Dirigent und Komponist Christian Jost Zwischen strenger Klassik und coolem Jazz

Saarbrücken · Komponist und Dirigent Christian Jost hat in den vergangenen Jahrzehnten die zeitgenössische Musik entscheidend geprägt. An diesem Sonntag dirigiert er in Saarbrücken.

 Christian Jost, Komponist und Dirigent, hat den Anspruch, in seinen Werken immer das „Jetzt“ abzubilden. Für ihn ist Musizieren ein „humanistischer Akt“.

Christian Jost, Komponist und Dirigent, hat den Anspruch, in seinen Werken immer das „Jetzt“ abzubilden. Für ihn ist Musizieren ein „humanistischer Akt“.

Foto: Kerstin Krämer

Er kommt gerade aus Wien, wo am Montag seine Oper „Egmont“ uraufgeführt wird. Doch zuvor dirigiert er am Sonntag in der Alten Feuerwache sein Instrumentalstück „Lovers Sky Song“ für Streichorchester, Klavier, E-Bass und Schlagzeug und sein Vokalwerk „Dichterliebe“ nach Robert Schumann für Sopran und Kammerorchester.

Der Wahlberliner Christian Jost, geboren 1963 in Trier, ist „Artist in Focus“ des Saarländischen Staatsorchesters. Als Komponist und Dirigent hat Jost in den vergangenen 20 Jahren die zeitgenössische Musik entscheidend mitgeprägt. Seine bislang zehn abendfüllenden Opern wurden, nebst einer Vielzahl großer symphonischer Werke, von renommierten Opernhäusern und Orchestern weltweit uraufgeführt und ins Repertoire internationaler Bühnen und Orchester aufgenommen. Oft ist er in China zu Gast; ein für den 8. März in Hongkong geplantes Konzert mit dem Shanghai Symphony Orchestra wurde jedoch just abgesagt – auch die Kunst fällt dem Corona-Virus zum Opfer.

Josts Musik folgt der Idee einer strukturellen Improvisation, die sich prozesshaft aus musikalischen Keimzellen entwickelt: ein organisches Fließen, in dem die strengen Strukturen der Klassik und der Neuen Musik mit den Grooves des Jazz zu einer eigenständigen Form verschmelzen. Oder, wie Jost es formuliert: „Ich bediene mich nicht am Jazz – ich bin Jazz!“ Sein „Nocturnal Project“ mit dem Crossover-Pianisten Michael Wollny etwa soll noch in diesem Jahr auf Deutschland-Tour gehen. Die Frage, wie klangmalerisch und modern man sich seine zeitgenössische Tonsprache denn vorstellen darf, beantwortet er augenzwinkernd: „Der Geräuschanteil meiner Arbeiten liegt unter 90 Prozent.“

Jost beschreitet den so genannten „dritten Weg“, den er so beschreibt: „Wenn wir György Ligeti auf der einen Seite haben und Chet Baker auf der anderen, gehe ich mitten durch.“ Wobei Jazzeinflüsse nicht zwingend sind – seine „Dichterliebe“ etwa kommt ohne aus. Schumanns „rätselhaftes Werk“, bei dem man, so Jost, nicht wisse, ob die Geliebte real sei oder imaginiert, habe er heraus holen wollen aus der Ecke „Steht ein steifer Sänger neben dem Klavier“. Er schuf „etwas Assoziatives, Soghaftes“, bei dem die Lieder nach Heinrich Heines Texten wie Inseln aus einem Klangfluss auftauchen. Und indem er das Ganze von einer Frau singen lässt, hebt Jost das Werk auf eine andere Ebene: Die südkoreanische Sopranistin Sumi Hwang, der er die lyrischen und stimmlichen Qualitäten einer Lucia Popp und – nicht ganz unwichtig – gute Deutschkenntnisse bescheinigt, agiere quasi als Medium.

Aus seinen gesellschaftlichen und politischen Ansichten macht Jost, der in Köln und San Francisco studierte, kein Hehl. Vor allem bei seinen Opern, auch bei historischen Stoffen, hat er den Anspruch, dass sie „das Jetzt“ abbilden, die „conditio humana“, und der Frage nachgehen, wie der Mensch in der Welt verortet ist. In „Egmont“ etwa geht es ihm um die Offenlegung der Machtverhältnisse, der Mechanismen des Machterhalts und die Reaktion des Volks. „Das könnte aktueller gar nicht sein“, sagt Jost. „Sich damit auseinander zu setzen, finde ich angesichts der heutigen Situation wichtiger denn je“ – in einer Zeit, wo Demokratie-stabilisierende Kräfte in Rechtfertigungszwang gerieten und sich so panisch reaktiv verhielten wie eine Schafherde, in die der Wolf einfällt.

Wie sehr das gesellschaftliche Gefüge auf der Kippe steht, wie brüchig Werte sind und wie hoch die Fallhöhe, damit beschäftigt sich auch sein Flüchtlingsdrama „Voyage vers l‘espoir“, das Ende März in Genf uraufgeführt wird. „Für mich ist jede Form des Musikmachens ein humanistischer Akt“, erklärt Jost - kommunikativ und nicht auf Profit ausgerichtet. Jost: „Das Musizieren erhöht uns. Es ist die größte Errungenschaft, zu der der Mensch fähig war.“ Damit, dass seine Werke auch von Kollegen dirigiert und dann eventuell anders interpretiert werden als von ihm selbst, kann er dementsprechend gut leben: „Ein Stück muss was aushalten können, daran bemisst sich seine Qualität. Das Werk ist immer klüger als sein Autor.“

„Inspiration II“ – Konzert mit Werken von Christian Jost: An diesem Sonntag, 16. Februar, 18 Uhr, Alte Feuerwache. Infos, Karten:

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