Interview mit Star-Schauspieler Lars Eidinger „Ja, es gibt eine Sehnsucht nach Intensität“

Saarbrücken · Der Schauspieler über seine Auftritte bei den Saarbrücker Perspectives, politische Lehren, private Haltungen und seinen Beruf.

  Lars Eidinger stört, „dass es in unserer Gesellschaft keine Kultur des Scheiterns gibt“.

Lars Eidinger stört, „dass es in unserer Gesellschaft keine Kultur des Scheiterns gibt“.

Foto: dpa/Jörg Carstensen

Heute Abend beginnt das Festival Perspectives. Zum Auftakt gibt’s Zirkus mit „Les Dodos“. Morgen folgt im Saarbrücker E-Werk dann ein (restlos ausverkauftes) Gastspiel von Lars Eidinger. In einer Produktion der Berliner Schaubühne verkörpert Eidinger, einer der profiliertesten Schauspieler in Deutschland, Rodrigo Garcías Monolog „Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch“. Vorab haben wir mit Eidinger über die Radikalität von Garcías Stück, die Lehren aus der Europawahl und Eidingers DJ-Auftritt in Saarbrücken gesprochen.

Bei uns hing früher in der WG-Küche eine Postkarte, auf der stand „Lebe wild und gefährlich“. Unterschrieben war die Karte von einem Jungen, der Arthur hieß. Ein Junge in Shorts, der rotzfrech aussah. Im Grunde hätte da statt Arthur auch Lars stehen können, oder?

EIDINGER Da wäre ich jetzt nicht drauf gekommen. Ich empfinde mein Leben eigentlich nicht als wild und gefährlich. Wobei – naja.

Ist Ihr Leben nicht von dem Wunsch geprägt, intensiv zu leben, den ein oder anderen Exzess inbegriffen. Oder ist das eines der Klischees, die über Sie in Umlauf sind?

EIDINGER Ja. Ich glaub schon. Ich hab das Gefühl, dass mein Leben sehr geordnet ist und bürgerlich. Ich habe eine Familie in Berlin und wache nicht jede Nacht irgendwo besinnungslos auf der Straße auf. Ich glaube, es ist also schon ein relativ geführter Exzess. Eine Sehnsucht nach Intensität gibt es aber auf jeden Fall. Und das Wilde gefällt mir als Beschreibung eigentlich auch. Mir gefällt daran das Unberechenbare. Das ist etwas, das ich versuche zu provozieren. Aber wohl genau aus diesem Missverhältnis heraus: Dass ich eigentlich von der Struktur eher zwanghaft bin im Sinne von so einem Ordnungswahn. Ich habe zwar keinen Putzfimmel, aber ich habe einen Drang, Dinge in eine Form zu bringen. Und weil ich merke, dass mich das in meiner Kreativität einschränkt, versuche ich Leute zu finden, die mich davon abbringen. Das Wilde ist etwas, das ich immer attraktiver finde. Aber eigentlich bin ich von der Konstitution eher jemand, der nahezu konventionell ist.

In der Schule waren Sie, so wird das kolportiert, eine Art Klassenclown. So etwas hat ja meistens auch etwas mit dem Brechen von Konventionen zu tun. War das bei Ihnen damals auch so?

EIDINGER Lassen Sie uns lieber über Rodrigo Garcia und das Stück reden, das ich in Saarbrücken spielen werde. An der Berliner Schaubühne gibt es ein Festival namens F.I.N.D., zu dem wir Dramatiker aus der ganzen Welt einladen. Da gab es dann auch Gastspiele von Rodrigo Garcia, die mich wahnsinnig beeindruckt haben. Etwa durch die Eigenart, sich nicht zu verbeugen beim Schlussapplaus. Das hatte etwas von einer demonstrativen Unabhängigkeit vom Publikum. Auch die Performance selbst hatte eine Radikalität und etwas Grenzgängerisches, wo ich immer dachte: Wow, die machen Sachen auf der Bühne, die würde ich mich gar nicht trauen. Die wirkten einfach extrem frei in ihrem Ausdruck, was meinem Ideal von Spiel sehr entspricht. Dann habe ich Rodrigo Garcia einem Email geschrieben. Gar nicht so in der Absicht, dass wir etwas zusammen machen, sondern um ihm meine Bewunderung auszudrücken. So ist dann unsere Zusammenarbeit entstanden. Den Monolog hatte er schon mal in Paris mit einem französischen Schauspieler gemacht. Da war es aber eher nur Teil eines Abends mit mehreren Texten. Während wir dann ja einen ganzen Abend daraus gemacht haben.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?

EIDINGER Wir haben auf der Probebühne angefangen zu improvisieren und haben darüber dann eine Struktur erfunden – eine Kette von Handlungen, die ich vollziehe und währenddessen dann den Text erzähle. Ohne jetzt zu viel über das Stück zu reden: Der Clou ist, dass die Kinder der Hauptfigur – dem Vater, der mit ihnen nach Madrid fahren will, um ihnen im Prado Goya zu zeigen – nicht deshalb lieber in den Disney Park nach Paris wollen, um sich dort zu amüsieren. Sondern weil sie die Theorie aufstellen, dass man die Einsamkeit und Traurigkeit der Menschen am besten im Disney Park studieren kann. Was bei „Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein Arschloch“ noch hinzukommt, ist, dass García einen sehr eigenen Sinn für Poesie hat. Und er eine Sehnsucht nach einer Form von Transzendenz formuliert. Das macht den Abend so stark. Wobei García auch viel von der Persönlichkeit des Performers einfließen lässt. Weshalb er mir etwa zwei Plattenspieler und einen Mixer hinstellt.

A propos Plattenspieler: In Saarbrücken werden Sie nach dem Stück auch noch im Perspectives-Club als DJ auflegen. Was macht den DJ Eidinger aus?

