Alfred Hitchcocks „Psycho“ Top-Gastspiel mit Schauereffekt, grauenhaft gut

Merzig · Der weltberühmte Hitchcock-Schocker „Psycho“ funktioniert auch minimalisitsch, als inszenierte Lesung. Bedingung: ein begnadeter Schauspieler wie Matthias Brandt und ein Top-Musiker stehen auf der Bühne wie beim frenetisch beklatschten Gastspiel in Merzig.

 Schauspieler und Autor Matthias Brandt und der Musiker Jens Thomas beim Schlussapplaus im Merziger Zeltpalast. 

Schauspieler und Autor Matthias Brandt und der Musiker Jens Thomas beim Schlussapplaus im Merziger Zeltpalast. 

Foto: Kerstin Kraemer/KERSTIN KRAEMER

Keine Fotos während der Vorstellung! Als Matthias Brandt dennoch von einer Dame angeblitzt wird, kriegt er einen Gesichtsausdruck, der einen frösteln lässt. Gut, dass er nicht wirklich Norman Bates ist, und die Frevlerin nicht gerade unter der Dusche steht! Ja, die Duschszene. Eine der meistzitierten Referenzen der Kinogeschichte und das Epizentrum von Alfred Hitchcocks Schocker „Psycho“, der am Freitag im Merziger Zeltpalast als großartig suggestive „Fantasie über das kalte Entsetzen“ über die Bühne geht. Wie, so grübelte man im Vorfeld, wollen der renommierte Schauspieler (und Autor) Brandt und Jens Thomas am Flügel das umsetzen? Würde die Geschichte als inszenierte Lesung mit Musik überhaupt funktionieren? Um es vorweg zu nehmen: Fabelhaft sogar, denn was die zwei hier machen – mit einer Präsenz, die den Raum geradezu statisch auflädt – vermittelt sich auch ohne Kenntnis des Films. Zum Auftakt ertönen die Akkorde von AC/DCs „Hells Bells“ - willkommen in der Hölle beziehungsweise im kranken Hirn von Norman Bates. Die Zuschauer werden Zeuge der Psychopathologie eines Mörders, die Brandt und Thomas mit ironischen Brüchen und sardonischer Lust am Assoziativen ausloten – in einer perfekt getimten, zu einem emotionalen Sog verdichteten Symbiose von Wort und Klang. Brandt eliminiert die Rahmenhandlung und konzentriert sich in seiner Textfassung anhand von Marys Ermordung auf die gespaltene Persönlichkeit der sexuell frustrierten Hauptfigur, die - vom ödipalen Verhältnis zur dominanten Mutter nachhaltig traumatisiert - zwischen Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn schwankt. Mit mal kehligem, mal keifend fisteligem Timbre und hysterisch kichernd wechselt er als Sprecher zwischen Erzählhaltung, Dialog und ausgedehntem innerem Monolog; den kongenialen atmosphärischen Soundtrack dazu liefert Pianist Thomas auch als Vokalkünstler, oft frei improvisierend und mit ausgeprägtem Gespür fürs Mimische.

Dadurch bekommt der Wahnsinn ein abstraktes Gesicht und einen Klangkosmos, in dem es von widerstreitenden Stimmen zischelt wie in einem Nattern-Nest und Schlüsselbegriffe wie „Mutter“ und „Schlampe“ brutal aufpeitschen. Und natürlich spielt Brandt mit der von Hitchcock geschürten Erwartungshaltung und ködert das Publikum mit vorauseilenden Verweisen auf die Duschszene wie ein Angler die Karpfen mit Boilies.

Tatsächlich kommt Mary hier relativ zügig zu hämmerndem Tasten-Stakkato ums Leben – die vorhergehende voyeuristische Gucklochszene reicht Brandt als erhellende Rückblende nach. Aber nicht nur damit, dass das Opfer nicht erstochen, sondern geköpft wird, bezieht sich Brandt vielmehr auf die Romanvorlage von Robert Bloch, der sich wiederum an dem realen Mörder Ed Gein orientierte. Dass der unter anderem auch die Blaupause für Thomas Harris' nekrophilen Serienkiller Jame Gumb („Das Schweigen der Lämmer“) lieferte, schimmert hier ebenfalls durch: Bates wird eingeführt als jemand, der sich an den Schilderungen von Leichenschändungen erregt. Grauenhaft gut!

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