Kiddy Citny in Saarbrücken Seine Sprungbretter waren aus Mauerbeton

Saarbrücken · Werke des Künstlers Kiddy Citny sind in Saarbrücken zu sehen – ein Gespräch mit dem Street-Art-Pionier.

 Kiddy Citny vor einer seiner beiden Saarbrücker Wände.

Kiddy Citny vor einer seiner beiden Saarbrücker Wände.

Foto: Kerstin Krämer

Sein Atelier war die Berliner Mauer: Mitte der 1980er Jahre begann Kiddy Citny mit seinen Kollegen Thierry Noir und Christophe Bouchet die Wände in einer illegalen Aktion mit dreieinhalb Meter hohen Bildern zu bemalen. Damit waren sie die ersten Künstler, die in Berlin Street Art praktizierten – ständig in Gefahr, von der Volkspolizei verhaftet zu werden. Citny: „Wir wollten die Hauptstadt der DDR und die Mauer als antifaschistischen Schutzwall ad absurdum führen, indem wir Berlin mit Kunst einschließen.“

Hunderte von Metern bemalte er mit Herzgesichtern und gekrönten Häuptern als Ausdruck von Liebe und dem Wunsch, jeder Mensch solle wie ein König behandelt werden. Auf Postkarten und Fotos fanden seine lebensbejahenden Bilder den Weg in die Welt – unsterblich wurden sie, weil sie in Wim Wenders’ Film „Der Himmel über Berlin“ zu sehen sind: Als Bruno Ganz an Citnys Malereien vorbei wandelt und dabei vom Engel zum sterblichen Menschen wird, wechselt das vorherige Schwarz-Weiß in Farbe. Weniger bekannt ist, dass Citny als Sänger mit seiner Punkband „Sprung aus den Wolken“ (Teil der Berliner „Geniale Dilletanten-Bewegung“) auch einen Song zum Streifen beisteuerte.

Mit dem Mauerfall 1989 galt Citnys Kunst endgültig als Symbol für Freiheit und wurde zum politischen Fanal; Citny und die anderen „Mauermaler“ avancierten zu Ikonen. Mitsamt dem betonschweren Trägermaterial gelangte Citnys Mauerkunst in internationale Kunstsammlungen, seine Mauerbilder waren das Sprungbrett zu einer internationalen Karriere. „Da hatte ich viel Glück, das hat mir sehr geholfen“, bekennt Citny. Nun ist zur Erinnerung an 30 Jahre Mauerfall Kiddy Citnys Ausstellung „Einheit / Unity“ in den Fluren des Hauses der Saarländischen Unternehmerverbände im Harthweg 15 zu sehen, in Zusammenarbeit mit der Homburger Galerie Beck – die Kooperation währt seit 1992.

Citnys bunte, großformatige und gegenständliche Bilder sind in ihrer lustbetonten Körperlichkeit ein Plädoyer für Fantasie, Sinnlichkeit und Liebe. Ein Botschafter-Motiv seiner Mauermalereien greift er in der Bemalung zweier Wände auf, die als öffentliches Kunstobjekt vor dem Anwesen verbleiben: eine Frau, die eine Weltkugel in ihren Armen hält. Eigentlich hätte ein Live-Painting vor Publikum die Vernissage krönen sollen, doch als die Gäste eintrafen, war eine Stele bereits vollendet. Dabei malt Citny immer noch gerne öffentlich, weil „Kunst für mich die höchste Form der Kommunikation ist“. Heute würde er allerdings keine Staaten-trennende Mauer mehr bemalen: „Man würde nur noch das Dekorative darin sehen.“

Die aktuelle Street Art-Szene ist ihm zu kommerziell; Citny fordert unverdrossen eine bessere Welt und packt daher gerne Text in seine Bilder. Ihm geht’s um Liebe, Glück, Frieden, Dialog, Flexibilität, Kreativität, Verantwortung, Sensibilität. „Nur mit Optimismus kann man diese Welt verändern!“, glaubt Citny und outet sich als großer Fan von Greta Thunberg. Überhaupt bewundert er Frauen, ihnen attestiert er ein Plus an Verantwortungsgefühl und Emotionalität. Citny: „Männer sind immer so gierig.“ Protestieren müsse man heute vor allem „gegen alle, die nichts verändern wollen“. Unendliches Wachstum hält er für Unsinn: „Das ist eine Bedrohung! Wir müssen über den Tellerrand gucken, uns in Weitsicht üben.“

Geboren wurde Citny 1957 in Stuttgart. Er wuchs in Bremen auf, zog Mitte der 70er nach West-Berlin, lebte unter anderem in Amsterdam, London, Zürich, Bern und Los Angeles und nutzte bis 2000 auch ein Atelier in München. Als Musiker tourte er bis 1989 – unter anderem mit Nina Hagen und den Einstürzenden Neubauten – durch Deutschland und die westlichen Anrainerstaaten. In dieser Zeit praktizierte Citny bereits das Cross­over von Musik, Bewegung, Malerei, Video und Performance; zugleich gilt er als einer der ersten Künstler, die Bilder am Computer generierten, ihre Werke auf Disketten und CD-Roms speicherten und im Internet verbreiteten. Heute wohnt er wieder in Berlin – und geht nicht nur mit Kunst auf die Straße: „Letzten Sonntag war ich demonstrieren, weil das Haus, in dem ich wohne, verkauft werden soll.“ Ein Zuhause als lukratives Spekulationsobjekt? Citny: „Man muss sich wehren! Mit vielen. Sonst macht das keinen Sinn.“

Bis 11. Oktober während der Bürozeiten zu sehen (9 bis 16 Uhr). Anmeldung:
Tel. (06 81) 954 34 26.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort
„Tja.“
Künstler Gerhard Richter über seine Kirchenfenster in Tholey „Tja.“