etwa). Aber: Sie haben ihm zum Beispiel einen heimischen Swimmingpool finanziert oder auch ein Haus für die Mama. Auch erfährt man, dass Alfred Hitchcock ihn mit theatralischer Nicht-Achtung strafte, nachdem Caine das Rollenangebot als Frauenmörder in „Frenzy“ (1972) abgelehnt hatte, weil er die Figur zu grausig fand. Und man erfährt, dass Caine so wenig Talent für Golf hat, dass ein frustrierter Sean Connery, ein ambitionierter Großgolfer, nach einer vergeblichen Übungsstunde mit ihm in Rage einen Golfschläger zerbrach.
Stallone nervt am Set
Caine ist in diesem Buch etwas diskreter als in seinen ersten Memoiren. Ohne Namen zu nennen, beklagt er sich hier über einen gelangweilten US-Regisseur, der nur noch arbeitet, um sein teures Hobby des Hochseefischens zu finanzieren. Im früheren Buch war Caine darüber bereits erbost, aber er nannte auch den Namen: John Sturges („Die glorreichen Sieben“), der mit Caine 1976 den Kriegsfilm „Der Adler ist gelandet“ inszenierte. Ein anderer Name, der im neuen Buch ebenfalls im Dunkeln bleibt, ist der eines US-Stars, der bei Dreharbeiten aus reinem Trotz, da er mal ein paar Minuten warten musste, sich regelmäßig in seinen Wohnwagen verzieht, um nun alle anderen warten zu lassen und seine Macht zu demonstrieren. Hier schweigt Caine, im alten Buch aber nicht: Sylvester Stallone war der Rüpel, bei den Dreharbeiten zu John Hustons bizarrem Weltkriegs-Fußballfilm „Flucht oder Sieg“ von 1978. Dass Caine im aktuellen Buch Stallone an anderer Stelle als „guten Freund“ bezeichnet, spricht für eine gewisse Altersmilde.
Wutanfall wegen Filmpferd
Demonstrativ zu spät kommen, seine Macht zeigen, in der Hierarchie nach unten treten – davon rät Caine ab. Es scheint, er schämt sich heute noch für einen Wutanfall: Beim Mittelalterfilm „Das vergessene Tal“ (1971) kam er mit seinem Filmpferd nicht zurecht und reagierte mit einem oscarreifen Tobsuchts-Auftritt. Nach einer kühlen Zurechtweisung des Regisseurs, der einen solchen Gesichtsverlust unverzeihlich fand, entschuldigte sich Caine bei allen Beteiligten (wenn auch nicht beim Pferd).
„Scheiße, ich dachte, sie wären mindestens 100“
Auch das Alter ist ein Thema, zumal Caine sich schon vor Jahren in einem Restaurant den wenig schmeichelhaften Satz „Scheiße, ich dachte, sie wären mindestens 100“ anhören musste. Geburtstagsfeiern werden seltener, Krankenhausbesuche und Beerdigungen dagegen regelmäßiger. „Der feste Kern wird kleiner und kleiner.“ Caine versucht, so kurz zu trauern wie möglich, „sonst müsste ich ertrinken. Also tauche ich schnell wieder auf und schnappe nach der frischen Luft der Lebenden.“
Alterskarriere mit Christopher Nolan
Melancholie zieht sich da durch das Buch, neben der Dankbarkeit für die Karriere, die in ihrer Spätphase vom britischen Regisseur Christopher Nolan noch einmal angeschoben wurde. Der besuchte ihn im Garten und überzeugte ihn, dass die Rolle des Butlers, nicht die des Helden, in „Batman Begins“ (2004) eine gute Sache sei. Der Film machte Caine bei einem neuen jungen Publikum bekannt; Nolan besetzte ihn danach in jedem seiner Filme, zuletzt in „Tenet“, bei dem Caine zu Protokoll gab, dass er keine Ahnung hat, worum es in dem Film eigentlich geht – was ihn mit manchen Kinogängern verbindet.
Zwei Wecker statt einem
Dampft man Caines Lebenstipps im Buch ein, bleibt vor allem ein herzhaftes „Einfach weitermachen“. Hinfallen ist legitim, Liegenbleiben nicht. Wem das etwas zu vage ist, für den hat er auch Praktisches zur Hand: Reisetaschen rechtzeitig packen, zwei Wecker statt einem benutzen – und bei Kuss-Szenen ein Mundspray dabei haben.
Michael Caine: Die verdammten Türen sprengen – und andere Lebenslektionen.
Aus dem Englischen von Gisbert Haefs und Julian Haefs. Alexander Verlag, 309 Seiten, 24 Euro.