Musiker im Regionalverband: Julien Blondel „Es gibt nichts Falsches – das ist toll!“

Saarbrücken · Vorspann Sie machen für uns die Musik. Ohne sie wäre es ganz schön still. Die Musikerinnen und Musiker, die im Regionalverband leben, sorgen seit Jahren dafür, dass wir jederzeit die Möglichkeit haben, Konzerte unterschiedlichster Stilrichtungen zu erleben.

 Julien Blondel mit dem Instrument, das er immer schon spielen wollte: Cello.

Julien Blondel mit dem Instrument, das er immer schon spielen wollte: Cello.

Foto: Sebastian Dingler

Von der Corona-Krise sind viele von ihnen schwer getroffen. Anlass für uns, einigen von ihnen nach und nach hier eine „Bühne“ zu geben.

Als Supertalent gehandelt, große Karriere vorausgesagt, zu früh zu hoch hinaus gewollt, Karriereknick – dann aber in der experimentellen Musik glücklich geworden. So ist die Kurzfassung von Julien Blondels Weg als Musiker. Die lange Version: Der Franzose kommt 1981 in einer Banlieue von Paris zur Welt. Man habe hierzulande falsche Vorstellungen von der Vorstadt, das Ghetto-Klischee stimme nicht immer. „Dort gibt es auch großbürgerliche Viertel. Zwei Straßen weiter ist es dann schon hart. Ich bin grad dazwischen aufgewachsen.“

Da sein Vater Musiklehrer, Komponist und Trompeter war, ist klar, dass der junge Julien ein Instrument lernen soll. „Mir wurden auf einem Bild alle Orchester-Instrumente gezeigt, und ich habe mich sofort für das Cello entschieden. Bis heute kann ich nicht sagen, warum.“ In der Musikschule herrscht damals das harte Solfège-System: ein Jahr lang Gehörbildung, Notenlesen und Notendiktat. Erst danach dürfen die Schüler ans Instrument ihrer Wahl. Blondels spontane Auswahl ist ein Volltreffer: „Ab der ersten Cello-Stunde mit sieben Jahren war mir klar, dass ich Cellist bin.“

Da er bei seiner ersten Lehrerin nicht gut vorankommt, schickt ihn sein Vater zu Maguy Hauchecorne. „Die Musik und noch mehr ihre Schüler waren alles für sie. Einige Cellisten haben ihr viel zu verdanken. Ich natürlich, aber auch deutlich erfolgreichere oder, sagen wir, berühmtere Cellisten: Ophelie Gaillard, Laurent Cirade, Henri Demarquette.“ Die ersten Jahre bei Hauchecorne ist Julien auf der Überholspur. Manchmal bleibt er einfach da, wenn die nächsten Schüler kommen, und spielt in deren Unterrichtsstunden mit. Bei Wettbewerben tritt er in den höheren Altersklassen an. Doch dann fällt Blondel dreimal durch die Aufnahmeprüfungen der beiden „großen“ Konservatorien in Paris und Lyon. Er sei einfach noch nicht so weit gewesen, sagt er heute. „Mit Feuer kommt man weit, aber man verbrennt sich auch daran. Man braucht auch Methodik, etwas mehr Kopf, konsequenter üben, jeden Tag. Das war die bittere Lektion.“

Seiner damaligen Freundin, einer Geigerin, geht es ähnlich. Sie versucht es außerhalb Frankreichs und landet in Saarbrücken an der Musikhochschule. Auch Blondel schafft 2003 die Aufnahmeprüfung bei Professor Gustav Rivinius. Der temperamentvolle Franzose will dann die Sprache lernen, die er mittlerweile genauso schnell wie seine Muttersprache spricht. „Ich habe mir dabei angewöhnt, einfach ja zu sagen, wenn ich etwas nicht verstanden habe – sonst stirbt das Gespräch schnell. Das wurde dann zu meinem Motto – einfach Jasagen.“

So etwa, als der damalige Professor Claas Willeke ein Ensemble gründet, das Improvisatoren mit Nicht-Improvisatoren zusammenbringen soll. „Da mitzumachen war mein wichtigstes Ja.“ Das führt ihn in die Welt des Experimentierens. Er lernt jene Menschen kennen, die ihn bis heute am meisten geprägt haben: Stefan Scheib, Christof Thewes und Wollie Kaiser. Die nehmen den Cellisten in ihre Ensembles auf: Scheib und Kaiser ins In.Zeit Ensemble, Thewes in sein Modern Chamber Ensemble und sein Modern Chamber Trio. Wichtig ist Blondel auch das Künstlerkollektiv „My Wife" mit Katharina Bihler, Scheib, Klaus Harth und Monika Bagdonaite. Demnächst hat er damit Auftritte beim Freistil-Festival des Netzwerk Freie Szene Saar im Weltkulturerbe Völklinger Hütte.

Der erste Schritt in diese Welt, die neben notierter Musik auch viel Improvisation verlangt, sei das Loslassen gewesen: „Sich trauen etwas zu spielen. Schamgefühl und Erwartungen auszuschalten. Der befreiende Moment war: Es gibt nichts Falsches. Das ist toll!“ Der zweite Schritt sei viel schwieriger: „Die Ideen der anderen aufzunehmen. Das muss man intelligent machen, also ohne das zu zerstören, was da ist.“

Diese Welt fasziniert Blondel so sehr, dass er es mit dem Studium nicht mehr ganz so ernst nimmt. „Orchestermusiker, das ist extrem hart, die Frustrationsgefahr ist hoch. Ich habe kapiert, dass ich darin vielleicht nicht so gut bin.“ Die Projekte dagegen machen ihm Spaß und bringen ihm viel positive Rückmeldungen ein. Die Hochschule verlässt er ohne Abschluss. Sehr wichtig ist ihm, dass seine Geschichte nicht wie „hat es im klassischen Bereich nicht geschafft, aber für die Jazzer hat es gereicht“ rüberkommt. „Das, was ich jetzt mache, ist genauso anspruchsvoll wie die Klassik. Es ist nur einfach mehr mein Ding.“

Finanziell hält er sich mit Unterrichten und „Mucken“ über Wasser: Engagements bei Hochzeiten und Geburtstagen, wo zum Beispiel ein Streichquartett gefragt ist. Die Freundin, die ihn einst nach Saarbrücken brachte, ist nicht mehr die Frau an seiner Seite. In einer Wohngemeinschaft lernt er eine litauische Geigerin kennen, mit der er jetzt eine vierjährige Tochter hat, die dreisprachig aufwächst. Zurück nach Frankreich zu gehen, ist keine Option: „In Saarbrücken zu sein ist besser als in Paris – dort gibt es Milliarden Cellisten. Hier bin ich der einzige Cellist, der so etwas macht, was ich mache.“

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