Korso-op.Kollektiv feiert Premiere von „Varioschimmer“ „Mein Ego ist ein flatterndes Gespenst“
Saarbrücken · „Die Leute sollen sich reinsetzen, einfach treiben lassen und auf eine gute Art verstört rausgehen“, erhofft sich die Regisseurin und Komponistin Alexandra Holtsch von der neuen Produktion „Varioschimmer“. Das Saarbrücker Korso-op.Kollektiv um Nina Schopka nimmt sich da mal wieder wichtige Fragen unseres Daseins vor.
Ein Ambiente, irgendwo zwischen Catwalk und verlassenem Ballsaal. Bodenbelag und Vorhänge muss man sich bei der Probe im GarellyHaus noch dazu denken. In dieser Konsum und Vergänglichkeit zugleich atmenden Kulisse geht eine Frau nach einem wild taumelnden Tanz erschöpft zu Boden – kein Wunder bei all dem schwindelerregenden Ringen um etwas so Fragiles wie Identität.
In diesem Jahr wuppt das in Saarbrücken beheimatete freie Schauspiel- und Performance-Ensemble Korso-op.Kollektiv keine große Produktion: Mit „Varioschimmer“ gönnt das Ensemble sich ein kleines Extra mit Gästen. Aus Berlin sind für die Kooperation die Schaupielerin Silke Buchholz und die Regisseurin und Komponistin Alexandra Holtsch angereist; neben Buchholz spielt und spricht Nina Schopka, früher im Ensemble des Saarländischen Staatstheaters (SST).
Bühne und Kostüme besorgt wie immer Gregor Wickert: Schopka und er gehören zu den Gründungsmitgliedern des 2016 initiierten Korso-op.Kollektivs. Alle vier kennen sich seit über 20 Jahren aus dem Dunstkreis um die ehemalige SST-Intendantin Dagmar Schlingmann und haben seither schon öfter in verschiedenen unabhängigen Unter-Konstellationen miteinander gearbeitet.
Dies ist nun allerdings die erste freie Produktion, in der alle vier aufeinander treffen. „Der Geist an sich ist ein leerer Spiegel“, heißt es im Stück, „heute bin ich jemand – morgen ein anderer. Mein Ego ist ein flatterndes Gespenst“.
Das fasst ziemlich gut zusammen, worum es in dieser Performance auf Basis einer Textcollage geht: um Identität, Selbstfindung, Reflexion. Was macht mich zum Ich? Wie selbstbestimmt sind wir, welche Einflüsse formen uns? Ist eine Identität ohne Sozialisierung überhaupt möglich, und wie abhängig sind wir von der Spiegelung unseres Gegenübers?
Ja, kann es überhaupt so etwas wie eine Identität geben – so diffus wie dieses amorphe Etwas in beständigem Wandel vor sich hin wabere, gibt Silke Buchholz zu bedenken. Antworten gibt es hier keine, wohl aber reichlich Assoziationen: „Die Leute sollen sich reinsetzen, einfach treiben lassen und auf eine gute Art verstört rausgehen“, hofft Alexandra Holtsch. Weil jede aufkommende Frage, jede aufwühlende Emotion per se wünschenswert sei, erklärt Schopka.
Wer bin ich, wie will ich sein? „Das ist eine ewige Suche“, meint Holtsch, die bei ihrer Inszenierung nicht in den üblichen Sichtweisen oder Kategorien wie Geschlecht und Alter vor sich hin dümpeln mochte. Ob Gregor Wickert die beiden Schauspielerinnen deshalb auf eine Art Kothurnen gestellt hat? Damit sie auf diesen Stelzenschuhen über den Dingen stehen? Wenn auch stolpergefährdet, schließlich hört die Suche mit dem Tod ja nicht auf: Wenn „die aktive Teilnahme an sich selbst“ (Schopka) beendet ist, übernimmt bekanntlich die Nachwelt die Deutungshoheit.
Jedenfalls schlägt das bunte Kaleidoskop einen Bogen über die Jahrhunderte, von den Anfängen der Frauenbewegung bis zur Anarchie. Zu Wort kommen Schriftstellerinnen und Autoren wie Elfriede Jelinek, Peter Licht, Rainer Maria Rilke oder Voltairine de Cleyre; zitiert werden außerdem authentische Texte aus Blogs und Interviews.
Als installative Performance arbeitet „Varioschimmer“ ebenfalls ortsbezogen, aber weniger immersiv als die großen Korso-op-Produktionen. Dafür hat Gregor Wickert eine kreuzförmige Bühne ins Garelly-Haus gebaut, die ein Spiel mit Annäherung, Wieder-Erkennung und Distanz ermöglicht.
Parallel wird der Raum durch Projektionen aufgebrochen, bei denen auch Live-Kamera zum Einsatz kommt. Die niedrige Decke und die vielen Pfosten diktieren, was machbar ist: „Wir denken in 20 Zentimetern“, sagt Wickert.
Eine Raum-formende Rolle spielt auch Alexandra Holtschs Musik, die von allen Seiten auf das Publikum einwirkt und selbst zur Protagonistin wird – wer Holtschs Inszenierung von Dylan Thomas' „Unter dem Milchwald“ seinerzeit in der Sparte 4 des Staatstheaters gesehen oder vielmehr gehört hat, kann es sich ungefähr vorstellen.
Dabei schöpft Holtsch aus einem bearbeiteten Klangkosmos aus elektronischen Sounds, Geräuschen, Stimmen und Orchesterstücken – eine „wilde Mischung“, wie die ganze Performance.
Das klingt nun alles reichlich abstrakt, aber vor dieser Herausforderung steht das Korso-op.Kollektiv ja jedes Mal: ein verkopft anmutendes Thema in einem lustvollen, sinnlichen und körperlichen Prozess so aufzubereiten, dass es dem Publikum auch Spaß macht.
Premiere von „Varioschimmer“ ist am Samstag, 12. März, 20 Uhr, im Garelly-Haus, Eisenbahnstraße 14. Weitere Vorstellungen am 19. und 20. März und 1. und 2. April. Karten, Infos: Tel. (0178) 164 73 57, www.varioschimmer.de Die Vorstellung am 20. März ist ein Benefiz für die Ukraine: Die Einnahmen gehen kkomplett an Unicef.