EIDINGER Ich nenne, was ich mache, immer eklektische Popmusik. Wobei das für mich alles ist, was in einem popkulturellen Zusammenhang steht. Also auch Techno. Für mich ist es ein gutes DJ-Set, wenn ich über zwei Stunden hinweg jedem Genre gerecht werde. Wobei ich versuche, extrem mit der Atmosphäre umzugehen, die ich vorfinde. Das ist ja das Schöne am Auflegen, dass es um was Energetisches geht und um ’ne Sensitivität für einen Raum.

Gibt es in dem Goya-Stück einen Moment, der selbst Ihnen noch Selbstüberwindung abverlangt?

EIDINGER Die Überwindung besteht eigentlich darin, den Leuten den Text zu erzählen. Monolog ist als Begriff ja irreführend, weil es ja ein Dialog mit dem Publikum ist. Man ist alleine auf der Bühne und teilt sich dem Publikum mit. Und dabei auch das, was in einem vorgeht.

Ich versuche mal den Brückenschlag vom Goya-Stück zur Europawahl. Mit dem Zusammenwachsen von Europa ist es danach ja nicht unbedingt leichter geworden. Überhaupt scheinen die Gesellschaften in vielen Ländern immer weiter auseinander zu diffundieren. Konjunktur haben Spalter und Nationalisten. Auch privat pflegen nicht wenige ihre Egoismen und huldigen gern dem Zynismus. Brauchen wir wieder mehr sozialen Zusammenhalt?

EIDINGER Durch die Auseinandersetzung mit Shakespeare-Stoffen und Klassikern im Allgemeinen habe ich das Gefühl, dass wir es immer mit den gleichen Konflikten und Problematiken zu tun haben, die wir als Menschen nicht zu überwinden scheinen. Deshalb sind wir ja immer so überrascht, wie zeitgemäß etwa Shakespeare ist. Oder eben Rodrigo García. Ihm geht es um Werteverfall. Er sagt mit dem Goya-Stück ja letztlich: Ich möchte lieber, dass mir etwas von Bedeutung wie die Gemälde von Goya den Schlaf raubt als Adidas oder Volkswagen oder irgendein Schlussverkauf, bei dem man wieder das Billigste vom Billigsten ergattern will. Ich sehe Rodrigo García insoweit als großen Kapitalismuskritiker.

Glauben Sie, dass das kapitalistische System noch reformierbar ist?

EIDINGER Es gibt da eine wiederkehrende Dynamik, eine eine Art Wellenbewegung. Also Situationen, in denen sich die Lage zuspitzt, dann einen Kollaps und dann baut es sich wieder neu auf. Ob das nun der Rechtsextremismus oder Faschismus ist. Aber offenbar müssen wir es immer wieder mantramäßig und ritualisiert neu durchleben. Die Leute werden aus Schaden nicht klug. Dass es eine große Schere gibt zwischen Reich und Arm, ist im Moment so spürbar wie lange nicht. Es gibt in Garcías Stück einen schönen Satz. Wie heißt der nochmal? Verdammt. Ich kann den Text immer nicht, wenn ich nicht auf der Bühne bin.

Ist das so, dass der Text mit der Bühne verbunden ist, dass er sich dort im Sinne eines Körpergedächtnisses wie von selbst abspult?

EIDINGER Ja. Wobei Abspulen so’n bisschen nach Autopilot klingt. Wenn die Leute mich fragen, wie man so viel Text auswendig lernen kann, sage ich immer, dass man es am ehesten mit Musik vergleichen kann. Den Text von „I’m sailing“ von Rod Stewart können die Wenigsten aufsagen. Wenn das Lied aber anfängt, kann man’s aber eigentlich mitsingen. So ist das bei mir auch. Texte sind immer gebunden an Situationen und Atmosphären auf der Bühne. In dem Garcia-Stück weiß ich, welchen Satz ich am Anfang habe, wenn ich im Auto liege. Und welchen, wenn ich aufstehe. Dann darf man nicht vergessen, dass wir noch jemanden haben, der uns hilft, unser Souffleur oder unsere Souffleuse. Bei Hamlet musste ich schon öfter mal fragen, wie es weitergeht. Dann wundern sich alle. Als dürfte das nicht vorkommen. Aber ich hab da neulich ein ganz schönes Zitat von Homer Simpson gehört. „Menschen machen Fehler, sonst wär am Bleistift kein Radiergummi.“ Das fällt mir in unserer Gesellschaft extem auf, dass es keine Kultur des Scheiterns gibt.

Was fehlt der Gesellschaft Ihrer Meinung nach vor allem? Was müsste sie vor allem an Tugenden und Qualitäten wieder gewinnen?

EIDINGER Bei der Europawahl etwa fand ich am prägendsten Sätze wie „Nicht wählen ist nicht neutral“. Wichtig ist, dass man wieder ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass es die Rechtsextremen stärkt, wenn man nicht zur Wahl geht. Und man erkennt, welche Kraft man auch als Einzelner hat. Viele haben ja heute das Gefühl, nichts mehr beeinflussen zu können. Dann braucht es Leute wie Greta Thunberg, die als Einzelne eine ganze Bewegung mobilisieren. Wenn es um Ökologie geht, muss man bei sich selbst anfangen. Für mich war immer ein wichtiger Punkt, dass ich irgendwann nicht mehr das System oder irgendeine ominöse fremde Macht verantwortlich gemacht habe, sondern mich. Weil ich verstanden habe, dass ich selbst das System bin.

Im Festivallclub wird Lars Eidinger morgen nach dem Konzert von Ernest (Konzertbeginn: 22 Uhr) als DJ auflegen.
Infos unter: www.festival-perspectives.de

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